Gränzbote

Stiko-Chef Mertens hält Impfstoffe für hinreichen­d sicher

Der Stiko-Vorsitzend­e Thomas Mertens über die Sicherheit des Impfstoffs und die Strategie hinter der Corona-Impfung

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RAVENSBURG (pek) - Thomas Mertens, der Vorsitzend­e der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko), ist überzeugt, dass die demnächst zum Einsatz kommenden Corona-Impfstoffe sicher sind. „Bei den bisherigen Tests an Menschen – das waren insgesamt etwa 25 000 – ist es zu keinen schweren Nebenwirku­ngen gekommen“, sagt der Ulmer Virologe im Interview der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zudem verteidigt Mertens den Vorschlag der Stiko, zunächst Hochbetagt­e und Senioren zu impfen. Das Studium aller verfügbare­n Daten habe ergeben, „dass das größte Einzelrisi­ko das Alter ist“.

RAVENSBURG - Der Start der Corona-Impfung rückt näher. Auch im Südwesten werden dafür große Impfzentre­n eingericht­et. Die Ständige Impfkommis­sion des Bundes (Stiko) empfiehlt, die Bevölkerun­g in einer festen Reihenfolg­e zu impfen. Der Ulmer Virologe Thomas Mertens ist seit 2017 der Vorsitzend­e der Stiko. Im Gespräch mit Florian Peking erklärt er, warum es eine Rangfolge beim Verteilen des Vakzins geben muss, wie sicher der Impfstoff ist und wie der Start der massenhaft­en Impfungen im neuen Jahr gelingen kann.

Herr Mertens, lassen Sie sich impfen, sobald Sie an der Reihe sind?

Ja – und ich kann Ihnen das auch begründen: Ich kann mein persönlich­es Risiko für schwere Erkrankung­en angesichts meines Alters ziemlich genau ausrechnen. Es ist völlig irrational, das mit irgendwelc­hen spekulativ­en Risiken der Impfung aufwiegen zu wollen.

Im Plan der Stiko für die Verteilung des Impfstoffs gibt es verschiede­ne Stufen der Priorität. Warum ist eine solche Abstufung überhaupt nötig?

Man braucht sie, weil der Impfstoff am Anfang nicht für alle ausreichen wird. Wir müssen immer zwischen zwei Indikation­en für die Impfung unterschei­den: Das eine ist der Individual­schutz und das andere der Versuch, mit dem Impfstoff eine epidemiolo­gische Auswirkung zu erziehes len. Bis Zweiteres eintritt – man also eine Veränderun­g der Dynamik der Infektion bemerken kann – vergehen sicher mehrere Monate. Mit dem Individual­schutz kann man aber bestimmte Risikogrup­pen rasch schützen und übrigens auch den größten Nutzen für unsere Gemeinscha­ft erzielen.

Nach welchen Kriterien kommen die Prioritäts-Stufen zustande?

Wir haben mit großem Aufwand die gesamte Literatur, die es dazu gibt, ausgewerte­t, um die individuel­len Risiken quantitati­v angeben zu können. Wir haben also Daten zu dem tatsächlic­hen Erkrankung­srisiko der einzelnen Gruppen in der Bevölkerun­g gesammelt. Dabei kam heraus, dass das größte Einzelrisi­ko das Alter ist. Erstaunlic­herweise gibt es nur eine Gruppe, die ein ähnlich hoRisiko hat: Das sind die Menschen mit Trisomie 21. Natürlich wird man gleichzeit­ig mit der Gruppe der Hochrisiko­personen auch das gleich priorisier­te Pflegepers­onal, zum Beispiel in Altenheime­n, und auch die besonders infektions­gefährdete­n Mitarbeite­r im Medizinsys­tem impfen.

Dieser ersten Stufe der Priorität gehören in Deutschlan­d mehr als acht Millionen Menschen an. Kann eine Impfung bei dieser großen Zahl überhaupt funktionie­ren?

Es braucht natürlich alles eine gewisse Zeit. Trotzdem ist es ja wichtig zu wissen, mit wem man anfangen will – und mit dieser Priorisier­ung haben wir den richtigen Anfang für die Impfkampag­ne. Wie lange es letztlich dauert hängt zum Beispiel davon ab, wie viel Impfstoff wochenweis­e zur Verfügung steht und wie die Impfzentre­n funktionie­ren. Das sind logistisch­e Voraussetz­ungen, die gegeben sein müssen – und die müssen von den Ländern geschaffen werden, nicht von der Stiko oder vom Bund.

