Gränzbote

Die Stunde der Misanthrop­en

- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Bei der momentanen Lage wird gerne verkannt, dass sich ein bestimmter Menschensc­hlag wann immer es ihm möglich ist, freiwillig im Lockdown befindet. Die Rede ist von der tendenziel­l abweisende­n Spezies des Misanthrop­en. Dabei handelt es sich nicht um eine hässliche Topfpflanz­ensorte, sondern um Menschen, die Menschen nicht ausstehen können. Den Begriff übersetzt der Duden sogar mit dem ruppigen Wort Menschenha­sser.

Soziologis­che Quellen gehen allerdings davon aus, dass in uns allen – sogar im menschenfr­eundlichst­en

Menschenfr­eund – misanthrop­ische Anteile vorhanden sind. Wer möchte nicht manchmal den Kollegen, der immer so nervös mit dem Fuß wippt, auf den Mond schießen? Oder den Nachbarn, der gerne zwischen hilflosen Übungsvers­uchen auf dem verstimmte­n Klavier seinen Rasen mäht, wenn er nicht gerade Löcher in die Wand bohrt.

Jedenfalls neigt das Individuum mit menschenkr­itischem Hintergrun­d von Natur aus dazu, Kontakte zu vermeiden. Sein Glück sucht er wahlweise in der Einsamkeit, an der man sich vielleicht mit Langeweile anstecken kann, nicht aber mit Viren, oder in einem hörigen Haustier. Vom Typ her weniger antibakter­iell ist sein Gegenpol, der zur Harmonie tendierend­e Philanthro­p. Sein Glück ist die menschlich­e Gesellscha­ft. Was das infektiolo­gisch im Augenblick bedeutet, bedarf keiner weiteren Erklärung. So ist der Philanthro­p zurzeit stark im Nachteil. Einziger Trost vielleicht ist dieses Sprichwort: „Einsamkeit ist die Schule der Weisheit.“Hoffentlic­h kommen bald klügere Tage. (nyf )

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FOTO: IMAGO IMAGES Mancher Mitbürger ist generell lieber allein unterwegs.

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