Erst gar kein Fall, dann ein Hotspot
Die Corona-Pandemie verschont den Landkreis Tuttlingen lange, im Herbst trifft ihn die zweite Welle aber hart
KREIS TUTTLINGEN - Es ist ein Freitag, der 13., an dem es auch den Landkreis Tuttlingen trifft: An diesem Tag Mitte März werden die ersten Corona-Fälle im Kreis nachgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt ist ganz Deutschland längst unter dem Eindruck des neuartigen Virus, das mit seiner schnellen Verbreitung und teils schweren Krankheitsverläufen für Verunsicherung sorgt.
Dass es im Kreis Tuttlingen lange keine Fälle gibt, kann sich kaum jemand erklären. Die ersten Fälle, zwei in Tuttlingen, einer in Spaichingen, kommen dann auf demselben Weg wie viele andere ins Land: Skifahrer, die aus dem Urlaub zurückkehren, bringen das Virus mit.
Am Montag folgen bundesweite
Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen: Kindergärten und Schulen schließen, Restaurants und Geschäfte machen zu, Veranstaltungen werden abgesagt.
Wie viele andere stampft der Kreis Tuttlingen in den folgenden Wochen eine komplett neue Infrastruktur aus dem Boden: Damit Menschen sich auf das Coronavirus testen lassen können, werden Teststellen am Tuttlinger Freibad und auf dem Parkplatz der Erwin-TeufelSchule in Spaichingen eingerichtet. Die geschlossene Fritz-Erler-Schule in Tuttlingen wird zum Abstrichzentrum. Zwischen 60 und 80 Personen täglich werden im Kreis Tuttlingen in dieser Zeit auf das Virus getestet.
Das Gesundheitsamt stockt personell auf und richtet eine TelefonHotline ein, die auch am Wochenende
erreichbar ist. Eine andere Idee wird wieder verworfen: Das kürzlich geschlossene Spaichinger Klinikum steht nur kurz als Ausweichort in der Corona-Pandemie zur Diskussion.
„Jeder Einzelne muss das tun, was gefordert ist“, appelliert Landrat Stefan Bär im Frühjahr regelmäßig – mit Erfolg. Die Menschen bleiben zuhause, die Maßnahmen zeigen Wirkung: Die große erste Welle bleibt im Landkreis Tuttlingen aus.
Nicht aber der Schaden. Hotels und Gastronomien haben trotz Soforthilfen mit Einbußen zu kämpfen. „Die Stornierungen sind eine Katastrophe“, bringt es Katia Schill vom Berghaus Knopfmacher in Fridingen auf den Punkt. „Die Umsätze werden uns fehlen. Wir haben genauso Zukunftsängste wie die Unternehmen und Privatpersonen“, sagt sie.
Im Sommer dagegen kehren Cafés, Kneipen und Geschäfte – wenn auch mit Vorsichtsmaßnahmen – fast zum Normalbetrieb zurückkehr. Das Virus scheint weit weg zu sein, da holt den Landkreis Tuttlingen Ende September die Realität ein. Eine Hochzeit sorgt für zahlreiche neue Coronafälle im Kreis, 35 von 85 Gästen haben sich infiziert.
Schon da gerät das Gesundheitsamt bei der Kontaktnachverfolgung an seine Grenzen: Waren es bis zum Sommer meist zehn bis 20 Menschen, mit denen eine infizierte Person Kontakt hatte, seien es jetzt pro Fall oft 50 bis 60, so Landrat Bär.
Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfzierten pro 100 000 Einwohner pro Woche steigt ab da langsam an – und im November plötzlich explosiv. Um die 80 Neuinfizierten
am Tag sind auf einmal keine Seltenheit mehr, die Sieben-TageInzidenz steigt weit über 200.
Das Gesundheitsamt ist überlastet, steht allerdings vor einem Rätsel, denn wo sich die Leute anstecken, ist kaum noch auszumachen: „Das Infektionsgeschehen ist diffus“, sagt der Landrat mehrmals, und das, obwohl das Land im November schärfere Maßnahmen verhängt. Weitergehende Einschränkungen hält Bär zunächst nicht für nötig („Verbote bringen nichts“), Anfang Dezember kommen sie dann doch. Zum einen, weil der Kreis Tuttlingen bei den Neuinfizierten einen traurigen Spitzenplatz im Land einnimmt. Zum anderen weil die Auswirkungen deutlich zu spüren sind: Bis zu 20 Menschen werden zeitweise stationär im Klinikum behandelt, zum Teil über
Wochen auf der Intensivstation. Auch die Pflegeheime sind stark betroffen: In Einrichtungen in Tuttlingen, Trossingen, Geisingen und Seitingen-Oberflacht sterben mehrere Bewohner im Zusammenhang mit dem Coronavirus.
Weil Appelle nicht mehr fruchten, sind schärfere Kontaktbeschränkungen und eine Ausweitung der Maskenpflicht die Konsequenz. Der bundesweite Lockdown folgt kurz vor Weihnachten. Die Fallzahlen im Kreis Tuttlingen sind zu dieser Zeit auf einem gleichbleibend hohen Niveau. Während die Vorbereitungen für ein Impfzentrum in der Kreissporthalle laufen, wird allen Beteiligten aber eins immer deutlicher: Die Pandemie wird die Menschen im Kreis Tuttlingen auch 2021 noch lange begleiten.