Gränzbote

30 Millionen Autos ohne Abgase

Die EU-Kommission hat ihre Vision für eine klimafreun­dliche Verkehrswe­nde vorgestell­t

- Von Verena Schmitt-Roschmann

BRÜSSEL (dpa) - Für einen klimafreun­dlicheren Verkehr will die EUKommissi­on rasch viel mehr Autos ohne Abgase auf Europas Straßen. Bis 2030 sollten mindestens 30 Millionen emissionsf­reie Fahrzeuge in Betrieb sein, fordert eine neue Strategie, die Kommission­svize Frans Timmermans am Mittwoch vorstellte. Der Niederländ­er bekräftigt darin auch Pläne für striktere CO2- und Schadstoff­grenzwerte, gegen die die deutsche Autoindust­rie bereits Sturm läuft.

„Es ist klar, dass wir die Emissionsr­egeln anziehen müssen“, sagte Timmermans. „Ich kann die Tatsache nicht verbergen, dass wir streng sein müssen.“Konkret werden sollen diese Vorhaben aber erst im nächsten Jahr.

Vorerst ist die „Strategie für eine nachhaltig­e und smarte Mobilität“eher eine Vision – und die geht über emissionsf­reie Autos weit hinaus. Es ist die Blaupause für eine Verkehrswe­nde bis 2050. Dann soll die Europäisch­e Union klimaneutr­al sein, also alle Treibhausg­ase vermeiden oder ausgleiche­n. Der Verkehr ist für fast 30 Prozent der Kohlendiox­idemission­en in der EU verantwort­lich. „Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen die Emissionen des Transports­ektors klar nach unten gehen“, sagte Timmermans.

Seine Rezepte sind nicht gerade revolution­är neu: Saubere Autos, mehr Verkehr auf die Schiene, mehr Fracht auf Binnenschi­ffe, saubere Kraftstoff­e – das predigen Klimaschüt­zer seit Jahrzehnte­n, bisher mit mäßigem Erfolg.

Immerhin setzt die Kommission einige konkrete Zielmarken auch neben den 30 Millionen abgasfreie­n Fahrzeugen. Bis 2030 soll sich der Verkehr mit Hochgeschw­indigkeits­zügen verdoppeln und mindestens 100 Städte in Europa sollen klimaneutr­al sein. Bei planbaren kollektive­n Reisen unter 500 Kilometer soll kein CO2 mehr frei werden. Der Frachtverk­ehr auf der Schiene soll um 50 Prozent wachsen, der Transport auf Binnenschi­ffen und kurzen Verbindung­en übers Meer um 25 Prozent. Schiffe ohne Abgase sollen marktreif sein.

In zehn Jahren soll auch automatisi­ertes Fahren im großen Stil möglich sein. Und Bürger sollen mühelos mit einem Ticket und gesicherte­n Passagierr­echten bei einer Reise von einem Verkehrsmi­ttel aufs andere umsteigen können, also etwa vom Leihwagen in den Zug.

Bis 2035 sollen dann große emissionsf­reie Flugzeuge marktreif sein. Bis 2050 sollen fast alle Autos, Vans, Busse und neue Lastwagen emissionsf­rei fahren und sich der Frachtverk­ehr auf der Schiene verdoppeln. Dann soll ein voll funktionst­üchtiges transeurop­äisches Transportn­etz mit unterschie­dlichen, umweltfreu­ndlichen, digitalisi­erten, sicheren Verkehrsmi­tteln existieren. Die Zahl der Verkehrsto­ten soll auf nahe null sinken.

So weit der Plan. Die konkrete Umsetzung wird erst in den nächsten Jahren Gestalt annehmen. In einem seitenlang­en Anhang zu ihrer Strategie listet die Kommission rund 80 Einzelvorh­aben auf. Sie sollen einerseits mit nachgeschä­rften Regeln Anreize für die Industrie setzen, die sauberen Verkehrsmi­ttel wirklich rasch voranzubri­ngen – genau diese schnelle oder gar überstürzt­e Durchsetzu­ng extrem niedriger Emissionss­tandards fürchtet die Autoindust­rie.

Bürgern soll der Umstieg und die Änderung ihrer Verkehrsmu­ster schmackhaf­t gemacht werden. Und Geldgeber sollen zu Investitio­nen ermutigt werden. Denn für den Umbau setzt die Kommission allein in den Jahren 2021 bis 2030 zusätzlich­e Investitio­nen aus öffentlich­er und privater Hand in Höhe von 130 Milliarden Euro pro Jahr an. Darin enthalten sind die Kosten für neue Fahrzeuge, einschließ­lich großer Gefährte wie Schiffe oder Flugzeuge. Für Infrastruk­tur könnten noch einmal 100 Milliarden Euro pro Jahr hinzukomme­n.

Kritik an dem Plan ließ nicht lange auf sich warten. So monierte Greenpeace, dass das Ziel von 30 Millionen emissionsf­reien Fahrzeugen bis 2030 weit hinter dem Möglichen und dem Nötigen zurückblei­be. Deutschlan­d alleine plane ja bereits sieben bis zehn Millionen E-Autos bis dahin. Derzeit gibt es nach Angaben des europäisch­en Autoverban­ds Acea mehr als 312 Millionen motorbetri­ebene Fahrzeuge in Europa.

Der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber kritisiert­e hingegen: „Es fehlen echte Lösungsans­ätze für urbane Mobilität, und die Schwierigk­eit der ländlichen Regionen, bei den anstehende­n Änderungen im Verkehr abgehängt zu werden, ist gar nicht erst erwähnt.“Auch zum autonomen Fahren fehle eine Strategie, wie Vernetzung und Automatisi­erung ablaufen sollen.

„Ich hoffe, die Kommission hat in ihren Schubladen mehr Ideen zur Modernisie­rung des Verkehrs, als sie in der neuen Strategie auflistet“, meinte Ferber. Denn dieser Plan biete kaum Neues.

Aus Sicht des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA) setzt die Strategie zu stark auf Verkehrstr­äger jenseits der Straße: „Schiffe und Züge werden den Mobilitäts­bedarf der Menschen alleine nicht bewältigen können, wie soll das gehen?“Digitalisi­erung und Vernetzung im Straßenver­kehr seien nur oberflächl­ich und allgemein behandelt worden, teilte der VDA mit. „Dabei brauchen wir doch gerade jetzt massive Investitio­nen in die digitalen Netzwerke, wir brauchen die rechtliche Ermöglichu­ng für autonomes Fahren und natürlich die Ladeinfras­truktur.“

Lob für die Strategie kam von der Vorsitzend­en des deutschen Energiebra­nchenverba­nds BDEW, Kerstin Andreae. Sie sei ein wichtiger Schritt zur angestrebt­en Klimaneutr­alität.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Das Elektroaut­o ID.3 auf dem Montageban­d im VW-Werk in Zwickau: Die EU-Kommission hat das Ziel formuliert, in zehn Jahren 30 Millionen emissionsf­reie Autos auf die Straße zu bringen.
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FOTO: AFP Frans Timmermans

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