Wann rechnen Sie mit einer Zulassung des Impfstoffs in der EU?

Ich denke, das passiert in der letzten Dezemberwo­che.

Und wie wird der Impfstart im neuen Jahr dann aussehen?

Man wird zum einen versuchen, mit mobilen Impfteams die Menschen in den Altenheime­n zu impfen – und nach Möglichkei­t auch die pflegenden Personen gleich mit zu impfen. Außerdem wird man anfangen, in den Impfzentre­n die mobilen Hochbetagt­en zu impfen. Und man wird in Krankenhäu­sern die Menschen des medizinisc­hen Personals mit einem besonders hohen Risiko für Infektion und Weitergabe der Infektion an gefährdete Patienten impfen. Wie lange das dann in Tagen oder Wochen dauert, kann derzeit niemand so genau sagen.

Viele Menschen können einen Impfstoff kaum erwarten, es gibt aber auch einige, die Angst davor haben oder skeptisch sind. Wie sicher sind diese ersten Impfstoffe?

Bei den bisherigen Tests an Menschen – das waren insgesamt etwa 25 000 – ist es zu keinen schweren Nebenwirku­ngen gekommen. Man kann aus logischen Gründen nicht ausschließ­en, dass seltene Nebenwirku­ngen noch auftreten können, ist ja klar. Aber wir haben ja nur die Möglichkei­t, entweder auf Grundlage der bisherigen – und ausreichen­den – Daten, zu impfen – oder noch zwei Jahre Studien betreiben. Andere Möglichkei­ten haben wir nicht. Seltene Risiken bei neuen Impfstoffe­n oder Medikament­en können letztlich nicht ausgeschlo­ssen werden. Sie werden erst ist in der Anwendung sichtbar. Das ist unvermeidb­ar.

Wie könnte man die Impfbereit­schaft steigern?

Möglichst transparen­te Aufklärung ist wahrschein­lich das einzige, was man machen kann. Außerdem glaube ich, dass wenn die Impfkampag­ne mal angelaufen ist und die Leute hoffentlic­h sehen, dass dabei nichts passiert, die Impfbereit­schaft zunehmen wird.

Wie schnell können Impfungen die Pandemie stoppen?

Das wird lange dauern – sicherlich Monate. Ein richtig deutlicher Einfluss auf die Pandemie und die Dynamik der Infektione­n wird man erst sehen, wenn ein relativ hoher Anteil der Bevölkerun­g geimpft oder immun ist. Wir glauben, dass es mindestens 60 Prozent der Bevölkerun­g sein müssen. Selbst dann, wenn immer genug Impfstoff vorhanden ist, die Impfzentre­n gut funktionie­ren und die Menschen sich impfen lassen, wird das eine ganze Weile dauern. Anderersei­ts kann man sich natürlich überlegen, wenn ein Großteil der sehr gefährdete­n Menschen geimpft und geschützt ist, ob man schrittwei­se die Einschränk­ungen zum Schutz vor Virusübert­ragungen zurücknimm­t. Das sind dann sicherlich nicht alle auf einmal, aber doch einige. In unserem Online-Faktenchec­k nimmt Virologe Thomas Mertens Stellung zu Argumenten von Impfgegner­n. Was er beispielsw­eise von der Behauptung hält, dass Frauen durch eine Corona-Impfung unfruchtba­r werden können, lesen Sie auf unserer Internetse­ite unter schwäbisch­e.de/impfen20

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? Für den Probelauf des Impfzentru­ms in Freiburg schlüpften etwa 100 Medizinstu­denten in verschiede­ne Rollen als Ärzte, medizinisc­he Assistenz sowie als Impfwillig­e. Allein in Baden-Württember­g soll an mehr als 50 Standorten geimpft werden.
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Für den Probelauf des Impfzentru­ms in Freiburg schlüpften etwa 100 Medizinstu­denten in verschiede­ne Rollen als Ärzte, medizinisc­he Assistenz sowie als Impfwillig­e. Allein in Baden-Württember­g soll an mehr als 50 Standorten geimpft werden.

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