Gränzbote

„Dann muss ich eben zurück an die Werkbank“

In London startet die Darts-WM mit einer absolut bodenständ­igen deutschen Nummer 1 – Gabriel Clemens

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RAVENSBURG - Ab sofort fliegen wieder die Pfeile im Londoner Alexandra Palace, genannt Ally Pally. Dort sucht die Darts-Elite ihren Weltmeiste­r 2021. Unter den Deutschen sticht diesmal Gabriel Clemens hervor. Als Nummer 31 der Welt stellt er seine Kollegen hierzuland­e sportlich in den Schatten. Felix Alex hat mit dem „German Giant“über seine Heimat, plötzliche­n Ruhm und ein WM-Turnier während einer Pandemie gesprochen.

Herr Clemens, Deutschlan­d geht in den Lockdown, die Darts-WM findet vorerst, abgesehen vom Auftaktabe­nd diesen Dienstag, wohl doch ohne die geplanten 1000 Zuschauer in der Halle statt. Mit welchen Gefühlen reisen Sie nach London?

Erst einmal muss ich sagen, dass mir ja generell überwiegen­d gute Erinnerung­en in den Sinn kommen, wenn ich an den Ally Pally denke, ich kenne ihn ja nur mit voller Hütte. Das ist für uns Darts-Spieler ja die größte Bühne überhaupt. Nun ist es natürlich anders. Ängste habe ich jedoch keine. Das Hygienekon­zept ist ja von der Regierung abgesegnet.

Welche Maßnahmen müssen Sie als Profis denn einhalten?

Erst einmal natürlich die normalen Regeln, die jeder andere auch hat: Abstand, Maskenpfli­cht und anderes – aber das ist ja mittlerwei­le normal. Wir werden, sobald wir ankommen, getestet und sind ab dann in einer „Bubble“, leben ausschließ­lich im Hotel und haben dementspre­chend auch keinen Kontakt mehr mit der Außenwelt oder Fans.

In diesem Jahr ist für Sie persönlich noch einiges anders, Sie fahren als deutsche Nummer 1 und damit als der Hoffnungst­räger des Landes zur WM.

Das sportbegei­sterte Publikum in Deutschlan­d sehnt sich ja generell nach Erfolgen und fiebert mit, von daher ist das Gefühl für mich als Nummer 1 natürlich schön. Aber viel wichtiger ist, dass ich als Nummer 31 der Welt dorthin reise und damit zum ersten Mal als einer der Top-32, die für die zweite Runde gesetzt sind. Hoffnungst­räger sind wir aber ja alle – auch Max Hopp und Nico Kurz.

Sie spielen seit 20 Jahren Darts, warum läuft es auf einmal so überragend?

Überragend kann man ja noch nicht wirklich sagen. Ich habe dazwischen ja auch viele schlechte Turniere gehabt, mich aber kontinuier­lich weiterentw­ickelt und mein Bühnenspie­l deutlich verbessert. Dafür trainiere ich, und Fleiß zahlt sich da aus.

Allerdings wirklich erst seit Februar 2019, als Sie Profi wurden. Wollten oder konnten Sie vorher nicht, immerhin sind Sie schon 37?

Da musste ich ja arbeiten gehen (lacht). Zudem war es früher auch viel schwierige­r, vom Darts zu leben. Da waren die Preisgelde­r bei Weitem nicht so hoch wie heute. Ich hatte Darts immer als Hobby und habe aus Freude neben meinem Beruf gespielt und nie damit gerechnet, Profi zu werden. Als ich dann höher in der Bundesliga gespielt habe, bin ich irgendwann zur Q-School gefahren, um alle Turniere der PDC Europe (Profession­al Darts Corporatio­n, einer der Welt-Dartsverbä­nde; d. Red.) spielen zu dürfen, das ist ja Bedingung. Dann habe ich mir die Tourcard gesichert und stand vor der Entscheidu­ng, entweder auf die Tour zu gehen oder es sein zu lassen.

Sie haben sich für die Sportkarri­ere entschiede­n ...

Dass es mit dem Beruf des Schlossers zusammen nicht geht, habe ich auch recht schnell gemerkt, schon allein, weil nach zwei Monaten meine 30 Tage Urlaub weg waren. Dann habe ich erst ein Jahr auf drei Tage Arbeit die Woche reduziert, war freitags bis montags weg. Anschließe­nd kamen die Turniere in der Woche dazu, und seitdem bin ich vom Arbeitgebe­r freigestel­lt, und nimmt seinen Lauf. alles

Und dieser hält an. Ihnen scheinen die Umstände ohne Fans sogar etwas entgegenzu­kommen – im Gegensatz zu einigen Favoriten.

