Brexit zum Dessert
Johnson und von der Leyen treffen sich zum Essen – Erwartungen an das Ergebnis sind gedämpft
LONDON - Vor dem Besuch des britischen Premierministers bei EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben am Mittwoch beide Seiten die Aussicht auf eine Einigung kleingeredet. Zwar liege eine Vereinbarung über die zukünftigen Handelsbeziehungen im Bereich des Möglichen, betonte Boris Johnson im Londoner Unterhaus. Dazu sei aber weitere Kompromissbereitschaft der anderen Seite notwendig. Irlands Außenminister Simon Coveney warnte in Dublin vor übergroßen Erwartungen: Zur Debatte stehe nur noch ein „dünner Deal“.
Das Abendessen in Brüssel hatten Ursula von der Leyen und Johnson bei ihrem zweiten ergebnislosen Telefonat binnen 48 Stunden am Montag verabredet. Der Besuch sei „reines Theater“, analysierte Stephen Bush vom Wochenmagazin „New Statesman“. Bis zuletzt unklar bleibe aber, ob der konservative Regierungschef Zugeständnisse an die EU als „großen britischen Triumph“verkaufen oder nur sicherstellen wolle, „dass alle außer ihm Schuld am Scheitern der Verhandlungen tragen“. Vor allen anderen gehört britischer Lesart zufolge Frankreichs Präsident dazu; wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verweigerte Emmanuel Macron Versuche aus London, durch bilaterale Kontakte Brüssel auszuhebeln. Am 1. Januar scheidet die Insel im Chaos („No Deal“) aus dem grössten Binnenmarkt der Welt aus – oder es tritt die angestrebte neue Vereinbarung in Kraft. Dazu bedarf es der Überbrückung „erheblicher Differenzen“, wie beide Seiten betonten. Wie seit Monaten drehen sich mögliche Kompromissideen um faire Konkurrenzbedingungen, das sogenannte level-playing-field; die Schlichtungsinstanzen bei zukünftigen Konflikten der Vertragsparteien; sowie die Fischereiquoten.
Dass die Londoner Regierung zu schwierigen Kompromissen in der Lage ist, bewies zu Wochenbeginn Kabinettsbürominister Michael Gove. Mit EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic einigte er sich über die praktische Umsetzung des sogenannten Nordirland-Protokolls. Der britische Teil der grünen Insel verbleibt dem Austrittsvertrag zufolge im EU-Binnenmarkt, um die politisch sensible Durchlässigkeit der Landgrenze zur Republik Irland zu gewährleisten. Dadurch werden begrenzte Kontrollen im Handel zwischen Nordirland und der britischen Insel notwendig.
Immer deutlicher wurde in der Choreografie der vergangenen Wochen, dass keine der beiden Seiten die Schuld am Scheitern der Gespräche auf sich nehmen will. Großbritannien dürften zum Jahreswechsel ohnehin komplizierte Verhältnisse an den Grenzen bevorstehen. Weder Gove noch Johnson mochten im Unterhaus bestätigen, dass die dann zusätzlich notwendigen 50 000 Zollexperten bereits in Lohn und Brot, geschweige denn ausgebildet sind. Die Betreiber wichtiger Containerhäfen beklagen schon jetzt Versorgungsengpässe.