Gränzbote

Aus Gewerbe- wird Wohnraum

Der Wohnungsma­ngel bringt in Gosheim die Gemeinde dazu, das Heft selbst in die Hand zu nehmen

- Von Frank Czilwa

GOSHEIM/SPAICHINGE­N/KREIS „Im Grunde fehlt es an allem“, so fasst es zum Beispiel Spaichinge­ns Bürgermeis­ter Markus Hugger zusammen, wenn er die Nachfrage nach Wohnraum mit dem Wohnungsan­gebot in der Stadt vergleicht – egal ob nun Eigenheim, Eigentumsw­ohnungen, Mietwohnun­gen oder Sozialwohn­ungen. Auch in anderen Gemeinden im Landkreis sind Wohnungen aller Art knapp. Gosheim geht das Problem mit einem ehrgeizige­n Gesamtkonz­ept an.

Die Gemeinde Gosheim ist in einer sonderbare­n Situation: Einerseits ist sie als ein „Weltzentru­m der Drehteile“wirtschaft­lich äußerst dynamisch, hat rund 3500 Arbeitsplä­tzen (bei 3800 Einwohnern) und gilt als eine der reichsten Kommunen im Landkreis. Zugleich aber ist sie eine von nur fünf der insgesamt 35 Städte und Gemeinden im Kreis Tuttlingen, die in den vergangene­n zehn Jahren einwohnerm­äßig geschrumpf­t sind. Der Grund: Der Mangel an Wohnungen.

Derzeit, so Bürgermeis­ter André Kielack, gibt es eine Warteliste von über 100 Interessen­ten, die eine Wohnung oder einen Bauplatz in Gosheim suchen. Etwa 70 Prozent von diesen, so schätzt er, wollten einen Bauplatz, etwa 30 Prozent suchten eine Wohnung.

Wenn man auf die Pläne der bestehende­n Gosheimer Wohngebiet­e blickt, so sieht man derzeit zwar noch so manche Lücken und freie Grundstück­e. Doch hier seien die privaten Eigentümer derzeit nicht bereit, zu bauen oder die Grundstück­e an Bauwillige zu verkaufen. Zudem ist die Gemeinde von Naturschut­zgebieten umgeben, so dass einer weiteren Expansion nach außen ein Riegel vorgeschob­en ist. Aber auch in den meisten anderen Gemeinden kommt der Bau von Einfamilie­nhäusern draußen „auf der grünen Wiese“– auch aus Gründen des Landschaft­sschutzes – bald an seine Grenzen.

Deshalb ist die Gemeinde Gosheim selbst tätig geworden und sorgt für weiteren Wohnraum im Ortskern. Dies ist aber nur deshalb möglich, weil die Gemeinde finanziell sehr gut dasteht. So konnte sie Ende des vergangene­n Jahres für rund 1,5 Millionen Euro das Areal mitten im Ort kaufen, auf dem sich derzeit noch die Firma Uhren Hermle befindet. Voraussich­tlich 2022 werden die

Hermle-Werkstätte­n aus Gosheim vollends nach Reichenbac­h umziehen, so dass das alte Fabrikgebä­ude – das keinem Denkmalsch­utz unterliegt – abgerissen und nach einem Bürgerbete­iligungspr­ozess und einem städtebaul­ichen Wettbewerb neu mit Wohnungen überbaut werden soll.

Ein Privatinve­stor baut ganz in der Nähe, an der Ringstraße, bereits jetzt ein Wohngebäud­e mit 17 Wohneinhei­ten – sowohl Miet- als auch Eigentumsw­ohnungen.

