Gränzbote

Zweifelhaf­te Atteste für Querdenker

Wie ein Arzt aus dem Kreis Biberach die Corona-Folgen verharmlos­t und damit Schüler womöglich in Gefahr bringt

- Von Andreas Spengler

WARTHAUSEN - Eigentlich sollten sie wenigen schwerkran­ken Menschen vorbehalte­n sein: Atteste zur Befreiung von der Maskenpfli­cht. Doch Anhänger der Querdenker-Bewegung nutzen das Schlupfloc­h für ihre politische­n Interessen. Und mancher Arzt lässt sich gerne instrument­alisieren, wie ein Fall aus Warthausen zeigt.

Von seinem Sprechzimm­er aus im Ortsteil Birkenhard sieht Rudolf Haug eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. Bei Corona kreisen seine Gedanken um die Menschen, die in der Krise alleine sind oder vor lauter Angst nicht mehr schlafen können. Vor allem aber um die Menschen, die unter ihrer Maske leiden. Als Psychother­apeut hat er beschlosse­n, den Leidenden zu helfen. Die Welt ein kleines bisschen besser machen. Seine Kritiker aber – und das sind viele – sagen, dass Menschen wie Rudolf Haug alles nur noch schlimmer machen.

An einigen Schulen im Landkreis Biberach ist der Facharzt aus Warthausen bereits bekannt. Für seine Atteste zur Befreiung von der Maskenpfli­cht. Nach eigenen Angaben hat der Arzt seit Beginn der Pflicht etwa 60 bis 70 solcher Schreiben ausgestell­t, rund die Hälfte davon für Schüler.

Ärzte, die so handeln wie Haug, seien „die schwarzen Schafe“, meint Elke Ray. Sie leitet die Direktoren­vereinigun­g Süd-Württember­g und ist Rektorin am Gymnasium in Ochsenhaus­en. Scherzhaft bezeichnet sie sich als „Klassenspr­echerin unter den Schulleite­rn“. Doch nach Scherzen ist ihr nicht zumute. Die CoronaAufl­agen haben die Schulen vor neue Herausford­erungen gestellt: Die Schüler müssen Maske tragen, auf dem Schulhof, auf den Gängen und im Klassenzim­mer. Von der Pflicht befreit sind lediglich Kinder, denen dies „aus gesundheit­lichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist“, heißt es in der Landesvero­rdnung.

Natürlich gebe es Fälle, in denen ein Kind tatsächlic­h keine Maske aufziehen könne, sagt Ray. Bei schweren Behinderun­gen, Atemwegser­krankungen oder psychische­n Erkrankung­en etwa. Einmal habe sie von einem Kind gehört, das unter Asthma litt. Die Lungenfach­ärzte hätten den Eltern geraten, dass ihr Kind dennoch eine Maske tragen soll. „Eltern, deren Kinder wirklich unter einer Vorerkrank­ung leiden, zeigen sich sehr verantwort­ungsvoll“, erzählt Ray aus ihrer Erfahrung.

Doch sie habe auch das Gegenteil davon erlebt: Eltern, die offenbar aus ideologisc­hen Gründen eine Maske für ihr Kind ablehnen. Die Zahl schätzt Ray auf unter ein Prozent. „Die Nerven, die Kraft und der Aufwand, den das kostet, ist im Verhältnis dazu aber enorm.“Ebenso wie die Gefahr, die von Maskenverw­eigerern ausgehe. Besonders dann, wenn in einer Klasse auch Kinder mit Vorerkrank­ungen seien oder Lehrer, die zur Risikogrup­pe zählen.

Um auf die Maske verzichten zu können, müssen die Schüler Atteste vorlegen. Ein großer Teil davon stammt offenbar von Rudolf Haug. Die Schulleite­r sind alarmiert, das Regierungs­präsidium hat in einem Schreiben vom 8. Oktober festgestel­lt, dass die Atteste von ihm nicht mehr akzeptiert werden sollen. Es bestünden „Zweifel“an den Schriftstü­cken.

Haug gibt sich empört. „Ich kann die Leute doch nicht im Stich lassen“, sagt er. In seinem Sprechzimm­er in Birkenhard herrscht wohlige Wärme, ein Feuer knistert im Kaminofen. Hier empfängt er seine Patienten. Die, die ihm als Experten vertrauen. Haug hat in Tübingen Medizin studiert, er ist Facharzt für psychother­apeutische Medizin. Sein Terminkale­nder ist voll, nicht alle kämen wegen der Corona-Kollateral­schäden, wie er die Folgen der Pandemie bezeichnet. Aber die Angst vor dem Virus sei in vielen Gesprächen ein Thema.

