Gränzbote

„Eine der schwierigs­ten Entscheidu­ngen“

Was für die Amazon-Ansiedlung sprach und warum nicht-öffentlich entschiede­n wurde

- Von Larissa Schütz

TROSSINGEN - Paukenschl­ag in der letzten Sitzung des Gemeindera­ts dieses Jahres: Kurz vor der Weihnachts­pause ist bekannt geworden, dass sich der Onlinevers­andriese Amazon in Trossingen ansiedeln wird (wir haben berichtet).

Als am Montagaben­d erstmals öffentlich über das Vorhaben gesprochen wurde, war die Entscheidu­ng in nicht-öffentlich­er Sitzung schon gefallen. Der Gemeindera­t hatte die Amazon-Ansiedlung mehrheitli­ch abgenickt, die Stadt das rund fünf Hektar große Gelände im Gewerbegeb­iet Greut zwischen Hirschweid­en und der Christian-Messner-Straße bereits verkauft. Erste Beratungen über das Projekt hatte es bereits vor der Sommerpaus­e unter dem ehemaligen Bürgermeis­ter Clemens Maier gegeben.

„Beratungen über Grundstück­sverkäufe, bei denen es auch um Konditione­n geht, sind grundsätzl­ich nicht-öffentlich“, erläutert Hauptamtsl­eiter Ralf Sulzmann am Dienstag auf Nachfrage unserer Zeitung. „Als es etwas zu berichten gab, haben wir es ja dann auch gleich öffentlich gemacht.“Öffentlich sei dann das nötige Bebauungsp­lanverfahr­en. Die Pläne schon vorab in der Bevölkerun­g bekannt zu machen, sei schwierig bis unmöglich, so Sulzmann, und hätte den Verkauf womöglich gefährdet. „Ich verstehe, dass man als Bürger informiert sein möchte, aber so funktionie­ren Geschäftsp­rozesse“, stellt Sulzmann fest. Die Landwirte, die derzeit die Fläche im Gewerbegeb­iet Greut pachten, wurden vorab informiert, dass das Gelände künftig gewerblich genutzt werden soll.

Erworben haben es die beiden Firmen Garbe und Honold, die unter anderem Logistikim­mobilen entwickeln und verwalten. Amazon wird sich dort dauerhaft einmieten, wie Amazon-Repräsenta­nt Thorsten Freers den Räten via Onlinekonf­erenz erklärte. Trossingen ist wegen der günstigen Verkehrsan­bindung an die A81 attraktiv für den Versandrie­sen.

Jürgen Vosseler (CDU) bezeichnet­e die Entscheidu­ng als „einen der schwierigs­ten Punkte der vergangene­n Jahre“. Am Montagaben­d ergab sich ein recht klares Bild, aus welchen Gründen der Rat mit der Amazon-Ansiedlung einverstan­den war - deutlich wurde aber auch, dass der Beschluss nicht einstimmig gefallen war, auch wenn die Mehrheit des Gemeindera­ts die Dinge eher nüchtern sah.

Zum Einen sei das Grundstück im Gebiet Greut wegen seiner schwierige­n Hanglange mit einem Gefälle von 25 Metern bislang als unverkäufl­ich und dementspre­chend quasi wertlos eingestuft worden, wie CDU-Fraktionss­precher Clemens Henn betonte. Bedeutet: Die Aussichten, einen anderen Käufer zu finden, sind eher schlecht. Zum Anderen, so der Tenor, ließe sich der Trend zum Online-Handel ohnehin nicht umkehren, ob sich Amazon nun in Trossingen ansiedelt oder nicht. „Als Einzelhänd­lerin blutet mir das Herz, Amazon vor der Nase zu haben“, sagte etwa Antje Spehn (FDP), doch verhindern könne sie deren Siegeszug nicht. So sah das auch Jürgen Vosseler. „Trossingen versucht jetzt, den Tiger zu reiten und dabei nicht gefressen zu werden“, meinte er. Dazu kommt bei den Räten die Sorge, Amazon könnte sich andernfall­s in Aldingen ansiedeln und der gesamte Lieferverk­ehr dann durch Trossingen fahren.

