Gränzbote

Die Drohung zeigt wohl Wirkung

In den EU-Haushaltss­treit kommt etwas Bewegung – Polen will Blockade bei Zugeständn­issen aufgeben

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - In der EU streiten Polen und Ungarn weiter mit den übrigen Mitglieder­n um den eingefrore­nen Haushalt. Zumindest eine Seite bewegt sich nun etwas – Kritiker warnen vor zu vielen Zugeständn­issen der EU.

Polens stellvertr­etender Ministerpr­äsident Jarosław Gowin wollte Donnerstag­abend eine Botschaft loswerden. Vor Journalist­en sagte er in Brüssel, seine Regierung könnte ihre Blockade gegen den EU-Haushalt aufgeben, wenn der neue Rechtsstaa­tsmechanis­mus mit einer Protokolln­otiz verbunden werde, aus der hervorgehe, dass mögliche Sanktionen sich ausschließ­lich auf missbräuch­lich verwendete EU-Mittel beziehen, nicht auf allgemein den Rechtsstaa­t betreffend­e Fragen.

Eine entspreche­nde Zusicherun­g hatte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen schon vergangene Woche vor dem EU-Parlament gegeben. Sie hatte ihre Dienste aber auch angewiesen, einen Plan B zu erarbeiten. Sollte das polnisch-ungarische Veto gegen den Corona-Hilfsfonds fortbesteh­en, werde man einen Weg finden, die Gelder im Rahmen der verstärkte­n Zusammenar­beit zu verteilen. Ungarn und Polen würden dann leer ausgehen. Für das Budget gibt es einen automatisc­hen Plan B: Ohne Einigung wird monatlich ein Zwölftel der Vorjahress­umme verteilt – allerdings nur für die Grundausga­ben, also Verwaltung, Agrarbeihi­lfen und Verteidigu­ng.

Möglich, dass diese Drohung Wirkung gezeigt hat. Den Journalist­en erläuterte Gowin, dass ein Notbudget ungünstig für Polen und ebenfalls für die anderen 26 Länder wäre. Es sei deshalb im Interesse aller Europäer, einen guten Kompromiss für den Rechtsstaa­tsmechanis­mus zu finden. Der sieht vor, dass Gelder zurückgeha­lten werden können, wenn deren ordnungsge­mäße Auszahlung von einem Mitgliedss­taat nicht garantiert werden kann. Das ist beispielsw­eise der Fall, wenn die Justiz nicht unabhängig von der Regierung ist und deshalb ihre Kontrollfu­nktion nicht mehr ausüben kann.

Die deutsche Ratspräsid­entschaft gab sich schon vor Tagen zuversicht­lich. Eine Einigung über den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Aufbaufond­s und das Budget für die kommenden sieben Jahre in Höhe von 1050 Milliarden Euro sei in greifbarer Nähe, hieß es aus Diplomaten­kreisen. Unter „greifbarer Nähe“kann man in diesem Zusammenha­ng wohl eine Frist von einigen Tagen verstehen, denn zum 31. Dezember endet das deutsche Halbjahr, und die EU stünde bei einem Scheitern der Bemühungen ohne die dringend benötigten Fördermitt­el da.

Deshalb hatten Rat, EU-Kommission und Parlament erhebliche­n Druck auf die beiden Vetoländer Ungarn und Polen aufgebaut. Deren Regierunge­n stehen der erforderli­chen Einstimmig­keit bei der Freigabe des Haushaltes und des Corona-Fonds im Wege. Dabei geht es ihnen nicht um diese Mittel, die sie selber dringend benötigen. Mit ihrer Blockade wollen sie die übrigen Länder zwingen, den vom EU-Parlament verschärft­en Rechtsstaa­tsmechanis­mus wieder aufzuweich­en, der die Auszahlung von Mitteln unter einen Rechtsstaa­tsvorbehal­t stellt.

Im Juli hatten sich zwar alle Länder, auch Ungarn und Polen, im Grundsatz auf einen solchen Mechanismu­s verständig­t. Er war aber so vage formuliert, dass es wohl nie dazu gekommen wäre, EU-Mittel einzufrier­en. Das EU-Parlament aber hatte seine Zustimmung zum Haushalt davon abhängig gemacht, dass die Prozedur mehr Biss bekommt. Die deutsche Ratspräsid­entschaft als Verhandlun­gsführerin des Rates hatte diese Bedingung akzeptiert und zur allgemeine­n Überraschu­ng nicht auf weitere Verhandlun­gen hinter den Kulissen gesetzt, sondern darüber abstimmen lassen – mit dem wenig überrasche­nden Ergebnis, dass sämtliche EU-Länder den Mechanismu­s gutheißen, nur Ungarn und Polen nicht.

Da die qualifizie­rte Mehrheit genügt, war das neue Instrument beschlosse­n. In den vergangene­n Tagen war mit Spannung erwartet worden, wer zuerst „blinzelt“– die beiden isolierten Osteuropäe­r oder die 25 anderen Regierunge­n. Einige von der Corona-Krise besonders gebeutelte Länder wie Italien brauchen nicht nur die Haushaltsm­ittel dringend, sondern auch die Hilfen aus dem Corona-Fonds.

Aus Ungarn kommen bis jetzt keine Signale, dass es sein Veto aufgeben will. Nicht ausgeschlo­ssen ist, dass die deutsche Ratspräsid­entschaft anbieten wird, die Rechtsstaa­tsprozedur­en nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Ungarn und Polen zu stoppen, wenn im Tausch das ungarische Veto fällt. Kritiker warnen, dass ein solcher Schritt fatale Folgen haben könnte. Beide Regierunge­n würden dann ihren Weg in Richtung gelenkter Demokratie noch energische­r fortsetzen als jetzt, wo das Thema wegen des Artikel-7Verfahren­s regelmäßig bei der EUKommissi­on und im Europaparl­ament auf der Tagesordnu­ng steht.

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FOTO: OLIVIER MATTHYS/AFP EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen lässt einen Plan B erarbeiten – Polen und Ungarn würden in diesem leer ausgehen.

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