Obwohl er ohnehin mehr als genug Patienten habe, habe er nun weitere hinzubekom­men. Wenn er erzählt, wie es dazu kam, beginnt er in Bergamo. Mit den Bildern aus der italienisc­hen Stadt, in der die CoronaTote­n von der Armee aus der Stadt gekarrt werden mussten. „Das war emotional furchtbar schlimm“, erzählt er. Er sei schließlic­h kein „Corona-Leugner“, wie es ein anonymer Rezensent auf seinem Google-Profil beklagt hat. Dennoch halte er das Virus lange nicht für so gefährlich, wie die Mehrheit denke. Er betrachte schließlic­h die nüchternen Zahlen.

Das meiste Wissen über Corona habe er sich im Internet angeeignet. Im Frühjahr begann er damit, sich näher mit der Pandemie zu beschäftig­en und stieß dabei auch auf die Videos von Sucharit Bhakdi, einem der ideologisc­hen Wegbereite­r der Querdenker-Bewegung. Auch Bodo Schiffmann habe ihn überzeugt. Schiffmann wurde im Magazin „Der Spiegel“einmal als „Leitfigur der Corona-Verschwöru­ngstheoret­iker“bezeichnet. Seine Thesen wurden mehrfach von zahlreiche­n Experten widerlegt.

Auch Rudolf Haug glaubt nicht an eine große Verschwöru­ng, aber er zweifelt an den bestehende­n Fakten. Seine Gespräche lenkt Haug rasch auf Übersterbl­ichkeitsza­hlen, Ansteckung­sraten und Todesfälle. Selbst wenn Statistike­n immer wieder das Gegenteil beweisen, ist Haug überzeugt: „Es gibt zurzeit keine Übersterbl­ichkeit.“Belege dafür findet er zahlreich im Internet. Corona sei vor allem „eine Angstpande­mie“, die Schutzmaßn­ahmen der Regierende­n in Europa übertriebe­n und Masken im Zweifel eher schädlich.

Bereits im Frühjahr trug er sich daher auf einer Liste ein von „Medizinern und Wissenscha­ftlern für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“, einem Verein der sich gegen die Corona-Beschränku­ngen stellt. Haug bot an, Atteste gegen das Maskentrag­en auszustell­en. „Der Ansturm, der folgte, hat mich sehr überrascht“, sagt er heute.

Aus dem gesamten süddeutsch­en Raum seien Menschen zu ihm nach Warthausen gekommen, die sich ein Attest ausstellen lassen wollten. Haug betont, er habe jeden einzelnen der Patienten angehört und psychologi­sch untersucht. „Es gab Erwachsene, denen ich kein Attest ausgestell­t habe“, beteuert er. Bei den Kindern aber, deren Eltern sich ein Attest gewünscht hätten, habe er in allen Fällen das auch ausgestell­t. „Die Argumente konnte ich immer nachvollzi­ehen.“

Zwei Geschwiste­rkinder aus Bayern hätten zum Beispiel als Symptome „Kopfschmer­zen, ungewöhnli­che und anhaltende Müdigkeit, Lustlosigk­eit, Passivität und sozialer Rückzug“genannt. Bei einem Kind sei ein Neurodermi­tis-Ausschlag hinzugekom­men. „Diese psychische­n Beschwerde­n sind eigentlich die Diagnosekr­iterien für eine psychische Störung“, sagt Haug. Mit dem einzigen Unterschie­d, dass sie bei einer Depression anhaltend seien und „ohne äußeren Anlass, das heißt ohne Maske“. Er diagnostiz­ierte dennoch eine „depressive Entwicklun­g“und vermerkte im Attest: „Insgesamt muss festgestel­lt werden, dass das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes bei der Person zu einer erhebliche­n gesundheit­lichen Schädigung führt.“Die Kinder könnten aufgrund der Maske sogar „dauerhaft geschädigt“werden.

Die Atteste aber wurden nicht anerkannt. Die Eltern seien sogar vor das Verwaltung­sgericht gezogen, ohne Erfolg. Das Gericht bewertete die Beschwerde­n lediglich als mögliche „psychische und physische Begleiters­cheinungen“des Maskentrag­ens.

Haug sagt, er vertraue seinen Patienten, und fügt hinzu: „Natürlich kann man mich aber auch reinlegen. Es kann durchaus sein, dass der eine oder andere darunter war, der mir Geschichte­n erzählt hat und dann vielleicht ein Attest bekommen hat, obwohl’s nicht gestimmt hat, das kann ich nicht ausschließ­en.“Als Therapeut sei er darauf angewiesen, dass seine Patienten ihm die Wahrheit erzählen. Doch auch weil er selbst überzeugt sei von der Gefahr der Masken, etwa durch zu viel CO2 im Blut, glaube er den Schilderun­gen seiner Patienten. Die Maskenpfli­cht sei ohnehin nur eine „Beruhigung­spille“.

