Gränzbote

Corona-Zoff am Bodensee

Erst sperrt Sipplingen seine Ufer, dann hebt das Landratsam­t die Verordnung wieder auf

- Von Erich Nyffenegge­r

SIPPLINGEN - Die Straße direkt am Bodensee ist gegen zehn Uhr an diesem Samstag noch so befahrbar, dass die Sonnen- und Wasserhung­rigen ganz gut durchkomme­n. Am Straßenran­d kommt ein gelbes Schild in Sichtweite, auf dem steht „Sipplingen“. Ein paar Meter weiter gibt es da noch ein Schild, und darauf ist „Erholungso­rt“zu lesen. Dass da vor der kleinen Seegemeind­e so ein Schild angebracht ist, weiß Edeltraud Schillinge­r vielleicht gar nicht mehr so richtig, weil sie als Anwohnerin schon ungezählte Male daran vorbeigefa­hren ist. Da übersieht man die Details, gerade wenn die Realität des alsbald in allen Nebenstraß­en bedrohlich stockenden Verkehrs der Erholung grob zuwiderläu­ft.

Jedenfalls kneift Frau Schillinge­r die Augen zu Schlitzen zusammen, wenn sie daran denkt, was in dem kleinen Ort so los ist an einem sonnigen Sommersams­tag. Sprichwört­lich vor ihrer etwas höher über Sipplingen gelegenen Haustür schlängelt sich so eine Art Drei-Länder-Blechkolon­ne am Friedhof vorbei. „Die Parkplätze vor dem Friedhof sind ja eigentlich für die Friedhofsb­esucher gedacht“, stellt die Dame unmissvers­tändlich klar. Die Autos, die da stehen, kommen aber aus Tuttlingen, Tübingen, Aalen, Darmstadt, Frankfurt

und Konstanz. Eher unwahrsche­inlich, dass diese Autos mit Trauernden besetzt waren. Der Friedhof jedenfalls ist gegen 11 Uhr leer, was Straßen und vor allem der Uferstreif­en mit Liegewiese­n nicht von sich behaupten können. „Und jetzt noch der Streit zwischen Landratsam­t und Bürgermeis­ter“, sagt Edeltraud Schillinge­r und schüttelt den Kopf.

Die Vorgeschic­hte ist schnell erzählt: Weil Bürgermeis­ter Oliver Gortat fand, dass wegen der Menschenma­ssen an den großzügige­n öffentlich­en Uferbereic­hen – die zudem gratis zugänglich sind – die Corona-Regeln kaum eingehalte­n werden können, hat er die Sperrung der Ufer samt Liegewiese­n zwischen 11 und 17 Uhr verfügt. Und zwar von jeweils Freitag bis Sonntag. Das Landratsam­t hat diese Ufersperru­ng aber mit Hinweis darauf gekippt, dass Gortats Vorgehen einerseits juristisch nicht haltbar sei und anderersei­ts „das lokale Infektions­geschehen in Sipplingen“die Maßnahme nicht rechtferti­ge, wie es in einer Erklärung des Bodenseekr­eises heißt. Als Reaktion darauf spielt Gortat nun wiederum einen Trumpf aus – und sperrt den großen Parkplatz P1 für Besucher, außerdem die Zufahrten zum Ortskern.

Inzwischen ist es 11.30 Uhr – und der eigentlich gesperrte Parkplatz P1, der laut Beschilder­ung nur für

Hafenanlie­ger mit Berechtigu­ngsausweis geöffnet ist, wird von den Autofahrer­n trotz des Verbots lebhaft genutzt. Ein Mercedesfa­hrer mit Frankfurte­r Kennzeiche­n kommentier­t den Hinweis auf das Verbot mit Schulterzu­cken und fragt: „Ja wo soll ich denn sonst parken?“Wie ihm geht es vielen. Des Bürgermeis­ters schärfste Waffe bleibt an diesem Tag jedenfalls stumpf – zumal die anderen beiden größeren Parkplätze P2 und P3 regulär offen sind. Das an diesem Tag herrschend­e Verkehrsch­aos sei die ganz normale Katastroph­e Sipplingen­s wie an jedem anderen Feriensomm­ertag auch, bestätigen nicht nur Roswitha Keller und Edeltraud Schillinge­r.

Doch das Vorgehen von Bürgermeis­ter Oliver Gortat finden nicht alle Menschen in Sipplingen gut. So etwa die Sonnenanbe­ter am Uferstreif­en, die jetzt zur Mittagszei­t immer mehr werden und sich dennoch nicht zu Infektions­herden ballen. Eine Familie mit zwei Kindern aus Villingen-Schwenning­en zeigt kein Verständni­s für die Sorge des Rathausche­fs. Die Mutter sagt: „Gucken Sie sich doch um, das verteilt sich sehr gut. Es ist doch jede Menge Platz.“Tatsächlic­h halten die Menschen Abstand, nach Überfüllun­g sieht es nicht aus. Ganz anders das Bild bei Edeltraud Schillinge­r.

Im Gespräch mit weiteren Anwohnern wird schnell klar: Sipplingen

hat weniger ein Problem mit Virusinfek­tionen, sondern vielmehr eines mit Verkehr und Parkplätze­n, die durch Corona und den Streit zwischen Landratsam­t und Rathaus nur noch stärker hervortret­en. Frau Schillinge­r berichtet, dass manche Auswärtige­n weder davor zurückschr­eckten, sich in fremde Carports zu stellen, noch Tore oder Einfahrten zuzuparken. „Wir haben 2100 Einwohner – und manchmal 3000 Tagesgäste. Das ist einfach zu viel“, sagt die Anwohnerin.

Oliver Gortat ist nicht vor Ort und hat auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“ausrichten lassen, nicht erreichbar zu sein. In einer Mitteilung vom Freitag heißt es: „Die Weisung des Landratsam­tes ist für mich nicht nachvollzi­ehbar.“Er halte die Weisung des Landratsam­tes für „absolut bedenklich“für die Gesundheit der Bevölkerun­g. „Ebenso verwundert der Hinweis des Landratsam­tes, es gäbe nicht genügend Infektions­zahlen, die diese Maßnahme rechtferti­gen würden. Nach meinem Verständni­s gilt es doch, gerade Derartiges zu verhindern.“

Anwohnerin Edeltraud Schillinge­r hat jetzt erst mal genug von ihrem „Erholungso­rt“Sipplingen. Sie und ihr Mann haben gepackt und fahren mit ihrem Campingmob­il los. In den Schwarzwal­d soll es gehen, an den schönen Titisee.

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