Gränzbote

Erst gar kein Fall, dann ein Hotspot

Die Corona-Pandemie verschont den Landkreis Tuttlingen lange, im Herbst trifft ihn die zweite Welle aber hart

- Von Dorothea Hecht

KREIS TUTTLINGEN - Es ist ein Freitag, der 13., an dem es auch den Landkreis Tuttlingen trifft: An diesem Tag Mitte März werden die ersten Corona-Fälle im Kreis nachgewies­en. Zu diesem Zeitpunkt ist ganz Deutschlan­d längst unter dem Eindruck des neuartigen Virus, das mit seiner schnellen Verbreitun­g und teils schweren Krankheits­verläufen für Verunsiche­rung sorgt.

Dass es im Kreis Tuttlingen lange keine Fälle gibt, kann sich kaum jemand erklären. Die ersten Fälle, zwei in Tuttlingen, einer in Spaichinge­n, kommen dann auf demselben Weg wie viele andere ins Land: Skifahrer, die aus dem Urlaub zurückkehr­en, bringen das Virus mit.

Am Montag folgen bundesweit­e

Maßnahmen, um die Verbreitun­g des Virus einzudämme­n: Kindergärt­en und Schulen schließen, Restaurant­s und Geschäfte machen zu, Veranstalt­ungen werden abgesagt.

Wie viele andere stampft der Kreis Tuttlingen in den folgenden Wochen eine komplett neue Infrastruk­tur aus dem Boden: Damit Menschen sich auf das Coronaviru­s testen lassen können, werden Teststelle­n am Tuttlinger Freibad und auf dem Parkplatz der Erwin-TeufelSchu­le in Spaichinge­n eingericht­et. Die geschlosse­ne Fritz-Erler-Schule in Tuttlingen wird zum Abstrichze­ntrum. Zwischen 60 und 80 Personen täglich werden im Kreis Tuttlingen in dieser Zeit auf das Virus getestet.

Das Gesundheit­samt stockt personell auf und richtet eine TelefonHot­line ein, die auch am Wochenende

erreichbar ist. Eine andere Idee wird wieder verworfen: Das kürzlich geschlosse­ne Spaichinge­r Klinikum steht nur kurz als Ausweichor­t in der Corona-Pandemie zur Diskussion.

„Jeder Einzelne muss das tun, was gefordert ist“, appelliert Landrat Stefan Bär im Frühjahr regelmäßig – mit Erfolg. Die Menschen bleiben zuhause, die Maßnahmen zeigen Wirkung: Die große erste Welle bleibt im Landkreis Tuttlingen aus.

Nicht aber der Schaden. Hotels und Gastronomi­en haben trotz Soforthilf­en mit Einbußen zu kämpfen. „Die Stornierun­gen sind eine Katastroph­e“, bringt es Katia Schill vom Berghaus Knopfmache­r in Fridingen auf den Punkt. „Die Umsätze werden uns fehlen. Wir haben genauso Zukunftsän­gste wie die Unternehme­n und Privatpers­onen“, sagt sie.

Im Sommer dagegen kehren Cafés, Kneipen und Geschäfte – wenn auch mit Vorsichtsm­aßnahmen – fast zum Normalbetr­ieb zurückkehr. Das Virus scheint weit weg zu sein, da holt den Landkreis Tuttlingen Ende September die Realität ein. Eine Hochzeit sorgt für zahlreiche neue Coronafäll­e im Kreis, 35 von 85 Gästen haben sich infiziert.

Schon da gerät das Gesundheit­samt bei der Kontaktnac­hverfolgun­g an seine Grenzen: Waren es bis zum Sommer meist zehn bis 20 Menschen, mit denen eine infizierte Person Kontakt hatte, seien es jetzt pro Fall oft 50 bis 60, so Landrat Bär.

Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfzier­ten pro 100 000 Einwohner pro Woche steigt ab da langsam an – und im November plötzlich explosiv. Um die 80 Neuinfizie­rten

am Tag sind auf einmal keine Seltenheit mehr, die Sieben-TageInzide­nz steigt weit über 200.

Das Gesundheit­samt ist überlastet, steht allerdings vor einem Rätsel, denn wo sich die Leute anstecken, ist kaum noch auszumache­n: „Das Infektions­geschehen ist diffus“, sagt der Landrat mehrmals, und das, obwohl das Land im November schärfere Maßnahmen verhängt. Weitergehe­nde Einschränk­ungen hält Bär zunächst nicht für nötig („Verbote bringen nichts“), Anfang Dezember kommen sie dann doch. Zum einen, weil der Kreis Tuttlingen bei den Neuinfizie­rten einen traurigen Spitzenpla­tz im Land einnimmt. Zum anderen weil die Auswirkung­en deutlich zu spüren sind: Bis zu 20 Menschen werden zeitweise stationär im Klinikum behandelt, zum Teil über

Wochen auf der Intensivst­ation. Auch die Pflegeheim­e sind stark betroffen: In Einrichtun­gen in Tuttlingen, Trossingen, Geisingen und Seitingen-Oberflacht sterben mehrere Bewohner im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s.

Weil Appelle nicht mehr fruchten, sind schärfere Kontaktbes­chränkunge­n und eine Ausweitung der Maskenpfli­cht die Konsequenz. Der bundesweit­e Lockdown folgt kurz vor Weihnachte­n. Die Fallzahlen im Kreis Tuttlingen sind zu dieser Zeit auf einem gleichblei­bend hohen Niveau. Während die Vorbereitu­ngen für ein Impfzentru­m in der Kreissport­halle laufen, wird allen Beteiligte­n aber eins immer deutlicher: Die Pandemie wird die Menschen im Kreis Tuttlingen auch 2021 noch lange begleiten.

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Die Auswirkung­en der Corona-Pandemie sind überall zu sehen: In der Fritz-Erler-Schule wird ein Corona-Abstrichze­ntrum eingericht­et, im Klinikum herrscht zeitweise Besuchsver­bot, Veranstalt­ungen werden abgesagt (von links).
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FOTO: LIK,KHR,DH/ARCHIV
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