So war es damals mit Corona
Kultur findet 2020 eigentlich nicht statt – Museum sammelt bereits für Sonderausstellung
LANDKREIS TUTTLINGEN - Ist das Kunst, oder kann das weg? Es war Kunst, und es konnte weg. Fast komplett. Nur wenige Monate bleiben 2020 im Landkreis Tuttlingen für den regulären Kulturbetrieb, bis im März der erste Lockdown einsetzt. Konzerte in der Stadthalle? Abgesagt. Kinos? Geschlossen. Honberg-Sommer? Ausgefallen. Irgendwann im Laufe des Jahres nimmt man die Meldungen über ein Kulturereignis, das nicht stattfindet, nur noch mit einem Achselzucken zur Kenntnis. Noch ein freier Abend.
Mit dem Mute der Verzweiflung reagieren die Veranstalter auf die Katastrophe. Viele Events werden aufs neue Jahr verschoben. Der HonbergSommer etwa kann fast sein komplettes Programm für 2020 auf 2021 verlegen. Auch die meisten Bands, die fürs Southside-Festival gebucht sind, halten daran fürs Jahr darauf fest. Southside = Kultur? Das MegaEvent, das mit den Jahren mehr und mehr zu einer gigantischen Springbreak-Party mutiert ist? Ja doch: Das Programm bietet nach wie vor eine Vielzahl von Musikerinnen und Musikern, die für eigenwillige und kreative Auftritte stehen, auch und gerade bei den klein gedruckten Namen auf den Plakaten. 2021 werden sie fast alle ihren für 2020 vorgesehenen Gig absolvieren.
Werden sie? Es gibt nicht wenige Stimmen in der Veranstaltungsbranche, die davon ausgehen, dass es auch 2021 keine großen Festivals geben kann. Noch ist nichts entschieden, aber aktuell ist – Impf-Aktion hin oder her – schwer vorstellbar, dass es im kommenden Sommer Großkonzerte mit zehntausenden, dichtgedrängten Zuschauern geben kann. Das gilt auch für Zelt-Events wie den Honberg-Sommer, an dem die Tuttlinger Hallen noch trotzig festhalten.
Die Hallen haben ein schweres Jahr hinter sich (s. Text rechts). Eine Absage nach der anderen, irgendwann funktionieren wenigstens kleine Lösungen mit reduziertem Publikum, nach dem Sommer sind auch sie nicht mehr möglich. In Trossingen ist es ähnlich. Im November sollte das Sinfonieorchester der Musikhochschule unter der Leitung von Sebastian Tewinkel Mahlers 4. Sinfonie aufführen; das Konzert wurde verschoben – und wird auch jetzt noch nicht aufgeführt werden können.
Immerhin: Die „Krähe“krächzte zwar spät, aber deutlich vernehmbar: Der Kleinkunstwettbewerb – man kann ihn durchaus schon traditionell nennen – konnte mit Verspätung stattfinden, im kleinen ZwischenLockdown-Zeitraum im Herbst. Der Preis der Stadt Tuttlingen geht nach Berlin! Nach vier Krähe-Abenden erhält der 32-jährige Liedermacher und Musik-Kabarettist Lennart Schilgen die Bronzeplastik von Roland Martin und den Siegerscheck mit Preisgeld. Der fällt allerdings geringer aus als in den Vorjahren, weil die Teilnehmer des Wettbewerbs sich einvernehmlich darauf verständigt haben, dass alle zwölf Endrundenteilnehmer denselben Betrag erhalten sollen, ganz unabhängig von der Platzierung – ein Zeichen der Solidarität in schwierigen Zeiten.
Weitere Preise erhielten bei der
Preisträgergala in der Angerhalle und in der Stadthalle Tuttlingen der Hamburger Stand Up Comedian Martin Niemyer (2. Jurypreis), der Komiker und Musiker Heinz Gröning (Sonderpreis der Jury) und der fränkische Lieder- und Spaßmacher El Mago Masin (Publikumspreis). Und das mutige Signal lautet: Vom 13. bis 18. April steigt die „21. Tuttlinger Krähe“. Hoffentlich.
