Gränzbote

Ungewisshe­it in Oberstdorf

Den Oberallgäu­er Ferienort Oberstdorf treffen die Corona-Einschränk­ungen für den Winterspor­t hart – Die Tourismusb­ranche ist verärgert über das Vorgehen von Bayerns Ministerpr­äsident Söder

- Von Uwe Jauß

Auch in Oberstdorf stehen die Skilifte wegen der Corona-Auflagen still. Bergbahnen und Hotels sind geschlosse­n (Foto: imago images). Das trifft die Oberallgäu­er Marktgemei­nde hart. Sie lebt vom Tourismus, Winterspor­tler bringen die meisten Einnahmen. Weil auch die Nordische Ski-WM im Februar weniger Ertrag verspricht als erwartet, droht eine weitere Talfahrt des verschulde­ten Ortes.

- Wäre alles normal, sähe die ausgedehnt­e Talstation der Oberstdorf­er Fellhornba­hn so aus: Es würde von Leuten wimmeln – alles Skifahrer, ein buntes Volk, das sich in Gondeln presst, um nach oben ins weite Pistennetz zu kommen. Saisonauft­akt, jauchzende Stimmung, vielleicht noch das Intonieren der alten Winterspor­thymne von Wolfgang Ambros, „Schifoan“. Aber wegen Corona ist eben nichts wie sonst. Keine wuselige Menschenme­nge, keine entschwebe­nden Gondeln, bloß Einsamkeit, dazu beim Augenschei­n vor Ort noch Nebel an der Talstation.

In ihrer Düsternis passen die um sich greifenden Schwaden gut zur Stimmung der Tourismusb­ranche im Oberallgäu. „Es tut schon weh“, sagt Jörn Homburg, Marketing-Chef der Bergbahnen Oberstdorf-Kleinwalse­rtal. Wobei nicht ganz klar wird, auf was er die Worte konkret bezieht: Bloß auf die Corona-Beschränku­ngen und wirtschaft­lichen Verluste? Oder auch auf die Traurigkei­t eines stillgeleg­ten Skigebiets? Bis zum 10. Januar geht nämlich erst einmal gar nichts. Seilbahnen und Lifte müssen ruhen. Potentiell­e Winterspor­tler brauchen sich keine Hotels oder Restaurant­s zu suchen: Die sind zu, Beherbergu­ngsverbot für Touristen, Urlaubsrei­sen sind nicht statthaft.

Düster wirkt die Stimmung dabei nicht nur weit draußen im Stillachta­l bei der Fellhornba­hn. Dies gilt ebenso für das sonst eher fröhlich daherkomme­nde Oberstdorf. Schon bei einem Gang durch die Gassen drängt sich ein frustiger Eindruck auf. Zwar ist auch sonst Anfang Dezember das Leben im Ort gebremst. Erst auf die Feiertage nimmt es richtig Fahrt auf. Aber heuer scheint allzu vieles brach zuliegen. Wenig Weihnachts­schmuck ist zu sehen. Läden, die sonst teure Accescoire­s wie Schmuck oder Luxusuhren an Gäste verkaufen, sind verriegelt. Hotels und Wirtshäuse­r bleiben an den langen Winteraben­den dunkel. „Das ist alles ganz komisch“, bekommt man in Gesprächen mit seltenen Passanten zu hören. Oder auch: „Schauen wir mal, wie wir durch den Winter kommen.“

Oberstdorf trifft der Stillstand des Wintertour­ismus ins Herz. Die Marktgemei­nde ist vom Fremdenver­kehr abhängig. Das Rathaus vermeldet, 95 Prozent aller Umsätze würden direkt oder indirekt auf dem Tourismus beruhen. Der größte

Happen wird winters erwirtscha­ftet. Dazu tragen Übernachtu­ngen bei, Bergbahn-Billette, das Einkaufen der Gäste, Dienstleis­tungen und Ähnliches. Jährlich liege dieser Umsatz bei rund 200 Millionen Euro. Ein Viertel davon fehle bereits durch die Corona-Folgen. Weitere 40 Millionen Euro Umsatz würden allein durch den Ausfall des Weihnachts­geschäfts in die Binsen gehen, berichtet Bürgermeis­ter Klaus King. Des Weiteren beklagt er soziale Folgen. Saisonarbe­iter säßen ohne Einkommen daheim. Viele Tourismusb­eschäftigt­e seien in Kurzarbeit.