Für die meisten Räte Gründe genug, der Ansiedlung zuzustimme­n, auch wenn bei dem einen oder anderen Skepsis blieb. Im Wesentlich­en kristallis­ierten sich als Kritikpunk­te folgende Themen heraus:

1 Das eher schlechte Image von Amazon als Arbeitgebe­r in der öffentlich­en Wahrnehmun­g.

Gerhard Brummer (OGL) bemängelte, dass Amazon auf Zeitarbeit­er setze. Als Beispiel führte er Messkirch ins Feld, wo kaum Arbeitsplä­tze für Einheimisc­he entstanden seien. „Sie vernichten Städte“, befand Brummer. Er kritisiert­e außerdem niedrige Löhne und - ganz nebenbei - mangelnde Deutschken­tnisse der Amazon-Ausliefere­r, erhielt in diesen Punkten allerdings Kontra von Clemens Henn. Dieser bezeichnet­e 11,15 Euro Bruttolohn für ungelernte Fachkräfte als „guten Lohn“, liege doch der Mindestloh­n bei aktuell 9,50 brutto, und verwies darauf, dass auch die Lieferante­n für Brummers Ladengesch­äft nicht immer Deutsch sprechen würden. In Punkto Zeitarbeit­er sagte Freers, dass Amazon 90 Prozent seiner Mitarbeite­r fest beschäftig­e. Zeitarbeit­er erhielten ebenfalls Zusatzleis­tungen und alle paar Monate würden Arbeiter übernommen. In Trossingen sollen 130 Mitarbeite­r tätig sein, 60 weitere zu Spitzenzei­ten.

2 Geringe Gewerbeste­uereinnahm­en.

Susanne ReinhardtK­lotz (OGL) bemerkte, gehört zu haben, dass Amazon nicht immer Gewerbeste­uer bezahle. Dem widersprac­h Freers: „Wir zahlen, was vor Ort an Steuern anfällt“, sagte er. Da Amazon allerdings Logistiker sei und nicht zum produziere­nden Gewerbe gehöre, falle die Summe entspreche­nd kleiner aus. Wie hoch die Steuereinn­ahmen der Stadt letztendli­ch sein werden, könne er aber wegen örtlicher Unterschie­de von Hebesätzen pauschal nicht sagen. Nachdem sowohl Thomas Springer (FDP) als auch Jürgen Vosseler nachhakten und nach Zahlen fragten, rang sich Freers durch, diese als „im niedrigen bis mittleren fünfstelli­gen Bereich“zu beziffern.

3 Deutlich mehr Verkehr in Trossingen.

Zwischen 22 und 8 Uhr werden die Pakete im Logistikze­ntrum angeliefer­t, so Freer, die Auslieferu­ng erfolgt von 9 bis 14 Uhr. Zu Spitzenzei­ten wie dem „Black Friday“oder vor Weihnachte­n bedeute das zwei bis drei Lastwagen pro Stunde. Dann stehen 413

Touren an, ansonsten 236. Das Liefergebi­et erstreckt sich etwa von Oberndorf bis zur Schweizer Grenze und nach Westen bis Furtwangen, der Verkehr orientiere sich zu 90 Prozent über die Autobahn, so Freer. Damit wird er hauptsächl­ich über In Steppach abgewickel­t werden. Wolfgang Schoch (CDU) äußerte Bedenken, dass der Verkehrskn­otenpunkt dem gewachsen sei und auch Clemens Henn betonte: „Das Verkehrspr­oblem muss gelöst werden.“

Freers betonte, dass ein Gutachten erstellt werde, dass beziehungs­weise ob die örtliche Verkehrsst­ruktur den Zuwachs stemmen kann. Es gebe bereits eine Vorstudie. „Es wird zu keinen großen Störungen kommen“, so Freers. Bürgermeis­ter-Stellvertr­eter Gustav Betzler bemerkte, dass kaum Lastwagen Richtung Osten und damit über die Hauptstraß­e und Litschless­traße fahren würden. „Ich denke, damit kommen wir klar“, sagte er.

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FOTO: VENNENBERN­D So könnte es auch bald in Trossingen aussehen: Amazon will in Trossingen ein Logistikze­ntrum betreiben.

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