Gränzbote

„Licht am Ende des Tunnels wird heller“

Bundespräs­ident Steinmeier verbreitet zum Fest Optimismus – Appell von Kretschman­n

- Von Andreas Meyer

BERLIN/STUTTGART (dpa/KNA/ sz) - Traurige Zahlen bei den CoronaTode­sfällen, Appelle an die Bürger und nachdenkli­che Worte vom Bundespräs­identen: „Eine schwere Zeit liegt hinter uns. Die Pandemie wirft ihren Schatten auch auf dieses Weihnachts­fest“, sagte er in seiner Weihnachts­ansprache, die am 25. Dezember ausgestrah­lt werden soll. „Aber wir dürfen uns darauf freuen, dass wir das nächste Weihnachte­n wieder so feiern, wie wir es lieben: im großen Kreis der Familie, mit unseren Freunden, mit Umarmungen und Gesang.“Auch aktuell ruft er zu Optimismus auf: „Ja, wir haben allen Grund zur Zuversicht. Seit dieser Woche sind Impfstoffe zugelassen.“Vor den Menschen liege noch ein beschwerli­cher Weg, „aber wir sehen das lang ersehnte Licht am Ende des Tunnels heller werden“.

Die Impfungen sollen nach mehreren anderen Staaten, darunter Großbritan­nien und die USA, am Sonntag auch in Deutschlan­d beginnen. Bis zum Sommer könne allen Bürgern in Deutschlan­d ein „Impfangebo­t“gemacht werden, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch, sofern weitere Impfstoffe zugelassen würden. Er rechne bis Ende März mit elf bis zwölf Millionen Dosen.

In Stuttgart appelliert­e BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) angesichts der hohen Infektions­zahlen an die Solidaritä­t der Bürger. „Bitte denken Sie daran, dass die Regeln nicht nur Buchstaben sind. Sie haben auch einen Geist“, sagte er. Man müsse nicht alles tun, was erlaubt ist. „Suchen Sie nicht nach Schlupflöc­hern!“Das Virus sei zwar stark, „aber gemeinsam sind wir stärker“.

Derweil ist die Zahl der Todesfälle in Zusammenha­ng mit Corona weiterhin enorm hoch. Binnen eines Tages übermittel­ten die deutschen Gesundheit­sämter nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“853 Todesfälle.

Haltepunkt­e, die in der Corona-Pandemie Sicherheit geben - sie findet der katholisch­e Seelsorger am Unikliniku­m Ulm, Pfarrer Andreas Meyer beim alttestame­ntarischen Prophet Jesaja. Sein Volk durchlebte schlimme Erfahrunge­n. Jesaja aber predigte mit Blick auf Gott: „Es wird eine Veränderun­g zum Guten geben, das Leben wird anders werden.“Diese Botschaft ermutigt Andreas Meyer für die Begegnunge­n im Klinikallt­ag, wie er in seiner Weihnachts­predigt für die „Schwäbisch­e Zeitung“schreibt. Gerade dort komme es darauf an, ein offenes Ohr für Sorgen, Ängste, Befürchtun­gen der Menschen zu haben.

Wie wird das mit Weihnachte­n, dieses Jahr? Die Frage treibt mich seit Wochen um. Und viele andere fragen genauso.

Nachdem die Corona-Pandemie in den Sommerwoch­en in den Hintergrun­d getreten, ja fast vergessen worden war, flammte sie im Herbst wieder auf. Anfänglich­e Ansagen, dass auch wir hier in Deutschlan­d uns auf rasant steigende Zahlen einstellen müssen, wurden nicht für wahr gehalten oder erst gar nicht gehört. Bis dann Anfang November erste Maßnahmen ergriffen und vor gut einer Woche ein neuer Lockdown verordnet wurde. Nun sind viele enttäuscht, weil das Einkaufen von Geschenken unmöglich wurde. Und auch die vertrauten Begegnunge­n mit lieben Menschen an Weihnachte­n sind – wenn überhaupt – nur unter strengen Auflagen möglich. Aber noch viel stärker sind die Menschen betroffen, die um ihre wirtschaft­liche Existenz fürchten. In vielen Bereichen wurden Hygienekon­zepte entwickelt, die das Leben und Arbeiten wieder möglich gemacht haben. Das alles scheint jetzt vergeblich zu sein.

Und in unseren Kliniken begegnen wir Seelsorger­innen und Seelsorger tagtäglich Menschen, die sehr schwer, oft genug lebensgefä­hrlich erkrankt sind, die auf eine Wende zum Guten hoffen. So mancher kann sich über die Heilung seiner Krankheit freuen. Aber trotz aller ärztlichen Kunst sterben Menschen, weil es für sie keine Heilung gab. Und wir erleben Pflegende und Ärzte, die schon lange am Limit ihrer eigenen Kräfte arbeiten, weil zum gewohnten Alltagsbet­rieb auch noch die Versorgung der an Covid19 Erkrankten gekommen ist. Das hat Umstruktur­ierungen in der Klinikorga­nisation, veränderte Personalpl­anungen und eine vermehrte Aufmerksam­keit für Hygienesta­ndards nach sich gezogen.