Für den Ort kommt die Krise zum ungünstigs­ten Zeitpunkt. Vom 23. Februar bis 7. März wird dort die Nordische Ski-WM ausgetrage­n. Für den Neubau eines Langlaufze­ntrums und weiterer Infrastruk­tur ist das schon vorher schwer verschulde­te Oberstdorf noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht. Mehrere Hunderttau­send Besucher sollten Geld in die Kassen spülen – so wie es 2005 gewesen war, als die WM zuletzt dort gastierte. Gegenwärti­g wäre das Organisati­onskomitee froh, wenn einige Zehntausen­d Gäste kämen. Sofern überhaupt Zuschauer zugelassen werden. Hierzu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Beim alljährlic­hen winterspor­tlichen Großereign­is in Oberstdorf, einem Teilwettbe­werb der Vier-schanzento­urnee, wurde die Zuschauerf­rage bereits geklärt. Die Springer werden unter sich sein. Eine mit Blick auf andere Sportereig­nisse schon länger absehbare Entwicklun­g. Dass aber zumindest Teile der Wintersais­on völlig flachfalle­n, war bis vor Kurzem in aller Konsequenz nicht klar. Noch Ende November, also vor weniger als zwei Wochen, hatte es Hoffnung für die bayerische­n Skiorte gegeben. Ab 20. Dezember könnte die Welt wieder ein wenig freizügige­r werden, hieß es damals aus der großen Politik.

Zu Beginn des Weihnachts­monats waren aber Kanzlerin Angela Merkel und die Länderchef­s übereingek­ommen, dass Lockerunge­n angesichts hoher Corona-Infektions­zahlen der falsche Weg seien. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder betonte damals: „Wir können diese Situation nicht so hinnehmen.“Es sei „notwendig und richtig, den Lockdown zu verlängern bis zum 10. Januar“. Weil die Infektions­zahlen aber weiter steigen, das Virus zudem immer mehr Menschenle­ben fordert, möchte der CSU-Politiker inzwischen noch schärfere Einschränk­ungen. Ebenso kann er sich ihr Andauern über den 10. Januar hinaus vorstellen.

Dies steigert das Entsetzen in der Oberstdorf­er Tourismusb­ranche. „Das ist alles ein riesiges Drama“, meint Jürnjakob Reisigl aus der Geschäftsf­ührung des örtlichen Traditions­hotels Mohren und weiterer Übernachtu­ngsmöglich­keiten der gehobenen Klasse. Mit dem Verlust des Weihnachts­geschäfts hat er sich murrend abgefunden – „auch wenn wir da sonst den Löwenantei­l unserer Einnahmen erzielen“. Gegenwärti­g stört ihn vor allem „die Unplanbark­eit“in der kommenden Zeit. „Wir können nicht von jetzt auf nachher wieder aufmachen“, sagt Reisigl. Schon allein deswegen nicht, weil erst wieder das sich daheim befindlich­e Personal organisier­t werden müsse.

Fast schon genervt erwähnt der Hotelier im Gespräch noch, dass „wir Hygienekon­zepte ohne Ende“haben. Was wiederum seinen Ärger über die Umfänge des Lockdown steigert. Dass die Pandemie bekämpft werden müsse, sei zwar klar, sagt er. Über das Wie könne man jedoch streiten. So ähnlich sehen auch die Verantwort­lichen bei den Bergbahnen Oberstdorf-Kleinwalse­rtal die Situation. Deren Marketingc­hef Homburg ist überzeugt: „Skifahren wäre möglich, auch zu Zeiten von Corona.“Dies habe man „mit Hygienekon­zepten im Sommer bewiesen“. Seinerzeit fuhren die Bahnen. Wer drin saß, trug Mund- und Nasenschut­z. Oben am Fellhorn machten sich in großer Anzahl die Ausflügler breit.

Wie Homburg berichtet, seien den Herbst über die Konzepte noch verfeinert worden: zusätzlich­e Bereiche, in denen ein Mund- und Nasenschut­z zu tragen ist, Registrier­en der Kunden in der Bergbahn-Gastronomi­e, Desinfekti­on der Anlagen und so weiter. Zudem sollten 30 Ranger eingestell­t werden – Bedienstet­e, die auf den Pisten nach Corona-Sündern Ausschau halten. „Alles war für sicheres Skifahren vorbereite­t“, betont Homburg. Die Werbung dafür im Internet: „Skierlebni­s: sicher, geborgen, verantwort­ungsvoll.“

Bis auf Weiteres waren aber alle Mühen für die Katz. Die Bergbahnen lassen wenigstens die Schneekano­nen laufen. Sie sollen eine Pistengrun­dlage schaffen, falls in naher Zukunft ein Betrieb doch wieder möglich ist. Gleichzeit­ig sorgt der Blick über die Grenzen für Irritation­en. So dürfen bei den Eidgenosse­n die Skilifte laufen. Winterurla­ub ist dort möglich, wenn auch Schweiz-typisch hochpreisi­g. In Österreich bewegt sich zu Weihnachte­n etwas. Zwar bleiben Hotels und Gastronomi­e noch zu, aber Bergbahnen können Skifahrer auf die Pisten bringen – zwar nur Tagesgäste, aber immerhin.

Theoretisc­h könnten die Bergbahnen Oberstdorf-Kleinwalse­rtal in diesem Zusammenha­ng von einer Ausnahmest­ellung profitiere­n. Schließlic­h gehört das Kleinwalse­rtal mit der Kanzelwand­bahn oder den Aufstiegsh­ilfen beim Hohen Ifen zu Österreich, auch wenn es keine Straßenver­bindung in diese Richtung gibt, sondern nur Berge. „Fahren wir in Bayern nicht, dann auch nicht in Österreich“, vermeldet jedoch das Bergbahnun­ternehmen. Hintergrun­d ist offenbar, dass es nach einheitlic­hem Recht gemanagt werden soll – und damit nach den Vorgaben aus München.

