„Eine der schwierigsten Entscheidungen“
Was für die Amazon-Ansiedlung sprach und warum nicht-öffentlich entschieden wurde
TROSSINGEN - Paukenschlag in der letzten Sitzung des Gemeinderats dieses Jahres: Kurz vor der Weihnachtspause ist bekannt geworden, dass sich der Onlineversandriese Amazon in Trossingen ansiedeln wird (wir haben berichtet).
Als am Montagabend erstmals öffentlich über das Vorhaben gesprochen wurde, war die Entscheidung in nicht-öffentlicher Sitzung schon gefallen. Der Gemeinderat hatte die Amazon-Ansiedlung mehrheitlich abgenickt, die Stadt das rund fünf Hektar große Gelände im Gewerbegebiet Greut zwischen Hirschweiden und der Christian-Messner-Straße bereits verkauft. Erste Beratungen über das Projekt hatte es bereits vor der Sommerpause unter dem ehemaligen Bürgermeister Clemens Maier gegeben.
„Beratungen über Grundstücksverkäufe, bei denen es auch um Konditionen geht, sind grundsätzlich nicht-öffentlich“, erläutert Hauptamtsleiter Ralf Sulzmann am Dienstag auf Nachfrage unserer Zeitung. „Als es etwas zu berichten gab, haben wir es ja dann auch gleich öffentlich gemacht.“Öffentlich sei dann das nötige Bebauungsplanverfahren. Die Pläne schon vorab in der Bevölkerung bekannt zu machen, sei schwierig bis unmöglich, so Sulzmann, und hätte den Verkauf womöglich gefährdet. „Ich verstehe, dass man als Bürger informiert sein möchte, aber so funktionieren Geschäftsprozesse“, stellt Sulzmann fest. Die Landwirte, die derzeit die Fläche im Gewerbegebiet Greut pachten, wurden vorab informiert, dass das Gelände künftig gewerblich genutzt werden soll.
Erworben haben es die beiden Firmen Garbe und Honold, die unter anderem Logistikimmobilen entwickeln und verwalten. Amazon wird sich dort dauerhaft einmieten, wie Amazon-Repräsentant Thorsten Freers den Räten via Onlinekonferenz erklärte. Trossingen ist wegen der günstigen Verkehrsanbindung an die A81 attraktiv für den Versandriesen.
Jürgen Vosseler (CDU) bezeichnete die Entscheidung als „einen der schwierigsten Punkte der vergangenen Jahre“. Am Montagabend ergab sich ein recht klares Bild, aus welchen Gründen der Rat mit der Amazon-Ansiedlung einverstanden war - deutlich wurde aber auch, dass der Beschluss nicht einstimmig gefallen war, auch wenn die Mehrheit des Gemeinderats die Dinge eher nüchtern sah.
Zum Einen sei das Grundstück im Gebiet Greut wegen seiner schwierigen Hanglange mit einem Gefälle von 25 Metern bislang als unverkäuflich und dementsprechend quasi wertlos eingestuft worden, wie CDU-Fraktionssprecher Clemens Henn betonte. Bedeutet: Die Aussichten, einen anderen Käufer zu finden, sind eher schlecht. Zum Anderen, so der Tenor, ließe sich der Trend zum Online-Handel ohnehin nicht umkehren, ob sich Amazon nun in Trossingen ansiedelt oder nicht. „Als Einzelhändlerin blutet mir das Herz, Amazon vor der Nase zu haben“, sagte etwa Antje Spehn (FDP), doch verhindern könne sie deren Siegeszug nicht. So sah das auch Jürgen Vosseler. „Trossingen versucht jetzt, den Tiger zu reiten und dabei nicht gefressen zu werden“, meinte er. Dazu kommt bei den Räten die Sorge, Amazon könnte sich andernfalls in Aldingen ansiedeln und der gesamte Lieferverkehr dann durch Trossingen fahren.
Für die meisten Räte Gründe genug, der Ansiedlung zuzustimmen, auch wenn bei dem einen oder anderen Skepsis blieb. Im Wesentlichen kristallisierten sich als Kritikpunkte folgende Themen heraus:
1 Das eher schlechte Image von Amazon als Arbeitgeber in der öffentlichen Wahrnehmung.
Gerhard Brummer (OGL) bemängelte, dass Amazon auf Zeitarbeiter setze. Als Beispiel führte er Messkirch ins Feld, wo kaum Arbeitsplätze für Einheimische entstanden seien. „Sie vernichten Städte“, befand Brummer. Er kritisierte außerdem niedrige Löhne und - ganz nebenbei - mangelnde Deutschkentnisse der Amazon-Auslieferer, erhielt in diesen Punkten allerdings Kontra von Clemens Henn. Dieser bezeichnete 11,15 Euro Bruttolohn für ungelernte Fachkräfte als „guten Lohn“, liege doch der Mindestlohn bei aktuell 9,50 brutto, und verwies darauf, dass auch die Lieferanten für Brummers Ladengeschäft nicht immer Deutsch sprechen würden. In Punkto Zeitarbeiter sagte Freers, dass Amazon 90 Prozent seiner Mitarbeiter fest beschäftige. Zeitarbeiter erhielten ebenfalls Zusatzleistungen und alle paar Monate würden Arbeiter übernommen. In Trossingen sollen 130 Mitarbeiter tätig sein, 60 weitere zu Spitzenzeiten.
2 Geringe Gewerbesteuereinnahmen.
Susanne ReinhardtKlotz (OGL) bemerkte, gehört zu haben, dass Amazon nicht immer Gewerbesteuer bezahle. Dem widersprach Freers: „Wir zahlen, was vor Ort an Steuern anfällt“, sagte er. Da Amazon allerdings Logistiker sei und nicht zum produzierenden Gewerbe gehöre, falle die Summe entsprechend kleiner aus. Wie hoch die Steuereinnahmen der Stadt letztendlich sein werden, könne er aber wegen örtlicher Unterschiede von Hebesätzen pauschal nicht sagen. Nachdem sowohl Thomas Springer (FDP) als auch Jürgen Vosseler nachhakten und nach Zahlen fragten, rang sich Freers durch, diese als „im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich“zu beziffern.
3 Deutlich mehr Verkehr in Trossingen.
Zwischen 22 und 8 Uhr werden die Pakete im Logistikzentrum angeliefert, so Freer, die Auslieferung erfolgt von 9 bis 14 Uhr. Zu Spitzenzeiten wie dem „Black Friday“oder vor Weihnachten bedeute das zwei bis drei Lastwagen pro Stunde. Dann stehen 413
Touren an, ansonsten 236. Das Liefergebiet erstreckt sich etwa von Oberndorf bis zur Schweizer Grenze und nach Westen bis Furtwangen, der Verkehr orientiere sich zu 90 Prozent über die Autobahn, so Freer. Damit wird er hauptsächlich über In Steppach abgewickelt werden. Wolfgang Schoch (CDU) äußerte Bedenken, dass der Verkehrsknotenpunkt dem gewachsen sei und auch Clemens Henn betonte: „Das Verkehrsproblem muss gelöst werden.“
Freers betonte, dass ein Gutachten erstellt werde, dass beziehungsweise ob die örtliche Verkehrsstruktur den Zuwachs stemmen kann. Es gebe bereits eine Vorstudie. „Es wird zu keinen großen Störungen kommen“, so Freers. Bürgermeister-Stellvertreter Gustav Betzler bemerkte, dass kaum Lastwagen Richtung Osten und damit über die Hauptstraße und Litschlesstraße fahren würden. „Ich denke, damit kommen wir klar“, sagte er.