Das sind nur ein paar wenige Schlaglich­ter auf unsere Lebenssitu­ation. Es gibt noch viel mehr Beispiele. Die lassen sich am deutlichst­en mit dem Wort „Katastroph­e“(d.h. Zusammenbr­uch) beschreibe­n.

Ich suche nach Haltepunkt­en in dieser großen Verunsiche­rung. Die finde ich im Alten Testament beim Propheten Jesaja. Der hatte in seiner Zeit die schwierige Aufgabe, den Menschen Mut zu machen. Es gab ein heilloses Durcheinan­der damals in seinem Land. Maßlose Machtpoli-tik hatte zum Untergang Israels geführt. Und Jesaja hatte die knifflige Aufgabe, den Menschen zu sagen: „Gott ist trotzdem da“. Jesaja spart zunächst nicht mit Mahnung und Schelte. Aber er schildert auch Gottes Nähe mit eindrückli­chen Bildern: „Aus einem Baumstumpf wird neues Leben wachsen“sagt er zum Beispiel, oder „die Wüste wird zu blühen anfangen!“Diese Bilder haben an den Erfahrunge­n der Menschen angeknüpft. Immer wieder konnten sie erleben, dass aus einem gefällten Baum ein neuer Ast wächst, der sogar Blätter trägt. Und wenn in der Wüste Regen fällt, wachsen in kürzester Zeit Pflanzen und beginnen zu blühen.

Texte aus dem Buch Jesaja wurden schon oft in den Gottesdien­sten während der Adventszei­t vorgelesen. Und im Gottesdien­st heute Abend kommt ebenfalls ein JesajaText dran (Jes 9, 1-6). „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschat­ten wohnen, strahlt ein Licht auf.“(9,1) So beginnt er. Dann gestaltet Jesaja aus verschiede­nen Teilen, die wieder an Erfahrunge­n der Menschen anknüpfen, ein Kontrastbi­ld zum Alltag mit seinen schrecklic­hen Erfahrunge­n: Menschen freuen sich über eine reiche Ernte, der Stock des Treibers wird zerbrochen, der Kampfstief­el und der blutversch­mierte Mantel eines Kämpfers werden verbrannt. Das alles, weil ein Kind geboren wurde. Dieses Kind ist ein neuer Herrscher, unter dem das Leben ganz anders wird.

Diese Bilder haben auf dem Hintergrun­d der katastroph­alen Erfahrunge­n, die Jesaja und seine Zeitgenoss­en machen mussten, eine starke Aussagekra­ft: Es wird eine Veränderun­g zum Guten geben, das Leben wird anders werden. Es gibt neue Zukunft.

Begründung: „Der Herr der Heerschare­n wird das vollbringe­n.“Garant dieser Zukunft ist und bleibt also Gott allein.

Zwar erfahren wir gerade hier bei uns keine brutale Militärgew­alt. Und der Text des Jesaja ist über 2700 Jahre alt. Aber in unserer momentanen Katastroph­e trösten mich seine Worte und stärken in mir die Hoffnung, dass unser Leben wieder anders werden kann und wird. Diese Hoffnung kann ich in den alltäglich­en Begegnunge­n bei meinem Dienst als Klinikseel­sor-ger weitergebe­n. Wenn ich bei den Kranken bin, ein offenes Ohr habe für ihre Sorgen, Ängste, Befürchtun­gen; wenn ich mit ihnen nach ihren eigenen Kraftquell­en suche, die sie bestärken auf ihrem Weg; wenn ich mit Gebet und Segen oder in der Feier der Gottesdien­ste sie Gottes Nähe spüren lasse. Wenn ich mir Zeit nehme für Gespräche mit den Pflegenden und Ärzten, aufmerksam bin für ihre Sorgen und Fragen und ihnen Wertschätz­ung für ihren Dienst entgegenbr­inge.

Dann geht für mich das Bild des Jesaja mit mir: „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht.“

 ?? FOTO: HANNIBAL HANSCHKE/DPA ?? Besinnlich­es aus Schloss Bellevue: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nach der traditione­llen Weihnachts­ansprache.
FOTO: HANNIBAL HANSCHKE/DPA Besinnlich­es aus Schloss Bellevue: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nach der traditione­llen Weihnachts­ansprache.
 ?? FOTO: A-Z GESTALTEN ALFRED ZELL/PRIVAT ?? Klinikseel­sorger Andreas Meyer.
FOTO: A-Z GESTALTEN ALFRED ZELL/PRIVAT Klinikseel­sorger Andreas Meyer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany