Merkels flammender Appell für den harten Lockdown
Kanzlerin schließt sich Forderungen der Leopoldina an – Noch kein Termin für erneutes Bund-Länder-Treffen
BERLIN (dpa/AFP) - Schon häufiger hatte sich die Bundeskanzlerin zuletzt emotional geäußert, doch so vehement wie am Mittwoch hat Angela Merkel selten für ihren Kurs in der Corona-Politik geworben: Gut zehn Minuten lang warb die CDU-Politikerin – teilweise flehentlich – für einen harten Lockdown nach Weihnachten. Sie schloss sich den Forderungen der Wissenschaftsakademie Leopoldina an. Auch signalisierte Merkel Bereitschaft für ein baldiges
Bund-Länder-Treffen. Ein Termin steht hierfür aber noch nicht fest.
„Wir müssen uns jetzt noch mal anstrengen und das gemeinsam durchstehen“, drängte die Kanzlerin. In einer Phase bis zum 10. Januar sollten Geschäfte geschlossen werden. Es sollten zudem die Schulferien bereits am 16. Dezember beginnen, alternativ sollte auf Digitalunterricht umgestellt werden. Es müsse alles getan werden, um ein erneutes exponentielles Wachstum der Infektionszahlen zu verhindern. Der Preis von 590 Corona-Toten innerhalb eines Tages sei nicht akzeptabel, sagte die Kanzlerin. Das Robert-Koch-Institut hatte am Mittwochmorgen diesen neuen Höchststand bei den Sterbefällen gemeldet. „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben“, sagte die Kanzlerin.
BERLIN - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich im Bundestag für schärfere Corona-Regeln ausgesprochen und sich dabei auf eine entsprechende Empfehlung der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina berufen. Entscheiden müssen aber am Ende die Regierungschefs der Länder. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Bundeskanzlerin Merkel spricht sich für die Leopoldina-Strategie aus. Was heißt das genau?
Die Nationale Akademie der Wissenschaften fordert eine drastische Verschärfung der Corona-Beschränkungen bereits ab kommender Woche. So soll nach dem Willen der Akademiemitglieder von Montag an in ganz Deutschland die Schulpflicht aufgehoben werden. Von Heiligabend bis zum 10. Januar soll das öffentliche Leben weitgehend ruhen – alle Geschäfte bis auf Lebensmittelläden sollen schließen und in manchen Bundesländern würden die Weihnachtsferien verlängert. Die Politik tue gut daran, die Empfehlungen der Wissenschaft „auch wirklich ernst zu nehmen“, sagte Merkel. Aber an den Vorschlägen des Wissenschaftsgremiums gibt es Kritik. Man solle „nicht wieder als Erstes“daran denken, Schüler möglichst zu Hause zu lassen, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Kultusministerin Stefanie Hubig (SPD), am Mittwoch. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, warnte vor einem „harten Runterfahren“der gesamten Wirtschaft. Entscheidend sei vielmehr, „dass die politisch Verantwortlichen bei unterschiedlichen Infektionsgeschehen unterschiedlich reagieren“.
Werden die Länder gemeinsam einen Lockdown beschließen?
Auch aus den Ländern wird der Ruf nach schärferen Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens lauter. Im Raum steht eine neue Schaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten, die allerdings wegen des EU-Gipfels in Brüssel an diesem Donnerstag und Freitag frühestens am Wochenende stattfinden könnte. Alle Seiten seien im Gespräch, sagte Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz in Berlin. Sie könne im Moment aber noch keinen Termin nennen. Dass es zu einem gemeinsamen Beschluss eines bundesweiten Lockdowns kommt, ist aber unwahrscheinlich. Als erstes Bundesland hat sich Niedersachsen festgelegt, dass man keinen bundesweiten Lockdown und auch keinen weiteren Corona-Krisengipfel mit Bund und Ländern wolle. „In den verschiedenen Regionen Deutschlands gibt es sehr unterschiedliche Infektionslagen“, sagte eine Regierungssprecherin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Bei sämtlichen weiteren Maßnahmen werde man sich deshalb vor allem „an der Situation in Niedersachsen orientieren“. Bayern und Nordrhein-Westfalen dringen dagegen darauf, dass es einen gemeinsamen Beschluss zu neuen Beschränkungen geben soll – weil jede Entscheidung eines Bundeslands Auswirkungen auf Nachbarländer habe, wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) betonte. 590 gemeldete Corona-Tote an einem Tag sind ein neuer Höchstwert.
Wie groß sind die regionalen Unterschiede?
Sehr groß. In Bayern starben an einem Tag 107 Menschen an oder mit Covid-19. Dahinter folgen NRW (103), Sachsen (74) und Baden-Württemberg (72). Die wenigsten CoronaToten gab es in Schleswig-Holstein (2), Bremen (3), Mecklenburg-Vorpommern (8), Hamburg und Saarland (je 10) sowie Brandenburg (13). Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt Bayern bei den Toten vor NordrheinWestfalen und Baden-Württemberg. 87 Prozent der Corona-Toten waren 70 Jahre und älter.