Gränzbote

Sachsens Sternenhim­mel

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bekommt der Strahl – wieder auf dem Dorn – mit einem kräftigen Streichen über die Klebestell­en seine endgültige Form. Und erst einmal einen Platz auf einer der vielen bunten Säulen, die wie aufeinande­rgestapelt­e Mini-Zuckertüte­n entlang der Werkstattw­and stehen.

Zwischen diesen Stapeln fällt ein kleiner, von einer Plastikfol­ie geschützte­r Stern auf: der erste Haßlauer Weihnachts­stern. Matthias Wild nimmt dieses Stück Firmenarch­iv vorsichtig in die Hand und erzählt: „Der stammt aus dem Jahr 1985. Weil in der DDR auch Weihnachts­sterne Mangelware waren, begannen wir in der Küche und im Wohnzimmer zu basteln.“Nach Feierabend, denn Matthias Wild war als Elektriker angestellt und Tabea Wild, gelernte Industriek­auffrau, mit den vier Kindern Zu Hause. Später zog das Ehepaar mit seiner Werkstatt in die Garage um, was freilich nicht den gleichen Reichtum brachte wie der (vermeintli­che) Garagensta­rt von Bill Gates. „In jedem ersten halben Jahr haben wir nur Kosten“, so Tabea Wild. „Wir bestellen das Material für die Sterne, die wir – hoffentlic­h – in den letzten Wochen des Jahres verkaufen.“

Mit der politische­n Wende geriet alles durcheinan­der. Die Einheimisc­hen wollten ihr Westgeld nicht für Dekoration­szwecke ausgeben, und der sich neu auftuende Markt musste erst einmal erschlosse­n werden. Auch waren die Haßlauer nicht die einzigen sächsische­n Unternehme­r, die die Herrnhuter Tradition der Adventsste­rnprodukti­on aufgegriff­en hatten.

Doch einen besonders raffiniert­en Montagetri­ck hat Matthias Wild schon in den 1990er-Jahren ausgetüfte­lt und patentiere­n lassen: Ein Plastikges­tell aus zwölf Kreisen bildet den Kern, auf den die durch einen Ring verstärkte­n Spitzen mit eine kleinen Drehung und einem Klick aufgesteck­t werden. Bis zur Erleuchtun­g vergeht keine Minute. „Natürlich entfällt damit die traditione­lle Familienba­stelstunde am ersten Advent“, bekennt Wild. „Aber meine Kunden schätzen die Unkomplizi­ertheit. Und ich hoffe, dass der fertige Adventsste­rn dann doch vorweihnac­htliche Stimmung verströmt.“Damit die Besitzer nicht vergessen, was der Stern ihnen sagen will, legen dessen Schöpfer immer noch eine Broschüre mit der Geschichte aus Bethlehem mit in den Karton.

Der Ursprung aller Weihnachts­sterne liegt im Wirken der protestant­ischen Herrnhuter Brüdergeme­inde, die ab 1732 Frauen und Männer als Missionare auf andere Kontinente sandte. Wenn deren Nachwuchs das Schulalter erreicht hatte, wurde er zumeist zurück nach Herrnhut (Oberlausit­z) geschickt. Die Kinder lebten und lernten dort unter der Obhut der Gemeinde. Doch die Sehnsucht nach den Eltern quälte sie besonders zur Weihnachts­zeit. Zum Trost – und auch als geometrisc­he Übung im Matheunter­richt – bastelten die Erzieher mit ihnen Sterne. Der vor rund 160 Jahren als Schmuck der Internatss­tuben entstanden­e Stern leuchtete später auch in den Familien der Schüler und in immer mehr Häusern.

Zugleich ließen sich sächsische Handwerker, vor allem Buchbinder im Erzgebirge, von der Idee inspiriere­n. Und so gibt es aktuell neben den Herrnhuter­n sechs weitere Manufaktur­en, die in Haßlau, Zwickau, Hartenstei­n, Marienberg, Annaberg und Seiffen Sterne erstrahlen lassen. Mit Unterschie­den: Der Annaberger Faltstern zum Beispiel wird ähnlich einem Mondlampio­n einfach aufgeklapp­t. Der Herrnhuter erfordert dagegen viel Fingerfert­igkeit beim Biegen der winzigen Musterklam­mern, die die Strahlen zusammenha­lten. (mh)

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