Kinder ins Leben begleiten
Der Campus Vivant’e ist im marokkanischen Atlasgebirge ein Ort der Bildung – Lernakademie wird neu gebaut
TUTTLINGEN/TABANT-AZILAL Was mit einer kleinen Schule im Wohnzimmer begann, wächst mittlerweile zu einem umfangreichen Bildungsangebot heran. Weit abgelegen im marokkanischen Atlasgebirge betreibt die gebürtige Tuttlingerin Stefanie Tapal-Mouzoun nun seit zehn Jahren den Campus Vivant’e. Gemeinsam mit ihrem Mann Haddou Mouzoun hat sie dort einen Kindergarten, eine Grund- und Realschule und das neueste Projekt, eine Lernakademie, auf die Beine gestellt. Wie wichtig die Einrichtung für die Kinder und Jugendlichen vor Ort ist, das sei Tapal-Mouzoun auch durch die Corona-Pandemie noch einmal bewusst geworden.
Gemeinsam mit ihren fünf Kindern leben Stefanie Tapal-Mouzoun und Haddou Mouzoun seit 2005 in dem hoch gelegenen Berbertal, in dem Mouzoun auch aufgewachsen ist. Den Campus gründeten die beiden, um Kindern und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten den Zugang zu Bildung in ihrer abgelegenen Heimat zu ermöglichen. Finanziert wird das Projekt zum größten Teil aus Spendengeldern, die Familien der Schüler müssen nur einen kleinen Beitrag leisten – in manchen Fällen beteiligen sie sich auch in Form von Naturalien oder Arbeitskraft. Seit 2015 werden hörbehinderte Kinder integriert, außerdem wird das Gelände nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet.
Doch von März bis August stand der sonst so lebendige Campus aufgrund der Corona-Pandemie plötzlich still. Anders als in Deutschland seien online-basierte Unterrichtsmethoden wie etwa Videokonferenzen in dem marokkanischen Aït Bougoumez-Tal undenkbar. „Wir sind in einer sehr abgelegenen und traditionellen Gegend“, erklärt die 42-Jährige. „Internet ist bei uns noch sehr neu.“Zudem sei die Verbindung in den Bergen schlecht und sehr teuer. Deshalb sei es auch schwer gewesen, während der Schulschließung Kontakt zu den Schülern zu halten – besonders in den jüngeren Klassenstufen.
Mit dem Start des neuen Schuljahrs wurde der Schulbetrieb in Marokko wieder aufgenommen. „Die Schüler sind wieder da und sie sind sehr froh“, berichtet Tapal-Mouzoun. Durch Spenden sei es möglich gewesen, die Gehälter der Lehrer auch während der Pandemie weiterzubezahlen und das Personal zu halten. Das sei eine große Erleichterung, denn zu Beginn des Schuljahres gab es aufgrund des Unterrichtsausfalls erst einmal große Wissenslücken. „In den ersten sechs Wochen haben die Lehrer das Wichtigste mit den Schülern aufgeholt. Jetzt geht es mit dem eigentlichen Schulstoff weiter“, sagt TapalMouzoun.
Alle 80 Schüler können nun wieder jeden Tag zur Schule kommen – wenn auch unter strengen Hygieneund Abstandsregeln. Tapal-Mouzoun ist froh, dass diese auf dem Campus Vivante gut umgesetzt werden können. An vielen öffentlichen Schulen seien die Klassen im wöchentlichen Wechsel anwesend und würden in der anderen Woche Schulaufgaben zu Hause erledigen. Ein solches Modell hält Tapal-Mouzoun im Aït Bougoumez-Tal aber nicht für anwendbar.
Der Grund: Die gesamte Bildung findet dort in der Schule statt. „Oft haben die Kinder und Jugendlichen zu Hause kein eigenes Zimmer und keinen eigenen Schreibtisch, an dem
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Tapal-Mouzoun sieht es als Auftrag, die Kinder aus dem abgelegenen Tal ins Leben zu begleiten – eben, weil das durch das Elternhaus oft nicht stattfinde. Sie sei stolz, dass das schon in zwei Generationen möglich gewesen sei. 16 der ehemaligen Schüler, die mittlerweile ein Gymnasium besuchen, nutzen bereits die neueste Einrichtung auf dem Campus: Die Lernakademie. „Sie sind froh, dass sie bei uns einen Ort zum Lernen und zum Arbeiten haben“, sagt Tapal-Mouzoun. Auch wenn sich das Gebäude aktuell noch im Rohbau befindet. Langfristig sei das Ziel, die Lernakademie als öffentlichen Lerntreff zu verankern. „Wir hoffen, dass wir auch weitere Gymnasialschüler aufnehmen können, auch wenn sie vorher nicht bei uns waren“, so Tapal-Mouzoun.
Und die Ideen gehen nicht aus. Als nächsten Schritt könnte sich Tapal-Mouzoun vorstellen, ein Frauenzentrum einzurichten. „Viele Frauen in der Region können nicht Lesen und Schreiben, es fehlt ihnen einfach an Bildung“, so Tapal-Mouzoun. Denkbar seien auch Sprachund Abendkurse. „Ich stelle mir die Akademie so ähnlich vor, wie eine Volkshochschule“, veranschaulicht sie. Um all das zu verwirklichen und den bestehenden Schulbetrieb aufrecht zu erhalten, ist der Campus Vivant’e auch weiterhin auf Spenden angewiesen.
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