Die großen Kulturveranstaltungen – Klassische Konzerte, Schauspiel, Pop und Rock – haben also 2020 nur bis ins Frühjahr stattgefunden. Das waren meist professionelle
Künstlerinnen und Künstler, denen damit in einem Maße Einnahmen, um nur im materiellen Bereich zu bleiben, weggebrochen sind. Doch die Lockdowns betreffen im Coronajahr auch die Amateure.
Wie viele Jahreskonzerte und weitere Veranstaltungen von örtlichen Musikvereinen sind 2020 wohl ausgefallen? Auch sie beklagen fehlende Einnahmen; doch mindestens genauso schwer werden sie davon getroffen, ihr Können nicht zu zeigen. Manche proben im Sommer draußen, mit Abstand, um wenigstens einigermaßen im „Training“zu bleiben. Andere versuchen ein spezielles Lockdown-Event auf die Beine zu stellen – und scheitern. Beispiel SBO: Das Städtische Blasorchester Tuttlingen will im November, wenn eigentlich das reguläre Jahreskonzert ansteht, ein besonderes Programm auf die Bühne der Stadthalle bringen: Nicht das ganze Orchester soll dicht gedrängt dort stehen, sondern kleinere Ensembles mit verschiedenen Stücken und in verschiedenen Stilen sollen einander abwechseln. Um das Publikum locker im Saal zu verteilen, soll das Konzert zweimal stattfinden. Wochenlang wird geprobt, dann muss der Vorstand doch die Absage verschicken – alle Veranstaltungen sind untersagt. Großer Frust bei allen Musikerinnen und Musikern – und ihren Angehörigen, die sich mit ihnen darauf gefreut hatten. Schließlich bietet das Jahreskonzert gerade den Nachwuchsorchestern eine wichtige Bühne, um zu zeigen, was man gelernt hat.
Die Bühnen bleiben also weitgehend leer im Coronajahr. Auch den Museen und Galerien ergeht es nicht anders. Sie müssen Ausstellungen absagen und ihre Dauerausstellungen schließen. Die Galerie der Stadt Tuttlingen kann wenigstens einen witzig-ironischen Schlusspunkt unter einem schlimmen Jahr setzen: Da die Stadt entschieden hat, die Räume der Galerie für die Nutzung der Toiletten zu öffnen, hat Galerieleiterin Anna-Maria Ehrmann-Schindlbeck die Künstlerin Anja Luithle eingeladen, die sonst verwaisten Wände mit Blättern ihrer „Wertpapier“-Serien zu behängen. Wer also beim Einkaufsbummel die Toiletten aufsucht, sieht diese Werke – Blätter aus Toilettenpapier aus mehreren Ländern, die die Künstlerin per Aufdruck zu „Wertpapieren“erklärt, was unter den Pandemie-Vorzeichen – wir erinnern uns an die Hamsterkäufe im Frühsommer – eine ganz besondere Bedeutung erhält. Doch ist auch das nur ein bitteres Surrogat für eine tatsächliche Ausstellung. Das Kunstmuseum Hohenkarpfen zeigt nur eine Ausstellung, Christian Landenberger, die die ganze Saison zu sehen ist; die übliche zweite Werkschau „Realismus und Impressionismus – Paul von Ravenstein und Armin Reumann“wird, wie es so unschön heißt, „zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt.“Hoffen wir‘s!
In den zwei Museen in Trossingen tut sich, na ja, etwas. Das Auberlehaus stellt seine neue Sammlung früheren Alltagslebens vor, die Einblicke ins Privatleben wie in die Arbeitswelt früherer Zeiten ermöglicht. Und das Harmonikamuseum kann zumindest zeitweise seine Sonderausstellung über die fünf „vergessenen“Söhne des Hohner-Gründers Matthias präsentieren.
Geöffnet hat zwar das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck – allerdings praktisch ohne Programm und ohne Sonderveranstaltungen. Das Museumsteam greift dafür aber das Thema Corona auf und ruft auf, ihm Fotos, Dokumente und Erinnerungsgegenstände samt Anmerkungen zuzusenden, um das Extremjahr zu dokumentieren und festzuhalten. Gut möglich, dass daraus in 20 oder 50 Jahren einmal eine Sonderausstellung wird – unter dem Titel „So war das damals mit Corona“.