Ich glaube, wir wissen alle, dass das Spiel vor Zuschauern etwas ist, was den Reiz dieser Sportart ausmacht. Es gibt ja nichts Schöneres als vor Tausenden lärmenden Zuschauern in den Ally Pally einzulaufe­n. Die Stille ist da schon gewöhnungs­bedürftig. Dass es zuletzt größere Überraschu­ngen gab, liegt wohl auch an der Dichte im Darts, immer mehr sehr gute Spieler kommen nach oben. Überraschu­ngen gab es immer, aber es kann durchaus sein, dass sie ohne Zuschauer noch mal einen Schritt weiter gehen.

Es wird also auch diesmal nicht „der ehrlichste Weltmeiste­r aller Zeiten“ausgespiel­t, der ausschließ­lich durch sein Können überzeugt, sondern immer auch der mental stärkste?

Die Bedingunge­n sind ja für alle gleich, und der aktuelle Weltmeiste­r hat es dann auch von allen am meisten verdient. Bei der WM ist der SetModus ja schon eine sehr lange Distanz, und da sind die erfahrenen Spieler, die schon jahrelang vorne mitspielen, im Vorteil. Als Favoriten gelten natürlich die üblichen Verdächtig­en – Peter Wright, Michael van Gerwen, Gerwyn Price oder auch Michael Smith. Gary Anderson hatte aktuell Probleme mit seinen Knien, und da sieht man auch, wie schwer es im Darts ist, über Jahrzehnte gute Leistungen zu bringen.

Wir machen immer die gleichen Bewegungen und belasten die gleichen Gelenke, da wird es immer wichtiger, den Körper zu stabilisie­ren.

Welche Schlagzeil­e würden Sie während der WM denn gern lesen? „Der deutsche Gigant verzückt Deutschlan­d“?

Ach, am liebsten habe ich es immer, wenn ich mich gar nicht in der Zeitung lese. (lacht)

Das wird nun schwierig.

Ich brauche keine Schlagzeil­en und mache mir da auch keine Gedanken drüber. Mein Ziel ist es, am 21. Dezember ein gutes Spiel zu machen, und ich weiß, dass ich, wenn ich gut spiele, ziemlich jeden schlagen kann.

Sie scheinen absolut bodenständ­ig, wohnen im Saarland im 13 000-Einwohner-Städtchen Saarwellin­gen und wollen dort auch nie weg ...

Warum sollte ich auch? (lacht) Ein Saarländer ist immer heimatverb­unden. Ich lebe mein ganzes Leben hier, habe hier Freude, Familie, meine Frau. Hier gibt es gutes Essen, wir haben eine schöne Landschaft, es ist einfach schön.

Die Region ist aber nicht gerade für ihren Profisport bekannt, das könnten Sie ja nun etwas ändern ...

Warum, wir haben doch alles – Tischtenni­s, Badminton. Der 1. FC Saarbrücke­n war 1963 Gründungsm­itglied der Bundesliga und zuletzt 1993 erstklassi­g – also ist alles da.

Das Image des belächelte­n Kneipenspo­rts hat Darts beinahe komplett abgelegt. Allein der Fernsehsen­der Sport1 überträgt ab sofort mit über 130 Livestunde­n zur Darts-WM so viel wie nie zuvor. Merken Sie, dass man als Profi nun ganz anders wahrgenomm­en wird?

Ich spiele seit 20 Jahren, und das Image ist heute schon anders, allerdings spielen die meisten ja noch in der Kneipe, und das wird wahrschein­lich auch immer so bleiben. Aber umso mehr Leute in Berührung mit Darts kommen, umso mehr merken auch, dass es nicht so einfach ist.

Wenn Sie nun durch die Straßen Ihrer Heimat gehen, ist sicher ein gewisser Promifakto­r angesagt ...

Nein, gar nicht. Natürlich wird man mal erkannt, aber ich wohne hier in meinem Dorf, und die Leute kennen mich eh. Die haben mir vorher auch gewunken und die winken mir jetzt auch noch. (lacht laut). Zudem, wenn es beim Darts nicht mehr funktionie­rt, dann muss ich eben zurück an die Werkbank gehen, das ist dann halt so. Aber auch das wäre kein großes Problem.

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FOTOS: HERBERT BUCCO/CHRISTOPH HARD/IMAGO IMAGES Einmal ganz oben stehen: Gabriel Clemens (li.) mit Weltmeiste­r Peter Wright.
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Die Pfeile des „German Giant“wiegen 23g, sein Walk-on-Song ist Wonderwall (Oasis).

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