Geiselnehmer muss vier Jahre in Haft
Psychische Verfassung hat Einfluss auf Urteil des Landgerichts – Angeklagter fleht um Vergebung
SIGMARINGEN - Der Prozess im Hechinger Landgericht um die Geiselnahme im Sigmaringer Landratsamt, ist am Montag, den 7. Dezember, nach drei Verhandlungstagen zu Ende gegangen: Der 25-jährige Angeklagte muss für vier Jahre ins Gefängnis. Die für diese Tat noch geringe Anzahl der Haftjahre erklärte der Vorsitzende Richter Hannes Breucker unter anderem mit den psychischen Erkrankungen des Mannes, die der Sachverständige Dr. Ralph-Michael Schulte am zweiten Prozesstag attestiert hatte, darunter vor allem eine Posttraumatische Belastungsstörung. Schulte schloss daher vergangene Woche eine verminderte Schuldfähigkeit nicht aus. Dem folgte das Gericht. „Sie werden also wie ein kranker Mann bestraft“, sagte Breucker.
Nachdem die Mitarbeiter des Landratsamts und die involvierten Polizisten vorige Woche ausgesagt hatten, hielten am Montag Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertreter und Verteidiger ihre Plädoyers, bevor das Urteil fiel. Staatsanwalt Philipp Wissmann rekonstruierte dabei den Tatverlauf, wie er sich aus seiner
Sicht am 3. Juni im Sigmaringer Landratsamt abgespielt hat.
Dabei ging er auf das Weltbild des Angeklagten ein, das der Psychiater am Donnerstag erklärt hatte. Die Geiselnahme habe der nigerianische Staatsangehörige begangen, um „die Polizisten zum Abzug zu zwingen, denn er dachte, sie wollen ihm etwas Böses“, so Wissmann. Bei der Tat habe der Mann daher in Kauf genommen, andere zum eigenen Schutz zu verletzen. „Und das Messer war scharf, es bestand Gefahr für das Leben des Opfers“, sagte er. Die Geschädigte wiederum sei „zur falschen Zeit am falschen Ort“, also ein Zufallsopfer, gewesen, fügte er an. In dem Zusammenhang betonte Wissmann, dass es sich um eine schwere Tat handele: „Wie viel schlimmer hätte es noch kommen können? Wäre mehr passiert, hätten wir ein Tötungsdelikt verhandelt.“
Auch die drastischen Folgen für die übrigen Mitarbeiter des Landratsamts nannte Wissmann. Es seien erhebliche Sicherheitsmaßnahmen für ein Amt nötig, das zuvor für alle offen gewesen sei. Das koste „sehr viel Geld“, so Wissmann. Genauso schlimm sei aber der moralische Aspekt: „Sie haben bei vielen Menschen
das Vertrauen gegenüber Migranten stark geschädigt.“
Wissmann sprach sich schließlich für eine Freiheitsstrafe von vier Jahren aus. „Eine Bewährung kommt hier nicht in Betracht“, sagte er, ging in seinem Plädoyer aber noch auf einen übergeordneten Aspekt ein: „Das ist ein besonderer Fall, der dazu geeignet ist, zu spalten.“Er hinterfragte, ob die Geburtsurkunde des Angeklagten womöglich ausgereicht hätte, um eine Arbeitserlaubnis zu erlangen, womit all das nicht geschehen wäre. „Aber das ist eine politische Frage, die vor der Strafkammer nicht geklärt werden darf. Gewalt wird so oder so nicht toleriert“, so Wissmann.
Während dieser Ausführungen zuckte der Angeklagte immer wieder heftig auf seinem Stuhl, knetete angespannt seine Hände, zitterte und brach mehrmals in Tränen aus. Daher war im Laufe von Wissmanns Plädoyer eine Pause nötig, weil der Angeklagte seine Kopfhörer, über die der Dolmetscher übersetzte, abnahm.
Verteidiger Fritz Westphal bekräftigte zwar, dass eine Freiheitsstrafe für den Angeklagten angebracht sei, hinterfragte aber deren
Dauer. Der Mann habe im Landratsamt auf Hilfe gehofft und sei von der Polizei, so dessen Weltbild, enttäuscht worden, erläuterte Westphal. Er plädierte dafür, dass drei Jahre Haft ausreichten.
In seinem letzten Wort fiel der Angeklagte schließlich auf die Knie und flehte unter Tränen um Vergebung: „Schickt mich nicht ins Gefängnis.“Diesem Wunsch kam das Gericht allerdings nicht nach. Breucker führte aus, dass unter anderem die traumatischen Folgen für das Opfer und die Mitarbeiter im Landratsamt gegen den Angeklagten sprechen. Einiges spreche aber auch für den Angeklagten, so Breucker. Es habe sich um eine Spontantat aus Angst gehandelt, der Angeklagte sei weitgehend geständig und nicht vorbestraft und die Geiselnahme habe nur wenige Sekunden gedauert. Darüber hinaus spiele die Vergangenheit des Angeklagten und die Folgen der Flucht aus Nigeria eine große Rolle.
Breucker appellierte schließlich an den Angeklagten, er solle sich helfen lassen und eine Traumatherapie absolvieren. Er zeigte sich überzeugt: „Sie sind kein Krimineller, der weitermachen wird.“