B.1.1.7 verängstigt die Welt
Eine Mutation des Coronavirus kann sich scheinbar schneller verbreiten – Experten jedoch mahnen zur Ruhe
BERLIN - Eigentlich sollte die Impfstoff-Zulassung in den harten Corona-Zeiten ein Hoffnungsschimmer sein. Doch die in England aufgetauchte Mutation B.1.1.7 von SarsCoV-2 schreckte zunächst Großbritannien und dann die ganze Welt auf, Verkehrsverbindungen zur Insel wurden gekappt. Was ist über die Mutation bekannt?
Sind Mutationen besorgniserregend?
Mutationen sind zunächst einmal ganz normal. Viren verändern sich, wenn sie sich vermehren. Das gilt auch für Sars-CoV-2. Hat nämlich ein Coronavirus eine menschliche Zelle „gekapert“, zwingt es diese, CoronaKopien herzustellen. Dabei treten immer wieder kleine Kopierfehler auf, die den genetischen Code des Virus verändern, es mutiert. Varianten gibt es bereits hunderttausendfach. Werden immer mehr Menschen infiziert, steigt auch die Häufigkeit von Mutationen. Dabei kommt es auch zu Virus-Formen, die sich besser übertragen lassen als andere – und deshalb ihre Virus-Geschwister in der Ausbreitung überholen. Eine Mutation kann also durchaus die Verbreitung des Erregers beschleunigen, den Krankheitsverlauf verschlimmern, die Wirksamkeit von Impfstoffen und Medikamenten beeinträchtigen – oder auch ganz im Gegenteil das Virus harmloser machen.
Ist die neue Variante gefährlicher?
Bisher sah es so aus, als ob bei SarsCoV-2 die Veränderungsrate nur halb so groß wie die von InfluenzaViren ist, für die bekanntlich jährlich der Impfstoff geändert werden muss. Und bisher schienen sich auch Verbreitungsfähigkeit und Gefährlichkeit nicht signifikant verändert zu haben. Aber die britische Regierung spricht von einer Mutation „außer Kontrolle“und einer um 70 Prozent ansteckenderen Corona-Art als bisher. Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, sieht diese Angaben mit Skepsis. Er zeigte sich im Deutschlandfunk „nicht so sehr besorgt“über die Berichte aus Großbritannien. Die Datenlage zu der Mutation sei noch sehr lückenhaft, die Angaben von Premierminister Boris Johnson zum Ansteckungsgrad der Mutation wohl ein Schätzwert. Britische Wissenschaftler hätten selbst betont, man müsse noch diese Woche abwarten, bis man klarer sehe. Es würde Drosten aber nach eigenen Worten wundern, wenn sich ein Parameter wie die Schnelligkeit der Übertragung „jetzt noch erheblich verändern würde“. Auch Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin,
hält es zum jetzigen Zeitpunkt für wissenschaftlich noch nicht belegt, dass diese Mutation „ursächlich für den Anstieg der Infektionen im Südosten Englands ist“. Und wie Christian Drosten hält es auch der Virologe Rolf Kaiser vom Uniklinikum Köln für möglich, dass sich die Mutation nur deshalb im Südosten Englands so ausgebreitet hat, weil dort zuvor nur wenige Menschen mit dem ursprünglichen Virus infiziert waren. Und dass es vielleicht ein Superspreading-Ereignis, bei dem sich Infektionen explosionsartig ausbreiten, gegeben habe, das auch jedes andere Virus hochgespült hätte.
Ist die Mutation schon Deutschland?
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Nachgewiesen wurde die Veränderung am sogenannten Spike-Protein, also der stachelartigen Struktur an seiner Oberfläche, mit der Corona an menschlichen Zellen andockt, nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) bei uns noch nicht. Was auch daran liegen kann, dass in Großbritannien seit April durch ein eigens gegründetes Konsortium viel zielgerichteter als bei uns Virusgenome von Infizierten sequenziert werden, um Mutationen zu identifizieren. Nach der Einschätzung von Drosten ist jedenfalls davon auszugehen, dass der mutierte Erreger Deutschland bereits erreicht habe. Davon müsse man sich aber „jetzt wirklich nicht irgendwie aus der Ruhe bringen lassen“. Ganz anders sieht das der SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach, selbst Arzt und Epidemiologe. In der zweiten Welle würde die englische Mutation in Deutschland „als ein Brandbeschleuniger“wirken. Das sei dann eine Katastrophe.
Ist die Mutation auch in anderen Ländern nachgewiesen worden?
Die Virus-Variante wurde bereits in weiteren Ländern registriert, darunter in Italien, Belgien, den Niederlanden und in Dänemark – allerdings jeweils in sehr seltenen Fällen, eine Entwicklung wie in Großbritannien hat es nicht gegeben. Allerdings ist in Südafrika eine der englischen Mutation ähnliche Variante aufgetreten, die von der dortigen Regierung dafür verantwortlich gemacht wird, bei Jüngeren einen schwereren Covid-19-Verlauf zu verursachen.
Muss man um die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe fürchten?
Danach sieht es nicht aus. Gerade die beiden ersten Vakzine, die von Biontech und Moderna kommen, scheinen gut geeignet, damit umzugehen. Basieren diese technologisch neuartigen Impfstoffe doch nicht auf vollständigen Viren, sondern der Nutzung ausgewählter Gene des Virus. Oder, wie Karl Lauterbach sagt, auf Fragmenten des Virus, Fragmenten ganz unterschiedlicher Varianten. Man könne deshalb davon ausgehen, dass die sogenannten mRNA-Impfstoffe auch bei dieser Mutation genug Fragmente für eine ausreichende Impfantwort finden würden. Biontech-Chef Ugur Sahin zeigte sich zuversichtlich, dass der Impfstoff seiner Firma bei der neuen Virus-Variante wirken werde. Bisher habe man bei keiner der untersuchten Mutationen festgestellt, dass die Wirksamkeit des Vakzins beeinträchtigt gewesen sei, sagte er am Montagabend bei „Bild Live“. Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass es auch bei der neuen Variante funktionieren werde. Dies werde man in den nächsten 14 Tagen testen. Auch Uwe Janssens betont, dass durch die Impfstoffe Antikörper gegen viele Regionen des Spike-Proteins gebildet werden. Daher sei es unwahrscheinlich, dass sich die Impfwirkung substanziell abschwäche. Im Übrigen halten Experten die mRNA-Vakzine für besonders geeignet, für den Fall tatsächlich deutlicher Veränderungen des Virus relativ schnell daran angepasst zu werden.