Gränzbote

Trauer um John le Carré

Britischer Schriftste­ller stirbt im Alter von 89 Jahren

- Von Sebastian Borger

LONDON (dpa) - Mit großer Trauer hat die literarisc­he Welt auf den Tod von John le Carré (Foto: dpa) reagiert. Der Autor zahlreiche­r weltweit erfolgreic­her Spionage-Romane – etwa „Der Spion, der aus der Kälte kam“oder „Dame, König,

As, Spion“– starb nach Angaben seiner Familie am Samstag im Alter von 89 Jahren nach kurzer Krankheit an einer Lungenentz­ündung. Le Carré, der mit bürgerlich­em Namen David Cornwell hieß, hinterläss­t seine Frau und vier Söhne. Zuletzt lebte er in Cornwall.

Le Carré, der zeitlebens von Deutschlan­d fasziniert war, studierte Germanisti­k in Oxford und Bern und arbeitete nach kurzer Tätigkeit als Lehrer am Eliteinter­nat Eton schließlic­h selbst als Agent für den britischen Geheimdien­st.

Warum der Spionageth­riller in der englischen Literatur eine so ausgeprägt­e Rolle spiele, wurde der Meister des Genres, David Cornwell alias John le Carré, im März diesen Jahres gefragt. Das müsse wohl an der latenten Scheinheil­igkeit seiner englischen Landsleute liegen, antwortete der Autor legendärer Romane wie „Der Spion, der aus der Kälte kam“und „Dame, König, As, Spion“wie aus der Pistole geschossen und amüsierte damit sein Publikum in der deutschen Botschaft am Londoner Belgrave Square. Hinzu komme sicher das imperiale Erbe, mit dem eine gewisse Weltläufig­keit einhergeht.

Jahre zuvor hatte le Carré, der am Samstag im Alter von 89 Jahren an den Folgen einer Lungenentz­ündung verstarb, in einem BBC-Interview bei den Briten einen „konspirati­ven Wesenszug“ausgemacht. Gepaart mit ihrem ausgeprägt­en Patriotism­us sei diese Eigenschaf­t verantwort­lich dafür, dass den Geheimdien­sten auf der Insel ein selbstvers­tändliches Vertrauen entgegenge­bracht werde. „Da lässt der Hausbesitz­er mal rasch zwei Agenten vom Obergescho­ss aus die Umgebung observiere­n – Hauptsache, sie bringen das Kinderzimm­er nicht durcheinan­der.“

Mit seinen vielfach verfilmten Weltbestse­llern trug Le Carré sein Scherflein dazu bei, dass die „intelligen­ce services“MI5 (Inland) und MI6 (Ausland) Weltruhm erlangten, obwohl oder gerade weil der Autor ein durchaus zwiespälti­ges Verhältnis zu ihnen pflegte. Le Carrés Helden spiegelten die Vielschich­tigkeit und Gebrochenh­eit ihres Berufes wider.

Allen voran galt dies für George Smiley, den legendären Agentenfüh­rer und Spürhund. Mit dieser Figur zeichnete Le Carré den Prototyp des

Geheimdien­stlers im Kalten Krieg zwischen Ost und West, wie er ihn sah: ein im Dschungel der Bürokratie ergrauter, übergewich­tiger Fachmann, mehr an Psychologi­e interessie­rt als an heldenhaft­en physischen Einsätzen, mit Sympathien für das (sowjetisch­e) Gegenüber, stets operierend an der Bruchlinie von Ethik und Moral. Nicht umsonst widmeten sich spätere Bücher den Machenscha­ften großer Pharmakonz­erne („Der ewige Gärtner“), dem internatio­nalen Waffenhand­el („Der Nachtmanag­er“) oder der russischen Mafia („Verräter wie wir“).

An Lügenhafti­gkeit und der Elastizitä­t moralische­r Grundsätze sei er von kleinauf interessie­rt gewesen, hat der 1931 geborene Schriftste­ller später gern erzählt. Das lässt sich wohl auf die Eltern zurückführ­en: Die Mutter verließ Mann und zwei Söhne, als er fünf Jahre alt war; der Vater steckte beide Knaben in zwei unterschie­dliche Internate. Sonntags habe er sich mit dem zwei Jahre älteren Bruder auf halbem Weg zwischen den beiden Schulen getroffen, „damit wir uns umarmen konnten“, berichtete Cornwell später im Freundeskr­eis. Mit dem mehrfach zu Gefängniss­trafen verurteilt­en Vater verband ihn eine komplizier­te Beziehung, die darin endete, dass er für dessen Beerdigung zwar bezahlte, selbst aber nicht daran teilnahm.

Bei der Fragestund­e im März schmeichel­te der damalige Botschafte­r

Peter Wittig seinem berühmten Gast, man fühle sich „hochgeehrt, Sie zu Deutschlan­ds Freunden zu zählen“. Gewiss übte die Nation in der Mitte Europas eine besondere Faszinatio­n aus auf Le Carré; seine ursprüngli­che Liebe aber galt nicht dem Land, sondern der deutschen Sprache, wo auch immer sie gesprochen wurde.

Geweckt hatte die Liebe ein Lehrer am Internat von Sherborne. Dieser ebnete dem 17-Jährigen auch den

Weg an die Universitä­t Bern, wo dieser zwei Jahre Germanisti­k und moderne Sprachen studierte. Stationen beim Armeegehei­mdienst in Österreich, an der Universitä­t Oxford und am Elite-Internat Eton als Lehrer für Deutsch und Französisc­h folgte der Eintritt bei MI5. 1960 ging David Cornwell zu MI6, war in Bonn und Hamburg stationier­t und begann zu schreiben – Fundament seiner späteren Karriere, nachdem der Verrat des zur Sowjetunio­n übergelauf­enen Kim Philby ihn wie viele seiner Kollegen enttarnt und für weitere Agententät­igkeit unmöglich gemacht hatte. Die Vorgesetzt­en beharrten auf einem Alias, Cornwell wählte Le Carré, was im Französisc­hen gleicherma­ßen „das Quadrat“wie „der Pflichtbew­usste“bedeutet.

Die Doppeldeut­igkeit blieb Le Carrés Spezialitä­t zeit seines Lebens. Der 1963 erschienen­e Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“machte ihn über Nacht berühmt, was der Autor 57 Jahre später als zweischnei­dige Angelegenh­eit beschrieb: Er habe mit dem Erfolg und dem damit einhergehe­nden Geldregen, nicht zuletzt nach der legendären Verfilmung mit Richard Burton, nicht umgehen können.

Unverdross­en schrieb er in den darauffolg­enden Jahrzehnte­n mehr als zwei Dutzend Romane, dazu den witzigen Memoirenba­nd „Der Taubentunn­el“und eine Reihe von Drehbücher­n für die Verfilmung­en seiner Werke. Auch politisch meldete sich Le Carré immer wieder zu Wort, als Geheimdien­st-Skeptiker, englischer Patriot und überzeugte­r Europäer. Seinen Helden George Smiley ließ er im 2017 veröffentl­ichten Roman „Das Vermächtni­s der Spione“sagen: „Wenn ich eine Mission gehabt habe, dann bestand sie in Europa.“Da hatte sich der Mann, der „mit dem Stift in der Hand sterben” wollte, selbst porträtier­t.

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FOTO: MATT CROSSICK/DPA Der britische Schriftste­ller und Spionageex­perte John le Carré ist im Alter von 89 Jahren gestorben.

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