Rapinoes Hoffnung: In Tokio eine von vielen
Die US-Fußballerin geht Olympia nicht nur mit großen sportlichen Zielen an
LOS ANGELES (dpa) - Es ist schon ziemlich lange her, dass die derzeit wohl berühmteste Fußballspielerin der Welt eine Gelegenheit hatte, auf dem Platz gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren. Seit März hat US-Nationalspielerin Megan Rapinoe nicht mehr gespielt, auf das Turnier der US-Frauen-Liga im Sommer hat sie verzichtet. Zu groß war die Sorge vor dem Coronavirus und um die eigene Gesundheit.
„Es ist frustrierend und ätzend, als Spielerin nicht aufs Feld zu können. Aber so, wie die Dinge sind, habe ich mich bislang einfach nicht wohl damit gefühlt – und tue es immer noch nicht, um ehrlich zu sein“, sagt die 35 Jahre alte Weltmeisterin mit den pinkfarbenen Haaren. „In den USA haben wir das einfach so mies gehandhabt wie es nur irgendwie möglich war.“In keinem Land der Welt haben sich in der Pandemie mehr Menschen mit Corona infiziert als in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Zum nächsten Lehrgang der Nationalmannschaft im Januar will die torgefährliche Mittelfeldspielerin aber fahren. „Nur weil es Januar wird, heißt es nicht, dass der Januar sich groß vom Dezember unterscheidet. Aber ich habe das Gefühl, irgendwann muss ich auch einfach wieder anfangen zu spielen“, erklärt Megan Rapinoe. Nach dem WM-Titel in
Frankreich 2019 gibt es schließlich ein großes Ziel im Sommer: „Mit Blick auf Olympia will ich das auch definitiv.“
2016 in Rio enttäuschten die USA als Weltmeister und Favorit und schieden gegen Schweden aus, in Tokio will das Team nun die Goldmedaille holen – und Megan Rapinoe zum zweiten Mal nach 2012 Olympiasiegerin werden. Aber auch aus einem anderen Grund sollten die Spiele in Japan besondere werden, dafür haben sich Megan Rapinoes Kolleginnen und Kollegen aus dem Team USA zuletzt in einer deutlichen Empfehlung an das Internationale Olympische Komitee eingesetzt: Sportler und Sportlerinnen sollen sich auf der großen olympischen Bühne für Menschenrechte und gegen Rassismus aussprechen dürfen.
So, wie Megan Rapinoe das als eine der ersten – und lange auch eine der wenigen – Profisportlerinnen getan hat, nachdem Quarterback Colin Kaepernick mit seiner Geste vor den Footballspielen seines damaligen
Teams San Francisco 49ers 2016 für weltweites Aufsehen gesorgt hatte. „Athleten werden protestieren. Ich denke, wir sind schon über den Punkt hinaus, dass das überhaupt eine Frage ist“, prognostiziert Megan Rapinoe für Tokio und richtet deutliche Worte an das IOC, dessen umstrittene Regel 50 einen Protest wie jene in den Nachthimmel gereckte Faust von Tommie Smith 1968 in Mexiko City unter Strafe stellt: „Diese Regel hätten sie von vornherein nie erlassen dürfen. Das war offensichtlich kurzsichtig und dumm und hat den ganzen Zweck verfehlt. Also: Vielleicht ein bisschen mehr nachdenken.“
Dass die Kraft hinter dem Protest gegen Rassismus inzwischen so stark ist, ist dann auch eine der wenigen positiven Begleiterscheinungen dieses verrückten Jahres 2020, findet Megan Rapinoe. „2020 hat uns viele Wahrheiten und Informationen gebracht, vor denen wir nicht wegrennen können. Wir konnten das lange, einfach nicht darüber zu reden“, sagte sie. Seit aber der Tod des Afroamerikaners
Megan Rapinoe mit Blick auf Olympia
George Floyd im Mai für landesweite Demonstrationen gesorgt hat und auch die Profis in den großen Ligen wie der NBA, NFL und MLB nicht mehr zurückschrecken vor klaren Ansagen an die Gesellschaft, bewegt sich etwas.
„Das durch alle Sportarten hinweg zu sehen, war ermutigend. Die Wahrnehmung im Vergleich zu vor vier Jahren, als Colin sich hingekniet hat und ich auch, hat sich sehr verändert in einem kurzen Zeitraum“, sagt Megan Rapinoe. „Es ist auch ermutigend zu sehen, dass Sportler im College und bei den Profis sich Gehör verschaffen und ihren Einfluss nutzen, um Veränderungen zu bewirken.“Auch, dass Fußballer in Europa die Geste – mit einem Bein knien und die Faust in die Luft recken – zeigen, sei wichtig. „Aber wichtiger ist: Was kommt danach? Der Fokus liegt noch immer zu sehr auf der Geste und weniger darauf, worüber Colin gesprochen hat.“
Als aktive Fußballerin auf dem Platz will Megan Rapinoe, die ihre Motivation in der vor kurzem erschienenen Autobiografie „One Life“näher beschreibt, dazu bald wieder selbst beitragen. Der US-Verband hat inzwischen offenbar vieles begriffen: Mitglieder der US-Nationalteams müssen bei der Hymne ganz offiziell nicht mehr stehen.
„Athleten werden protestieren. Ich denke, wir sind schon über den Punkt hinaus, dass das überhaupt eine Frage ist.“