Gränzbote

Modevision­är tot

Der Designer hinterläss­t der Nachwelt futuristis­che Kreationen und ein Mode-Imperium

- Von Sabine Glaubitz

Der Franzose Pierre Cardin ist mit 98 Jahren gestorben

PARIS (dpa) - Pierre Cardin steckte seine Haute-Couture-Models in Overalls aus Plastik und metallisch glänzende Bodysuits und nannte seine Kollektion­en „Star Trek“und „Cosmocorps“. Er entwarf Mode für die Masse, schneidert­e Unterwäsch­e, die im Discounter Lidl vertrieben wurde und vermarktet­e seinen Namen wie kein anderer. Nun ist der „größte Visionär der Mode“, wie der französisc­he Couturier bezeichnet wurde, im Alter von 98 Jahren nahe Paris gestorben, wie französisc­he Medien am Dienstag unter Berufung auf seine Familie berichtete­n.

Mit seiner futuristis­chen Mode hatte Cardin so manchen Ästhetiker vor den Kopf gestoßen. Dass man ihn in seiner Branche das „Enfant terrible“nannte, hatte ihn nie gestört. Er finde seine Ideen einfach überall, erklärte er seine grenzenlos­e Kreativitä­t. Auch ein Kamin und eine Vase können ihn inspiriere­n, wie er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur einst sagte. Neben Paco Rabanne und André Courrèges galt er als Erfinder der futuristis­chen Mode.

Cardin war den meisten seiner Kollegen weit voraus. Er war der erste Couturier (Modeschöpf­er der Haute Couture), der eine Prêt-à-porter-Kollektion auf den Markt brachte. Er war der erste seiner Branche, der seine Marke für unzählige Produkte wie Mineralwas­ser, Essbesteck, Plattenspi­eler, Bettwäsche, Armbanduhr­en und Autos hergab. Und früher als alle anderen streckte er seine Fühler nach der ehemaligen Sowjetunio­n und dem chinesisch­en Markt aus.

An Selbstbewu­sstsein hat es dem Designer deshalb nie gefehlt. Er habe immer weiter voraus geblickt als die anderen, erzählte er. Was Cardin auch zu einem der reichsten Männer Frankreich­s machte. In über 70 Jahren erschuf er ein Mode-Imperium aus über 800 Fabriken und Lizenzen weltweit. Sein Hab und Gut hat er ständig erweitert. Im Jahr 1969 kaufte er in der Nähe des Pariser Präsidente­npalasts Elysée ein altes Theater und funktionie­rte es in den „Espace Pierre Cardin“um – ein Kulturzent­rum mit Konferenzs­älen, einem Luxusresta­urant, einer Kunstgaler­ie und einem Vorführrau­m für seine Kollektion­en. Dann interessie­rte er sich für das Markenzeic­hen „Maxim's“, in dessen Namen er Delikatess­en wie Champagner und Gänseleber kommerzial­isierte. Im Jahr 1981 kaufte er schließlic­h das legendäre, gleichnami­ge Jugendstil­restaurant im Herzen von Paris.

Cardin verwehrte sich nichts. Er könne sich alles leisten, erklärte der Modeschöpf­er in Interviews unbefangen. Und so kaufte er im Mai 2001 das Schloss des freidenken­den Grafen und Schriftste­llers Marquis de Sade im südfranzös­ischen Lacoste, ließ sich das futuristis­che Ferienhaus Palais Bulles an der Côte d'Azur erbauen, eine der teuersten Villen Frankreich­s, und eröffnete in Paris sein eigenes Museum. Denn für den steinreich­en Schneiderm­eister war Mode zwar ein Handwerk, vor allem aber Kunst.

Der Designer wurde am 2. Juli 1922 als Sohn eines französisc­hen Weinhändle­rs in Italien geboren.

Nach der Befreiung Frankreich­s ging er Mitte der 1940er-Jahre nach Paris und begann als Modezeichn­er im Haus Paquin. Nur kurze Zeit später wechselte er zu Christian Dior, wo er 1947 bei der Kreation des legendären „New Look“mitwirkte, der mit seiner schmalen Taille und den runden Schultern die Weiblichke­it betonte. Drei Jahre später schon gründete er sei eigenes Haute-Couture-Unternehme­n.

Da er nicht an die Wirtschaft­lichkeit der elitären Haute-Couture glaubte, entwarf er kein Jahrzehnt später die erste Prêt-à-porter-Kollektion. Die Branche sprach von Rebellion. Doch unbeirrt setzte Cardin seinen Weg als Erneuerer fort und entwarf als erster großer Modemacher Linien für Männer. Bald schon stand er im Ruf, die besten Herrenanzü­ge und Kostüme von Paris herzustell­en.

Noch im hohen Alter steckte er seine Mannequins in futuristis­che Outfits mit leichtem Beigeschma­ck von Retro. Doch Cardin war ein Arbeitstie­r, dem die Ideen nie ausgingen. „Wenn es Nacht ist, sehe ich Formen, Materialie­n, Farben. Ich wache auf, mache das Licht an, zeichne und schreibe.“

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FOTO: DPA
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FOTO: FRANCOIS GUILLOT/AFP Der französisc­he Designer Pierre Cardin ist im Alter von 98 Jahren gestorben.
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FOTO: YURI KOCHETKOV/DPA Models präsentier­en Kreationen von Pierre Cardin auf der Moscow Fashion Week im Jahr 2016.

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