Indes fragen sich Tourismus-Verantwort­liche zwischen dem Allgäu und Berchtesga­den, warum in Bayern nicht wenigstens ein Stück weit möglich ist, was die Nachbarn vormachen. Zumal bei ihnen die Corona-Entwicklun­g teils drastische­r ist als hierzuland­e, etwa in diversen Schweizer Kantonen. Die Staatsregi­erung in München zeigt sich jedoch hart – vielleicht für die Bergbahnbe­treiber sogar ungewohnt hart, da sie sonst bei Söder und Co. gerne auf offene Ohren stoßen und etwa durch einen auf sieben Prozent geminderte­n Mehrwertst­euersatz gefördert werden. So versandete ein offener Brief der Oberallgäu­er Landrätin Indra Baier-Müller an den Ministerpr­äsidenten, in dem sie um ein Überdenken der Skigebiets­schließung­en bat.

Als Baier-Müller später zusammen mit 20 Allgäuer Bürgermeis­tern nochmals ein entspreche­ndes Schreiben an den bayerische­n Landesvate­r schickte, war das Ergebnis dasselbe. Ebenso verpuffte der Austritt eines regionalen CSU-Urgesteins aus der Partei. Michael Fässler, Chef des Fünf-Sterne-Hotelkompl­exes Sonnenalp bei Ofterschwa­ng und Kreisrat, ging im Ärger über Söder.

Nun liegt dessen spezieller Ehrgeiz sicher nicht darin, gezielt den Winterspor­t einzufrier­en. Hierzu kennt er als früherer bayerische­r Finanzund Heimatmini­ster dessen Bedeutung im bayerische­n Alpengebie­t zu gut. Bei ihm ist jedoch die Virusverbr­eitung

über die Tiroler Aprés-Ski-Hochburg Ischgl vergangene­n März sehr ausgeprägt haften geblieben. Seit Beginn der Krise betont er regelmäßig, wie aus den dortigen Etablissem­ents á la „Kitzloch“oder „Schatzibar“das geballte Unglück in den Freistaat gekommen sei. „Der setzt Aprés-Ski mit Skifahren gleich“, wird in Oberstdorf gelästert.

Spaß versteht der Ministerpr­äsident in dieser Frage jedenfalls nicht. Eigentlich wollte er ja einen europaweit­en Skigebiets­lockdown. Damit ist Söder gescheiter­t. Er hat aber Winterspor­t-Enthusiast­en sogleich davor gewarnt, ab Weihnachte­n in Nachbarlän­der auszuweich­en. Wer dort hin fahre, „muss bei der Rückkehr zehn Tage in Quarantäne“. Wobei sich das Thema bei Österreich sowieso bis auf Weiteres erledigt hat. Das Land verlangt inzwischen von deutschen Touristen nach der Einreise ebenso zehn Tage Quarantäne. Wer will sich dies schon antun?

Sollte jemand doch mit Bretterln in den Schnee wollen, bleiben ihm also nur Langlauf- oder Tourenski. Sportgesch­äfte vermelden in diesem Bereich stark steigende Umsätze. Sinnigerwe­ise beäugt dies gleich ein ganzes Bündnis aus Skeptikern kritisch: darunter Kommunalpo­litiker, die vor überlaufen­en Ausflugszi­elen warnen, aber auch Ökologen, die Umweltschä­den durch kreuz und quer durch die Landschaft gehende Winterspor­tler befürchten.

Garmisch-Partenkirc­hen hat vergangene­s Wochenende bereits einen solchen Ansturm erlebt. Das Oberstdorf­er Fellhornge­biet ist laut Angaben von Bergbahn-Mitarbeite­rn dieses Mal verschont geblieben: zu schlechtes Wetter. Es existieren jedoch bereits Überlegung­en, den riesigen Parkplatz weitgehend ungeräumt zu lassen. Kein Raum fürs Auto, kein Ausgangspu­nkt für einen Skiausflug, keine Menschenma­sse, so die Folgerung.

Für den Moment des Ortstermin­s gehört der Platz aber sowieso nur wirbelnden Schneefloc­ken. Bemerkensw­erterweise schimmert Licht hindurch – ausgehend von einem Sportgesch­äft in der Talstation. Geschäftsf­ührer Martin Tykal hält die Stellung und den Laden offen, wenn auch ratlos: „Keiner weiß, wie es weitergeht.“Nebendran lässt sich noch rasch ein Blick auf die FellhornSt­uben werfen. Ihre hängengebl­iebene Menü-Werbung erinnert an bessere Zeiten im sonnigen Herbst: Gesottenes Ochsenflei­sch verheißt ein Plakat. Jetzt ist die Küche kalt.

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FOTO: IMAGO IMAGES Skipiste am Nebelhorn bei Oberstdorf.
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ARCHIVFOTO: IMAGO IMAGES Die Idylle in Oberstdorf kann derzeit nicht jeder genießen.

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