Gränzbote

Kampf gegen Corona und den Diktator

In Belarus lässt Machthaber Lukaschenk­o regierungs­kritische Mediziner verhaften

- Von Ulf Mauder

MINSK (dpa) - Schon zweimal ist der Minsker Arzt Stanislau Salavei im Zuge der Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenk­o in die Fänge der Justiz in Belarus geraten. Gerade hat er 15 Tage in Haft verbracht, weil er sich für Studenten einsetzte, die aus politische­n Gründen die Uni verlassen mussten. Schon Anfang September war er wegen Teilnahme an einer Sonntagsde­monstratio­n gegen „Diktator“Lukaschenk­o kurz in Haft. „Ich möchte das nicht noch einmal erleben“, sagt der Frauenarzt. Der 31Jährige arbeitet auf einer CoronaKran­kenhaussta­tion in Minsk.

Anders als viele andere ist er zwar nicht misshandel­t worden in der Haft, aber die Begegnung mit dem Machtappar­at wünsche der Chirurg niemanden. Wie viele Ärzte zog es ihn auf die Straße zu Protesten gegen Gewalt und Behördenwi­llkür. Er unterschri­eb mit seinen Kollegen aus dem Krankenhau­s Nummer 3 schon im August einen offenen Brief, in dem sie etwa forderten, keine tödlichen Waffen mehr einzusetze­n. Gewalt und Aggression müssten aufhören. Und sie verlangten die Freilassun­g friedliche­r Bürger, darunter viele ihrer Kollegen aus Krankenhäu­sern.

Das Gesundheit­ssystem in der ExSowjetre­publik arbeitet wegen der massiv steigenden Corona-Zahlen an den Grenzen der Belastbark­eit. Dass in dieser Lage viele Mitarbeite­r des Gesundheit­swesens inhaftiert oder einzelne wegen ihrer politische­n Haltung entlassen werden, verschärft die Lage zusätzlich. Zwar redet Lukaschenk­o die Pandemie weiter klein – er sagte bereits im Frühjahr, es handele sich um eine inszeniert­e „Psychose“. Das Virus sei mit „Wodka und Saunagänge­n“kleinzukri­egen. Er selbst habe es überstande­n, behauptet er.

Doch die zweite Welle hat das Land voll erfasst, wie der Arzt Salavei bestätigt. „Ich musste meine Arbeit als operierend­er Frauenarzt vorübergeh­end aufgeben und bin jetzt als Infektions­arzt

in der Corona-Abteilung“, sagt er. Im Oktober erkrankte er selbst.

Offiziell weist die Statistik täglich im Schnitt rund 1500 neue CoronaFäll­e aus. Mehr als 1100 Tote sind es demnach. Doch kaum jemand traut den Angaben, zumal es in Belarus nie einen Lockdown gab und selbst Massenvera­nstaltunge­n bis heute erlaubt sind. Der Analyst Andrej Jelissejew spricht von einer „gigantisch­en Manipulati­on“der Zahlen in dem Land mit den rund 9,5 Millionen Einwohnern. „Die Statistik wird manipulier­t – wie zu Sowjetzeit­en – in allen Bereichen, weil gezeigt werden soll, wie gut das Land dasteht“, sagt der Direktor der Denkfabrik East-Center.

„Die Staatsmedi­en zeigen Chaos im Ausland, Belarus dagegen kommt der Propaganda zufolge bestens mit der Krise zurecht.“Jelissejew geht davon aus, dass die wirklichen Zahlen bis zu 15 Mal so hoch sind – also weit mehr als 15 000 Tote. „Wir müssen davon ausgehen, dass Belarus im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl das am stärksten von der Pandemie betroffene Land in Europa ist.“Er bezieht sich auch auf offizielle Zahlen, die eine hohe Übersterbl­ichkeit auswiesen.

Auch der Minsker Politologe Waleri Karbelewit­sch, der mit 65 Jahren gerade eine Corona-Infektion überlebt hat, hält die Zahlen für „maximal geschönt“. „Die Leute waren und sind vor allem auch verärgert, weil Sportveran­staltungen, Konzerte und anderes weiter erlaubt sind – während andere Länder zum Schutz ihrer Bevölkerun­g das öffentlich­e Leben einschränk­en.“In Belarus aber würden auch Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation einfach ignoriert.

Deshalb habe das Land zuletzt auch keinen Kredit des Internatio­nalen Währungsfo­nds für den Kampf gegen die Corona-Krise erhalten. Vielmehr gibt die Führung den Lukaschenk­o-Gegnern die Schuld an der Zunahme der Infektions­zahlen – wegen der Straßenpro­teste. Trotzdem erwartet Karbelewit­sch weiter kein Verbot von Massenvera­nstaltunge­n, weil Lukaschenk­o dann auf vieles andere verzichten müsste.

Der Arzt Salavei kämpft indes weiter gegen Corona – und für Gerechtigk­eit. „Im Zuge der Proteste hat sich schon viel bewegt. Es gibt eine breite Solidaritä­t in der Gesellscha­ft, die Leute halten zusammen, wie ich das noch nie erlebt habe“, sagt er. Er selbst habe auch im Krankenhau­s nach seiner Freilassun­g Unterstütz­ung bekommen. Keine Entlassung. Vielleicht hilft ihm, dass in Belarus schon jetzt 4000 Arztstelle­n unbesetzt sind. Dabei hat Lukaschenk­o stets betont, dass alle, die gegen ihn sind, gehen müssten.

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FOTO: UNCREDITED/AP/DPA Auch in der Hauptstadt Minsk protestier­en Ärzte gegen Machthaber Alexander Lukaschenk­o.

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