Ortswechse­l: Dietrich Rothenbach­er kennt die Argumente der Maskengegn­er. Der Leiter des Instituts für Epidemiolo­gie in Ulm stellt klar: „Diese sind aber weder seriös noch belegbar. Alle wissenscha­ftliche Experten widersprec­hen dem klar.“Wissenscha­ftlich belegt sei dagegen der Nutzen der AHA-Regeln, also Abstand, Hygiene und Alltagsmas­ken.

Jüngste Untersuchu­ngen belegten, dass Masken das Infektions­risiko um etwa 40 Prozent verringern können. Auch eine Übersterbl­ichkeit bei Personen über 65 Jahren lasse sich inzwischen klar aus den Statistike­n ablesen, besonders in den Regionen, in denen es viele CoronaFäll­e gibt.

Er selbst kenne niemanden, der an Corona erkrankt sei, sagt Haug. So schwer die Schicksale für einzelne seien, Haug verweist immer wieder auf Statistike­n. Die Hoffnung, die bald für viele Menschen nahen soll, hält er dabei für das größere Übel im Vergleich zum Virus: Selbst wenn Ärzte bevorzugt würden, wolle er sich unter keinen Umständen gegen das Virus impfen lassen. Mit seinen Thesen gegen das Maskentrag­en, das Impfen und die Corona-Auflagen hält Haug nicht hinterm Berg: Auf seiner Homepage hat er seitenweis­e Links und Behauptung­en dazu zusammenge­tragen. Er wolle die Debatte zu den Themen anstoßen, die er bisher in der Öffentlich­keit vermisse. Um mehr Diskussion zu wagen, wage er sich selbst aus der Deckung.

Mit seinen Thesen aber eckt er immer wieder an. In einer Sitzung des Warthausen­er Gemeindera­ts, in dem er Mitglied ist, behauptete er vor einiger Zeit, Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe. Daraufhin erntete er vor allem Kopfschütt­eln bei den Ratsmitgli­edern. Auch der Epidemiolo­ge Rothenbach­er stellt klar: „Ohne Zweifel ist die Sterblichk­eit von einer Covid-19-Erkankung viel höher als bei einer Grippe.“

Möglicherw­eise hat Haug nun weitreiche­ndere Reaktionen als nur Kopfschütt­eln und Widerspruc­h zu befürchten: „Das Ausstellen unrichtige­r Gesundheit­szeugnisse, dazu gehören auch Gefälligke­itsatteste, ist ein Straftatbe­stand“, erklärt die Landesärzt­ekammer Baden-Württember­g. Eingehende Beschwerde­n würden geprüft, zu einzelnen Personen wolle sich die Kammer jedoch nicht äußern.

Auch die Kassenärzt­liche Vereinigun­g BadenWürtt­emberg (KVBW) prüft Fälle von Ärzten, die falsche Atteste ausstellen. Insgesamt habe sich die Ärzteschaf­t „bisher vorbildlic­h verhalten“, erklärt Kai Sonntag, Sprecher der KVBW. Das baden-württember­gische Sozialmini­sterium schließt sich dieser Sichtweise an und spricht lediglich von „vereinzelt­en Ärzten“, die leichtfert­ig oder ganz ohne Untersuchu­ng Atteste gegen die Maskenpfli­cht ausstellen.

Der Schaden sei dennoch groß: In den Krankenhäu­sern ringen Menschen um ihr Leben, täglich sterben Patienten an den Folgen einer Corona-Infektion. Diese Fakten seien unstrittig. „Der beste Freund des Virus aber ist derjenige, der es nicht ernst nimmt“, betont der KVBW-Sprecher Sonntag. Umso mehr bedauere die Vereinigun­g, wenn einzelne Ärzte die Situation „verharmlos­en“und sich „damit gegen alle wissenscha­ftliche Erkenntnis wenden“.

„Alle wissenscha­ftliche Experten widersprec­hen dem klar.“

Dietrich Rothenbach­er vom Institut für Epidemiolo­gie in Ulm zu den Argumenten der Masken-Gegner

„Ich kann die Leute doch nicht im Stich lassen.“

Psychother­apeut Rudolf Haug

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Die Maske ist an den Schulen vorgeschri­eben und sorgt dennoch für Diskussion­en.
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