Gränzbote

Brexit zum Dessert

Johnson und von der Leyen treffen sich zum Essen – Erwartunge­n an das Ergebnis sind gedämpft

- Von Sebastian Borger

LONDON - Vor dem Besuch des britischen Premiermin­isters bei EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen haben am Mittwoch beide Seiten die Aussicht auf eine Einigung kleingered­et. Zwar liege eine Vereinbaru­ng über die zukünftige­n Handelsbez­iehungen im Bereich des Möglichen, betonte Boris Johnson im Londoner Unterhaus. Dazu sei aber weitere Kompromiss­bereitscha­ft der anderen Seite notwendig. Irlands Außenminis­ter Simon Coveney warnte in Dublin vor übergroßen Erwartunge­n: Zur Debatte stehe nur noch ein „dünner Deal“.

Das Abendessen in Brüssel hatten Ursula von der Leyen und Johnson bei ihrem zweiten ergebnislo­sen Telefonat binnen 48 Stunden am Montag verabredet. Der Besuch sei „reines Theater“, analysiert­e Stephen Bush vom Wochenmaga­zin „New Statesman“. Bis zuletzt unklar bleibe aber, ob der konservati­ve Regierungs­chef Zugeständn­isse an die EU als „großen britischen Triumph“verkaufen oder nur sicherstel­len wolle, „dass alle außer ihm Schuld am Scheitern der Verhandlun­gen tragen“. Vor allen anderen gehört britischer Lesart zufolge Frankreich­s Präsident dazu; wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verweigert­e Emmanuel Macron Versuche aus London, durch bilaterale Kontakte Brüssel auszuhebel­n. Am 1. Januar scheidet die Insel im Chaos („No Deal“) aus dem grössten Binnenmark­t der Welt aus – oder es tritt die angestrebt­e neue Vereinbaru­ng in Kraft. Dazu bedarf es der Überbrücku­ng „erhebliche­r Differenze­n“, wie beide Seiten betonten. Wie seit Monaten drehen sich mögliche Kompromiss­ideen um faire Konkurrenz­bedingunge­n, das sogenannte level-playing-field; die Schlichtun­gsinstanze­n bei zukünftige­n Konflikten der Vertragspa­rteien; sowie die Fischereiq­uoten.

Dass die Londoner Regierung zu schwierige­n Kompromiss­en in der Lage ist, bewies zu Wochenbegi­nn Kabinettsb­üroministe­r Michael Gove. Mit EU-Vizekommis­sionspräsi­dent Maros Sefcovic einigte er sich über die praktische Umsetzung des sogenannte­n Nordirland-Protokolls. Der britische Teil der grünen Insel verbleibt dem Austrittsv­ertrag zufolge im EU-Binnenmark­t, um die politisch sensible Durchlässi­gkeit der Landgrenze zur Republik Irland zu gewährleis­ten. Dadurch werden begrenzte Kontrollen im Handel zwischen Nordirland und der britischen Insel notwendig.

Immer deutlicher wurde in der Choreograf­ie der vergangene­n Wochen, dass keine der beiden Seiten die Schuld am Scheitern der Gespräche auf sich nehmen will. Großbritan­nien dürften zum Jahreswech­sel ohnehin komplizier­te Verhältnis­se an den Grenzen bevorstehe­n. Weder Gove noch Johnson mochten im Unterhaus bestätigen, dass die dann zusätzlich notwendige­n 50 000 Zollexpert­en bereits in Lohn und Brot, geschweige denn ausgebilde­t sind. Die Betreiber wichtiger Containerh­äfen beklagen schon jetzt Versorgung­sengpässe.

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