Aus Gewerbe- wird Wohnraum
Der Wohnungsmangel bringt in Gosheim die Gemeinde dazu, das Heft selbst in die Hand zu nehmen
GOSHEIM/SPAICHINGEN/KREIS „Im Grunde fehlt es an allem“, so fasst es zum Beispiel Spaichingens Bürgermeister Markus Hugger zusammen, wenn er die Nachfrage nach Wohnraum mit dem Wohnungsangebot in der Stadt vergleicht – egal ob nun Eigenheim, Eigentumswohnungen, Mietwohnungen oder Sozialwohnungen. Auch in anderen Gemeinden im Landkreis sind Wohnungen aller Art knapp. Gosheim geht das Problem mit einem ehrgeizigen Gesamtkonzept an.
Die Gemeinde Gosheim ist in einer sonderbaren Situation: Einerseits ist sie als ein „Weltzentrum der Drehteile“wirtschaftlich äußerst dynamisch, hat rund 3500 Arbeitsplätzen (bei 3800 Einwohnern) und gilt als eine der reichsten Kommunen im Landkreis. Zugleich aber ist sie eine von nur fünf der insgesamt 35 Städte und Gemeinden im Kreis Tuttlingen, die in den vergangenen zehn Jahren einwohnermäßig geschrumpft sind. Der Grund: Der Mangel an Wohnungen.
Derzeit, so Bürgermeister André Kielack, gibt es eine Warteliste von über 100 Interessenten, die eine Wohnung oder einen Bauplatz in Gosheim suchen. Etwa 70 Prozent von diesen, so schätzt er, wollten einen Bauplatz, etwa 30 Prozent suchten eine Wohnung.
Wenn man auf die Pläne der bestehenden Gosheimer Wohngebiete blickt, so sieht man derzeit zwar noch so manche Lücken und freie Grundstücke. Doch hier seien die privaten Eigentümer derzeit nicht bereit, zu bauen oder die Grundstücke an Bauwillige zu verkaufen. Zudem ist die Gemeinde von Naturschutzgebieten umgeben, so dass einer weiteren Expansion nach außen ein Riegel vorgeschoben ist. Aber auch in den meisten anderen Gemeinden kommt der Bau von Einfamilienhäusern draußen „auf der grünen Wiese“– auch aus Gründen des Landschaftsschutzes – bald an seine Grenzen.
Deshalb ist die Gemeinde Gosheim selbst tätig geworden und sorgt für weiteren Wohnraum im Ortskern. Dies ist aber nur deshalb möglich, weil die Gemeinde finanziell sehr gut dasteht. So konnte sie Ende des vergangenen Jahres für rund 1,5 Millionen Euro das Areal mitten im Ort kaufen, auf dem sich derzeit noch die Firma Uhren Hermle befindet. Voraussichtlich 2022 werden die
Hermle-Werkstätten aus Gosheim vollends nach Reichenbach umziehen, so dass das alte Fabrikgebäude – das keinem Denkmalschutz unterliegt – abgerissen und nach einem Bürgerbeteiligungsprozess und einem städtebaulichen Wettbewerb neu mit Wohnungen überbaut werden soll.
Ein Privatinvestor baut ganz in der Nähe, an der Ringstraße, bereits jetzt ein Wohngebäude mit 17 Wohneinheiten – sowohl Miet- als auch Eigentumswohnungen.
Da gegen Ende des 20. Jahrhunderts die meisten industriellen Betriebe aus dem Gosheimer Ortskern an den Ortsrand ausgelagert worden sind, stehen innerörtlich aber auch noch weitere einstige Gewerbegebäude zur Verfügung, die teilweise ebenfalls von der Gemeinde aufgekauft worden sind, um sie für die Wohnbebauung neu zu überplanen. Auf dem Areal der ehemaligen Landolt-Fabrik etwa entsteht eine zweistellige Zahl von Mietwohnungen mit preisgedämpftem Wohnraum mit vier Euro pro Quadratmeter.
Auch das Areal der einstigen Firma Xaver Weiss hat die Gemeinde nach der Geschäftsaufgabe aufgekauft und an einen Investor weiter veräußert. Dort werden jetzt – zum Teil in der alten Bausubstanz – sechs Wohneinheiten sowie Büroräume eingerichtet. „Einige haben LoftCharakter mit coolem Charme“, findet Bürgermeister André Kielack.
Es gibt aber auch noch einige Grünflächen innerhalb des Ortes, die sich zumindest für Einfamilienhäuser eignen würden.
Weiterhin wächst der Bedarf nach Wohnungen, in denen Senioren altersgerecht, selbstbestimmt, aber nicht einsam leben können. In der im Bau befindlichen Lembergresidenz in Gosheim entstehen derzeit 18 seniorengerechte Wohnungen, von denen 13 bereits jetzt vergeben sind, davon zehn oder elf, so Bürgermeister Kielack, an Interessenten aus Gosheim selbst.
Die Idee dabei ist auch, dass Senioren aus ihren bisher bewohnten Wohnungen und Einfamilienhäusern in die Lembergresidenz und später dann auch auf das HermleAreal umziehen, wodurch wieder Wohnraum für junge Familien frei wird.
Spätestens zum 1. Juli 2021 soll die Lembergresidenz bezugsfertig sein. Die Wohnungen dort werden zwar barrierefrei und rollstuhlgerecht sein, allerdings wird es sich nicht um „betreutes Wohnen“mit Pflegedienst handeln, betont der Bürgermeister. „So was wie in Frittlingen fehlt uns noch“, sagt Kielack.
Dort im Nachbarort ist im Sommer 2020 das „Haus am Bächle“bezogen worden, in dem sich neben regulären Seniorenwohnungen auch eine Art Senioren-WG für elf Bewohner befindet, die sich selbst verwaltet, aber vom Pflegedienst der Sozialstation Spaichingen-Heuberg sowie von einem Assistenzdienst, den der Verein Frida („Frittlingen denkt an alle“) stellt, unterstützt wird. Außerdem soll in das Haus, das die Gemeinde Frittlingen gebaut und vermietet hat, noch eine Tagespflege einziehen.
Auch die Gemeinde Aldingen plant ein solches Gebäude, das Seniorenwohngemeinschaften und Seniorenwohnen unter einem Dach ermöglichen soll. Der Standort hierfür ist bereits definiert, und eine Arbeitsgruppe befasst sich mit den verschiedenen Betreuungskonzepten und wird den Gemeinderat bei seiner anstehenden Entscheidung beraten.
In Wurmlingen, Emmingen-Liptingen und Tuttlingen gibt es bereits ähnliche Senioren WGs. Und auch auf dem Hermle-Areal in Gosheims Ortsmitte könnte sich Bürgermeister Kielack eine solche Wohngemeinschaft vorstellen.