„Problem mit der Ansiedlung von Amazon sind nicht kommunalrechtliche Vorschriften“
Ralf Sulzmann über die nicht-öffentlichen Verhandlungen, Bürgerbeteiligung und Entscheidungsgrundlagen
TROSSINGEN - Die geplante Ansiedlung des Internetriesen Amazon in Trossingen schlägt in der Stadt hohe Wellen. Ein Kritikpunkt: Dass die Entscheidung im Gemeinderat hinter verschlossenen Türen fiel. SZ-Redakteurin Larissa Schütz hat bei Trossingens Hauptamtsleiter Ralf Sulzmann nachgehakt, ob das Thema nicht zwingend öffentlich hätte diskutiert werden müssen.
Laut Paragraf 35 der Gemeindeordnung darf nicht-öffentlich nur verhandelt werden, „wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern“. Weshalb ist die Amazon-Ansiedlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden? Inwiefern deckt sich das mit der Gemeindeordnung?
Die Gemeindeordnung hat in diesem Fall nur eine nicht-öffentliche Verhandlung zugelassen. Nach Paragraf 35 GemO und der entsprechenden Kommentierung ist nicht-öffentliche Verhandlung erforderlich beim Verkauf zu individuell festgelegten Konditionen.
Wenn nicht der Grundstücksverkauf, hätte nicht zumindest die Grundsatzentscheidung, ob sich Amazon in Trossingen ansiedeln darf, in öffentlicher Sitzung getroffen werden müssen?
Auch das wäre nicht zulässig gewesen, da der Verhandlungsgegenstand grundsätzlich im Ganzen nicht-öffentlich verhandelt werden muss. Letztlich muss man so ehrlich sein, dass das Problem mit der Ansiedlung der Firma Amazon nicht in kommunalrechtlichen Vorschriften besteht. Die Problematik liegt doch vielmehr in den Bedenken und Sorgen um die Ansiedlung an sich und die Auswirkungen bspw. auf die Verkehrssituation.
Paragraf 35 schreibt außerdem vor, die nicht-öffentlichen Beschlüsse „in der nächsten öffentlichen Sitzung im Wortlaut bekannt zu geben, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen“. Ist das so geschehen?
Das ist genau so geschehen. Wenn nämlich die der Bekanntgabe entgegenstehenden Gründe erst später wegfallen, hängt die Verpflichtung zur Bekanntgabe eben auch davon ab. Sobald die Voraussetzungen gegeben waren, wurde die Bekanntgabe ja auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt. Zusätzlich wurde die Entscheidung nicht nur bekanntgegeben, sondern die beteiligten Firmen auch noch zur Sitzung live hinzugeschaltet, um das Projekt konkret zu erläutern und vorzustellen.
Der Zeitpunkt zur Bekanntgabe und Information über den Grundstücksverkauf war so kurz vor der Schließung von Einzelhandelsgeschäften natürlich nicht wirklich günstig, aber wir mussten hierbei natürlich den Vorgaben des Kommunalrechts nachkommen. Zwar gibt es keinen Sachzusammenhang zwischen der Bekanntgabe und den harten Einschränkungen für den Einzelhandel auf Grund der Corona-Verordnung des Landes, aber ein günstigerer Zeitpunkt wäre wünschenswert gewesen.
Dass die Entscheidung mit Bekanntwerden in der Stadt Wellen schlagen würde, war erwartbar. Ist im kommenden Jahr eine Informationsveranstaltung für die Bürger vorgesehen?
Für das Vorhaben ist die Erstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans vorgesehen. Wir haben bewusst dieses Instrument gewählt, da damit sehr spezifische Vorgaben für ein konkretes Projekt gemacht werden können. Die Pläne müssen so konkret sein, dass alle städtebaulichen Parameter aus den Plänen ablesbar sind, also faktisch baugesuchsreif. Von städtischer Seite war von Anfang an u.a. ein Verkehrsgutachten Bestandteil der Forderungen innerhalb des Verfahrens.
Ohne dem Gemeinderat oder der neu gewählten Verwaltungsspitze vorzugreifen, sieht das Bebauungsplanverfahren explizit die Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Die genaue Form und der Ablauf müssen natürlich noch diskutiert werden, auch unter Corona-Gesichtspunkten. Man darf aber davon ausgehen, dass bei allen Projektbeteiligten, auch auf Seiten der Bauherrschaft, ein großes Interesse an der Akzeptanz des Projekts besteht. Nur durch eine umfassende Information der Öffentlichkeit kann das erreicht werden.
Der Gemeinderat hatte die Sorge, Amazon könnte sich anderweitig in Aldingen ansiedeln und damit deutlich mehr Verkehr in der Stadt verursachen. Gab es in dieser Hinsicht konkrete Anhaltspunkte oder handelte es sich lediglich um ein mögliches Szenario?
Im Zuge einer Entscheidung werden natürlich verschiedene Szenarien und Argumente beleuchtet und abgewogen. So auch mögliche Ansiedlungen in den Nachbargemeinden und ihre Auswirkungen auf die Stadt Trossingen. Eine mögliche Ansiedlung in Aldingen wurde dabei auch diskutiert, zumal dort bereits mehrere Logistikunternehmen ansässig ist. Daher handelt es sich um ein durchaus plausibles Szenario.
Ein weiterer Punkt, der laut Rat für die Ansiedlung spricht, ist, dass die betreffende Gewerbefläche aufgrund ihrer Hanglage nur schwer verkaufbar ist. War die Anfrage von Amazon bzw. Garbe/Honold die erste für das Gelände?
Sicherlich wird jeder, der sich das Grundstück von unten einmal genauer ansieht zu dem Schluss kommen, dass durch die extreme Hanglage eine Bebauung sehr schwierig wird. Daher ist das Gewerbegrundstück in den letzten Jahren und Jahrzehnten wohl auch nicht in den Fokus von Interessenten gerückt, auch wenn es seit Mitte der 80er-Jahre zu einem guten Teil im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt. Nach unseren Recherchen gab es für das Grundstück tatsächlich in der Vergangenheit keine Anfragen.