Corona-Zoff am Bodensee
Erst sperrt Sipplingen seine Ufer, dann hebt das Landratsamt die Verordnung wieder auf
SIPPLINGEN - Die Straße direkt am Bodensee ist gegen zehn Uhr an diesem Samstag noch so befahrbar, dass die Sonnen- und Wasserhungrigen ganz gut durchkommen. Am Straßenrand kommt ein gelbes Schild in Sichtweite, auf dem steht „Sipplingen“. Ein paar Meter weiter gibt es da noch ein Schild, und darauf ist „Erholungsort“zu lesen. Dass da vor der kleinen Seegemeinde so ein Schild angebracht ist, weiß Edeltraud Schillinger vielleicht gar nicht mehr so richtig, weil sie als Anwohnerin schon ungezählte Male daran vorbeigefahren ist. Da übersieht man die Details, gerade wenn die Realität des alsbald in allen Nebenstraßen bedrohlich stockenden Verkehrs der Erholung grob zuwiderläuft.
Jedenfalls kneift Frau Schillinger die Augen zu Schlitzen zusammen, wenn sie daran denkt, was in dem kleinen Ort so los ist an einem sonnigen Sommersamstag. Sprichwörtlich vor ihrer etwas höher über Sipplingen gelegenen Haustür schlängelt sich so eine Art Drei-Länder-Blechkolonne am Friedhof vorbei. „Die Parkplätze vor dem Friedhof sind ja eigentlich für die Friedhofsbesucher gedacht“, stellt die Dame unmissverständlich klar. Die Autos, die da stehen, kommen aber aus Tuttlingen, Tübingen, Aalen, Darmstadt, Frankfurt
und Konstanz. Eher unwahrscheinlich, dass diese Autos mit Trauernden besetzt waren. Der Friedhof jedenfalls ist gegen 11 Uhr leer, was Straßen und vor allem der Uferstreifen mit Liegewiesen nicht von sich behaupten können. „Und jetzt noch der Streit zwischen Landratsamt und Bürgermeister“, sagt Edeltraud Schillinger und schüttelt den Kopf.
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Weil Bürgermeister Oliver Gortat fand, dass wegen der Menschenmassen an den großzügigen öffentlichen Uferbereichen – die zudem gratis zugänglich sind – die Corona-Regeln kaum eingehalten werden können, hat er die Sperrung der Ufer samt Liegewiesen zwischen 11 und 17 Uhr verfügt. Und zwar von jeweils Freitag bis Sonntag. Das Landratsamt hat diese Ufersperrung aber mit Hinweis darauf gekippt, dass Gortats Vorgehen einerseits juristisch nicht haltbar sei und andererseits „das lokale Infektionsgeschehen in Sipplingen“die Maßnahme nicht rechtfertige, wie es in einer Erklärung des Bodenseekreises heißt. Als Reaktion darauf spielt Gortat nun wiederum einen Trumpf aus – und sperrt den großen Parkplatz P1 für Besucher, außerdem die Zufahrten zum Ortskern.
Inzwischen ist es 11.30 Uhr – und der eigentlich gesperrte Parkplatz P1, der laut Beschilderung nur für
Hafenanlieger mit Berechtigungsausweis geöffnet ist, wird von den Autofahrern trotz des Verbots lebhaft genutzt. Ein Mercedesfahrer mit Frankfurter Kennzeichen kommentiert den Hinweis auf das Verbot mit Schulterzucken und fragt: „Ja wo soll ich denn sonst parken?“Wie ihm geht es vielen. Des Bürgermeisters schärfste Waffe bleibt an diesem Tag jedenfalls stumpf – zumal die anderen beiden größeren Parkplätze P2 und P3 regulär offen sind. Das an diesem Tag herrschende Verkehrschaos sei die ganz normale Katastrophe Sipplingens wie an jedem anderen Feriensommertag auch, bestätigen nicht nur Roswitha Keller und Edeltraud Schillinger.
Doch das Vorgehen von Bürgermeister Oliver Gortat finden nicht alle Menschen in Sipplingen gut. So etwa die Sonnenanbeter am Uferstreifen, die jetzt zur Mittagszeit immer mehr werden und sich dennoch nicht zu Infektionsherden ballen. Eine Familie mit zwei Kindern aus Villingen-Schwenningen zeigt kein Verständnis für die Sorge des Rathauschefs. Die Mutter sagt: „Gucken Sie sich doch um, das verteilt sich sehr gut. Es ist doch jede Menge Platz.“Tatsächlich halten die Menschen Abstand, nach Überfüllung sieht es nicht aus. Ganz anders das Bild bei Edeltraud Schillinger.
Im Gespräch mit weiteren Anwohnern wird schnell klar: Sipplingen
hat weniger ein Problem mit Virusinfektionen, sondern vielmehr eines mit Verkehr und Parkplätzen, die durch Corona und den Streit zwischen Landratsamt und Rathaus nur noch stärker hervortreten. Frau Schillinger berichtet, dass manche Auswärtigen weder davor zurückschreckten, sich in fremde Carports zu stellen, noch Tore oder Einfahrten zuzuparken. „Wir haben 2100 Einwohner – und manchmal 3000 Tagesgäste. Das ist einfach zu viel“, sagt die Anwohnerin.
Oliver Gortat ist nicht vor Ort und hat auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ausrichten lassen, nicht erreichbar zu sein. In einer Mitteilung vom Freitag heißt es: „Die Weisung des Landratsamtes ist für mich nicht nachvollziehbar.“Er halte die Weisung des Landratsamtes für „absolut bedenklich“für die Gesundheit der Bevölkerung. „Ebenso verwundert der Hinweis des Landratsamtes, es gäbe nicht genügend Infektionszahlen, die diese Maßnahme rechtfertigen würden. Nach meinem Verständnis gilt es doch, gerade Derartiges zu verhindern.“
Anwohnerin Edeltraud Schillinger hat jetzt erst mal genug von ihrem „Erholungsort“Sipplingen. Sie und ihr Mann haben gepackt und fahren mit ihrem Campingmobil los. In den Schwarzwald soll es gehen, an den schönen Titisee.