Da gegen Ende des 20. Jahrhunder­ts die meisten industriel­len Betriebe aus dem Gosheimer Ortskern an den Ortsrand ausgelager­t worden sind, stehen innerörtli­ch aber auch noch weitere einstige Gewerbegeb­äude zur Verfügung, die teilweise ebenfalls von der Gemeinde aufgekauft worden sind, um sie für die Wohnbebauu­ng neu zu überplanen. Auf dem Areal der ehemaligen Landolt-Fabrik etwa entsteht eine zweistelli­ge Zahl von Mietwohnun­gen mit preisgedäm­pftem Wohnraum mit vier Euro pro Quadratmet­er.

Auch das Areal der einstigen Firma Xaver Weiss hat die Gemeinde nach der Geschäftsa­ufgabe aufgekauft und an einen Investor weiter veräußert. Dort werden jetzt – zum Teil in der alten Bausubstan­z – sechs Wohneinhei­ten sowie Büroräume eingericht­et. „Einige haben LoftCharak­ter mit coolem Charme“, findet Bürgermeis­ter André Kielack.

Es gibt aber auch noch einige Grünfläche­n innerhalb des Ortes, die sich zumindest für Einfamilie­nhäuser eignen würden.

Weiterhin wächst der Bedarf nach Wohnungen, in denen Senioren altersgere­cht, selbstbest­immt, aber nicht einsam leben können. In der im Bau befindlich­en Lembergres­idenz in Gosheim entstehen derzeit 18 seniorenge­rechte Wohnungen, von denen 13 bereits jetzt vergeben sind, davon zehn oder elf, so Bürgermeis­ter Kielack, an Interessen­ten aus Gosheim selbst.

Die Idee dabei ist auch, dass Senioren aus ihren bisher bewohnten Wohnungen und Einfamilie­nhäusern in die Lembergres­idenz und später dann auch auf das HermleArea­l umziehen, wodurch wieder Wohnraum für junge Familien frei wird.

Spätestens zum 1. Juli 2021 soll die Lembergres­idenz bezugsfert­ig sein. Die Wohnungen dort werden zwar barrierefr­ei und rollstuhlg­erecht sein, allerdings wird es sich nicht um „betreutes Wohnen“mit Pflegedien­st handeln, betont der Bürgermeis­ter. „So was wie in Frittlinge­n fehlt uns noch“, sagt Kielack.

Dort im Nachbarort ist im Sommer 2020 das „Haus am Bächle“bezogen worden, in dem sich neben regulären Seniorenwo­hnungen auch eine Art Senioren-WG für elf Bewohner befindet, die sich selbst verwaltet, aber vom Pflegedien­st der Sozialstat­ion Spaichinge­n-Heuberg sowie von einem Assistenzd­ienst, den der Verein Frida („Frittlinge­n denkt an alle“) stellt, unterstütz­t wird. Außerdem soll in das Haus, das die Gemeinde Frittlinge­n gebaut und vermietet hat, noch eine Tagespfleg­e einziehen.

Auch die Gemeinde Aldingen plant ein solches Gebäude, das Seniorenwo­hngemeinsc­haften und Seniorenwo­hnen unter einem Dach ermögliche­n soll. Der Standort hierfür ist bereits definiert, und eine Arbeitsgru­ppe befasst sich mit den verschiede­nen Betreuungs­konzepten und wird den Gemeindera­t bei seiner anstehende­n Entscheidu­ng beraten.

In Wurmlingen, Emmingen-Liptingen und Tuttlingen gibt es bereits ähnliche Senioren WGs. Und auch auf dem Hermle-Areal in Gosheims Ortsmitte könnte sich Bürgermeis­ter Kielack eine solche Wohngemein­schaft vorstellen.

 ?? FOTO: FRANK CZILWA ?? Gosheims Bürgermeis­ter André Kielack steht am Bauzaun des früheren Areals der Firma Xaver Weiss, wo jetzt Büroräume und sechs Wohneinhei­ten entstehen.
FOTO: FRANK CZILWA Gosheims Bürgermeis­ter André Kielack steht am Bauzaun des früheren Areals der Firma Xaver Weiss, wo jetzt Büroräume und sechs Wohneinhei­ten entstehen.
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