Schlangen beim Corona-Schlussverkauf
Lockdown trifft den Einzelhandel hart – Brandbrief an die Kanzlerin auch von Ravensburger Unternehmerfamilie
Heute ist die letzte Gelegenheit, um in den deutschen Innenstädten letzte Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Bereits am Montag gab es Schlangen vor Geschäften und Kaufhäusern – wie hier in München (Foto: Matthias Balk/dpa). Mancherorts gab es eine Art CoronaSchlussverkauf. Der Handelsverband Deutschland (HDE) dringt derweil darauf, den Einzelhändlern im Lockdown weiterhin die Übergabe von im Internet bestellter Ware vor Ort in den Läden zu erlauben.
FRANKFURT/RAVENSBURG - Vor vielen Buchläden bildeten sich Schlangen, weil viele noch schnell die letzten Weihnachtsgeschenke besorgen wollten. Der Lockdown, der an diesem Mittwoch beginnen soll, trifft besonders den stationären Einzelhandel hart – mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften und anderen lebensnotwendigen Einrichtungen. Die von der Schließung direkt und indirekt betroffenen Unternehmen sollen vom Staat finanziell unterstützt werden. So können sie von Januar an als Überbrückungshilfe einen Zuschuss zu den Fixkosten von bis zu 500 000 Euro beantragen. Bisher galt ein Höchstbetrag von 200 000 Euro, mit dem bis zu 90 Prozent der betrieblichen Fixkosten wie Mieten oder Pachten erstattet werden. Außerdem sollen Einzelhändler unverkäufliche Waren leichter abschreiben können, sie sollen zudem rechtliche Hilfe erhalten, wenn sie mit Vermietern über Mietnachlässe verhandeln.
Das sei nicht ausreichend, um eine Pleitewelle und damit den Verlust von bis zu 250 000 Jobs zu verhindern, hatte schon am Sonntag der Branchenverband HDE moniert. Er fordert für den Dezember eine Gleichbehandlung des Einzelhandels mit der Gastronomie, also die Erstattung von den Umsatzausfällen. Die Gastronomie erhält für den Dezember bis zu 75 Prozent des Umsatzes gemessen am Vorjahr. Diese Forderung wies die Bundesregierung allerdings zurück. Die Hilfen für Unternehmen seien seit Beginn der Krise großzügig und umfassend, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums.
Drastische Worte finden auch die Unterzeichner eines Briefs an die Bundeskanzlerin, Minister und die Länderchefs. Mit dem Beschluss des harten Lockdowns werde zeitgleich auch „unwiderruflich die Insolvenz Tausender Händler und somit die Arbeitslosigkeit von Millionen Menschen“beschlossen. Denn das werde „ein Großteil des Handels definitiv nicht überstehen“, heißt es in dem Brief von 28 Modehändlern, den auch die Ravensburger Unternehmerfamilie Reischmann unterzeichnet hat. „Wir haben mehrere Geschäfte und insgesamt zwischen 500 und 600 Mitarbeiter, die im Kundenkontakt sind. Wir stellen fest: Bei uns hat sich kein einziger Mitarbeiter mit Corona infiziert“, sagte Thomas Reischmann der „Schwäbischen Zeitung“mit dem Verweis auf fundierte Hygiene-Konzepte, die der Handel seit Langem umsetze. Der Dezember sei der mit Abstand wichtigste Monat für den Handel mit einem bundesweiten Umsatz von 103,9 Milliarden Euro. Fallen diese Umsätze weg, drohe dem Handel „eine Erosion, die (...) irreparable wirtschaftliche Auswirkungen nach sich zieht“, heißt in dem Brief.
Unterdessen forderte der „Mittelstandsverbund“am Montag eine „Akuthilfe“: Viele der 230 000 in dem Verbund organisierten Unternehmen aus 45 verschiedenen Branchen und deren 2,5 Millionen Mitarbeiter schauten mit wachsender Sorge
auf das Geschehen in den kommenden Wochen. In denen stehe neben der Liquidität „schlicht die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit von Tausenden auf dem Spiel“, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. Die in Aussicht gestellten Hilfen zeigten zwar die guten Absichten der Politik, doch fürchtet der Verband, dass sie die Bedürfnisse in der Praxis „bei Weitem nicht“abdeckten und diese zu bürokratisch vergeben würden. Sprich: Die Hilfsgelder dürften nicht effizient genug vergeben werden. Zumindest will die Bundesregierung dadurch drohende Insolvenzen abwenden: Die Pflicht zum Insolvenzantrag soll weiter ausgesetzt werden – diese Frist wurde von Ende Dezember auf Ende Januar verlängert.
Unterstützung erhalten die Einzelhändler vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die Politik springe unsystematisch zwischen höchst unterschiedlichen Modellen hin und her, kritisierte dessen Präsident Gabriel Felbermayr: „Ergebnis ist, dass die Hilfe häufig bei den Unternehmen gar nicht oder nicht in angemessener Höhe ankommt – mal ist sie zu niedrig, mal zu hoch.“Zusammen mit IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths hat er das „Kieler Modell für betriebliche Stabilisierungshilfen“entwickelt, das sich am Betriebsergebnis der jeweiligen Branche orientiert. Diesen Mechanismus könne man über Branchen und Unternehmenstypen hinweg einheitlich anwenden, er könnte außer dem Kurzarbeitergeld alle bisherigen Hilfsprogramme ersetzen. Wenn man den durch die Krise ausgelösten Einbruch der Betriebsergebnisse abfedere, also den Umsatz abzüglich verschiedener Kosten, nicht aber der Zinsen, dann könnten Unternehmen Planungssicherheit gewinnen. Andere Kriseninstrumente wie etwa Kurzarbeitergeld würden besser wirken. Das sichere Arbeitsplätze und festige die Grundlagen für eine schnelle Erholung nach der Krise, hoffen Felbermayr und Kooths.
„Die Familienunternehmer“, die politische Interessenvertretung für mehr als 180 000 Familienunternehmer, unterstützen zwar wie der HDE das Ziel, ein Überlaufen der Intensivstationen zu verhindern. Doch müsse man die „schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen eines geschlossenen Einzelhandels“bedenken, sagte Reinhold von EbenWorlée, Präsident des Verbands. Er kritisierte zudem, dass die Bundesregierung den „für viele Unternehmen rettenden Verlustrücktrag“nicht um ein weiteres Jahr für 2018 erweitern wolle. Das hätte man noch im Jahressteuergesetz unterbringen können, das am Mittwoch zeitgleich mit dem Beginn des harten Lockdowns verabschiedet werde: „Keine andere Hilfsmaßnahme wäre so unkompliziert, zielgerichtet und bringt den notleidenden Unternehmen derart schnell Liquidität.“Wenn eine Mehrwertsteuersenkung über Nacht gehe, müsse auch ein erweiterter Verlustrücktrag über Nacht möglich sein, glaubt Eben-Worlée.