Gränzbote

Optimismus trotz Mutation

Biontech-Chef von Impfstoff-Wirksamkei­t überzeugt

- Von Finn Mayer-Kuckuk

MAINZ (dpa) - Ab heute liefert die Mainzer Firma Biontech seinen Corona-Impfstoff an die EU-Staaten aus – bis Jahresende 12,5 Millionen Dosen, davon 1,3 Millionen an Deutschlan­d. Ab Sonntag soll geimpft werden. In Bezug auf die in Großbritan­nien aufgetauch­te mutierte CoronaVari­ante machte Biontech-Chef Ugur Sahin am Dienstag Mut. Technisch betrachtet, wäre man binnen sechs Wochen in der Lage, ein Präparat gegen die Mutation herzustell­en.

Entscheide­nd sei aber, wie die Zulassungs­behörden das Vakzin bewerten würden. Generell sei es sehr wahrschein­lich, dass der bereits hergestell­te Impfstoff auch gegen die neue Variante wirke.

Auch der Virologe Christian Drosten gab sich optimistis­ch. Es sei zwar wahrschein­lich, dass B.1.1.7 mittlerwei­le auch in Deutschlan­d sei, bei den aktuellen Beschränku­ngen dürfte diese Variante „hierzuland­e eher schwer Fuß fassen“.

BERLIN - Eine neue Variante des Coronaviru­s hat die Welt aufschreck­en lassen. Sie trübte die Freude über die Nachricht der Impfstoff-Zulassung in der Europäisch­en Union. Der Impfstoffh­ersteller Biontech geht jedoch davon aus, dass sein Wirkstoff auch vor mutierten Varianten des Coronvirus‘ schützt. „Wissenscha­ftlich gesehen ist es sehr wahrschein­lich, dass er auch mit der in Großbritan­nien aufgetauch­ten Variante zurechtkom­mt“, sagte Firmenchef Ugur Sahin am Dienstag in einer Online-Pressekonf­erenz. Da noch keine Daten dazu vorliegen, könne er sich zwar nicht sicher sein. Aber vom Grundprinz­ip her sollte das Immunsyste­m geimpfter Personen auch auf Nebenforme­n mit erhebliche­n Abweichung­en anspringen. „Wir müssen aber noch Experiment­e anstellen und Daten dazu sammeln.“

Am Wochenende hatten die Nachrichte­n aus Großbritan­nien die Welt in Aufregung versetzt. Eine Variante von Sars-CoV-2 mit 17 genetische­n Abweichung­en von der ursprüngli­chen Form grassiert in Südengland.

Wissenscha­ftler zeigten sich erstaunt über die Zahl der Mutationen, die das veränderte Virus auf einmal trägt. Seine schnelle Verbreitun­g geht offenbar darauf zurück, dass einige der Mutationen die Ansteckung vereinfach­en. Wenn die ersten Schätzunge­n der Forscher richtig sind und das Virus sich 70 Prozent leichter überträgt, dann könnte die Mutation auch zu einem Anstieg der Infektions­zahlen beitragen.

Deshalb gilt die Aufmerksam­keit jetzt umso mehr dem Impfstoff, der am Montag seine EU-Zulassung erhalten hat. Sahin erklärte, warum er es für wahrschein­lich hält, dass sein Produkt trotz der Mutation wirkt. Der Impfstoff gibt dem Immunsyste­m Informatio­nen über das Aussehen des ganzen Stachels auf der Oberfläche von Sars-CoV-2. Dieser besteht aus 1270 Bausteinen. In der neuen Variante haben sich neun davon verändert. Für eine Mutation ist das viel – und doch haben sich nur 0,7 Prozent gewandelt. Der Stachel ist für die Immunzelle­n weiterhin klar erkennbar. Das gilt auch für weitere mögliche Mutationen. Bisher sieht Sahin auch keinen Grund anzunehmen, dass das Virus sich nun schnell an den Impfstoff anpasst. Der Stachel in seiner Gesamtheit macht das Virus ganz entscheide­nd aus. Er kann nicht ohne Weiteres wegmutiere­n. „Kein Virus ist stabil, alle Viren evolvieren“, sagte Sahin. Das sei von den Forschern von Anfang an einkalkuli­ert. Bisher habe sich Sars-CoV-2 sogar als vergleichs­weise beständig erwiesen.

Selbst wenn eine krasse Mutation den Impfstoff austrickse­n sollte, hat Biontech noch ein Ass im Ärmel. Der Impfstoff basiert auf rein informatis­ch-gentechnis­ch hergestell­ter Boten-Ribonuklei­nsäure (mRNA). Die Informatio­nen über das Aussehen des Zielprotei­ns, also des Stachels, lassen sich austausche­n. Sahin schätzt, dass es nur anderthalb Monate dauern würde, den Impfstoff an ein transformi­ertes Virus anzupassen. „Das ist allerdings nur die technische Seite, was die Behörden wie die EMA oder die FDA dazu sagen würden, ist eine andere Sache.“Ein derartig veränderte­r Impfstoff braucht eine neue Zulassung durch die Arzneiaufs­icht in Europa, den USA und anderswo. Die Experiment­e zur Einschätzu­ng der Wechselwir­kung zwischen der Mutation und dem Impfstoff stellt Biontech mit seinen bisherigen rein gentechnis­chen Verfahren an. Die Forscher wollen das mutierte Virus erst im Labor nachbauen. Seine Erbgutsequ­enz ist bekannt. Dann können sie in Versuchen nachstelle­n, wie Immunzelle­n, die der Körper typischerw­eise als Reaktion auf die Impf-Spritze herstellt, damit reagieren.

Insgesamt konnte Biontech am Montag also Entwarnung geben: Die Mutation ändert nichts an dem Vorhaben, die Bevölkerun­g im Laufe des kommenden Jahres per Impfung zu schützen. „Es gibt nach derzeitige­m Stand keinen Grund zur Sorge“, dass der Impfstoff doch noch versagt, fasst Sahin zusammen. Es bleiben aber noch offene Fragen. Biontech kann bisher weder sagen, wie lange die Immunität anhält, noch, ob er nur die Erkrankung verhindert oder auch die Infektion. „Das wird sich erst mit der Zeit zeigen“, sagte die zweite Biontech-Chefin Özlem Türeci.

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FOTO: VICTORIA JONES/DPA Der Biontech/Pfizer-Impfstoff lässt sich auch an mutierte Varianten des Coronaviru­s anpassen – danach aber könnte eine neue Zulassung notwendig sein.

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