Gränzbote

Ein Oberstdorf­er springt in Oberstdorf am besten

Der Oberstdorf­er Karl Geiger gewinnt das Auftaktspr­ingen der 69. Vierschanz­entournee in Oberstdorf

- Von Joachim Lindinger

Verständli­che Freude bei Skispringe­r Karl Geiger (Foto: Action Pictures/imago images): Der 27-Jährige vom SC Oberstdorf hat – nach zuletzt zehn Tagen Corona-Quarantäne – das Auftaktspr­ingen

der 69. Vierschanz­entournee am heimischen Schattenbe­rg gewonnen.

OBERSTDORF - Kurz schaute Stefan Horngacher, ehe es ernst wurde, gen Himmel. „Die Verhältnis­se“, sagte der Skisprung-Bundestrai­ner dann, „sind super heut’. Heut’ kommt’s wirklich auf den Sprung an. Heut’ liegt’s am Skispringe­r.“Und, war man nach Duchgang eins geneigt zu ergänzen, am Schattenbe­rg-typischen, tückischen Rückenwind. Je später der Abend, desto mehr bremst der gemeinhin (mit seltenen Ausnahmen). Gesucht also beim Auftaktspr­ingen der 69. Vierschanz­entournee in Oberstdorf: ein rückenwind­resistente­r Luftkünstl­er, einer zudem, bei dem das Paket Absprung/Übergang/Flug ideal passt. Gefunden: Karl Geiger.

Der 27-Jährige landete von seiner Heimschanz­e nach 127,0 und 136,5 Metern (291,1 Punkte), hielt Kamil Stoch (Polen/125,0+132,5/288,3) und Marius Lindvik (Norwegen/126,5+135,5/285,2) auf Distanz – und sorgte für den ersten Oberstdorf­er Sieg in Oberstdorf seit Max Bolkart anno 1959. Sein spontaner Kommentar: „Vorgestern bin ich rausgekomm­en aus der Corona-Quarantäne. Heute sind mir zwei gute Sprünge gelungen. Ich weiß selber nicht, wie das ging: jetzt einfach beim Wettkampf draufhalte­n, genießen und angreifen. Das hat alles super gepasst.“

Hat es – und damit ging es Karl Geiger anders als manch anderem Großen der Szene. Die Liste derer, die nach einem Wettbewerb­ssprung nicht mehr per Schrägaufz­ug zum zweiten nach oben fahren durften, begann bei Simon Amman, umfasste Bor Pavlovcic,

Johann Andre Forfang, Robert Johansson, Maciej Kot und Michael Hayböck. Aus deutscher Sicht unschön: Von zwölf gestartete­n Springern schafften es gerade drei in den Finaldurch­gang. Pius Paschke, Constantin Schmid und Martin Hamann scheiterte­n aus dem derzeitige­n WeltcupSex­tett; beim Komplett-Aus der nationalen Gruppe gehörten auch Richard Freitag sowie die Nach-Kreuzbandr­iss-Rückkehrer Andreas Wellinger und David Siegel zu den Frustriert­en. Severin Freund, Dritter im Bund der genesenen Langzeitve­rletzten, war als 25. nicht unglücklic­h – der Bundestrai­ner indes war bei Halbzeit nicht wirklich zufrieden. Karl Geiger attestiert­e er einen „goldenen Sprung“bei „schwierige­n Bedingunge­n“, die Ausgeschie­denen aber hätten „viele, viele Meter verloren. Ein ziemlich ernüchtern­der erster Durchgang für uns.“

Der Stimmungsa­ufheller hieß Markus Eisenbichl­er. Im Probedurch­gang waren seine 133,5 Meter die größte aller 62 Weiten, der erste Versuch misslang dann veritabel: bös verwehte 118,0 Meter, Rang 27 nur – und ein trotziges „Der war halt einfach nicht so gut, da bin ich ganz ehrlich. Das wird so hart bestraft“. Anderersei­ts (das ist keine Ironie) nimmt so etwas auch Druck. Zu verlieren hatte der Gefühlsspr­inger

Eisenbichl­er jetzt nichts mehr, die Winde waren ihm wohlgesonn­en. Stressfrei­es Fliegen war angesagt – und das kann der Mann vom TSV Siegsdorf wie kaum ein Zweiter. Seine 142,0 Meter – laut Selbstausk­unft „der Hammer“– kratzten am Uralt-Schanzenre­kord Sigurd Pettersens (143,5 Meter), brachten letztlich noch Platz fünf (!) – und Stefan Horngacher ins Schwärmen: „Vernudelt“habe Markus Eisenbichl­er seinen Erstling „ein wenig“, „im Zweiten aber einen nachg’legt, der war vom anderen Stern. Da hat er gezeigt, was in ihm steckt, was er in der Lage ist zu produziere­n.“In Garmisch-Partenkirc­hen,

Innsbruck und Bischofsho­fen. Man darf gespannt sein. Denn, so der 29-Jährige selbst nach seiner fulminante­n Luftfahrt ins Springergl­ück: „Ich bin jetzt in die Tournee gestartet.“

Ist Karl Geiger bereits mit Sprung Nr. 1. Vergessen war der Positiv-Test, war das Wissen um die Fallstrick­e auf vertrautem, dennoch so heiklem Terrain: Er, der tendenziel­l zu spät abspringt, und Oberstdorf­s Hillsize-137Meter-Bakken, der genau das fördert – kein Thema. Karl Geigers Tunnel ist ein zuverlässi­ger Tunnel. Ein dichter Tunnel. „Augen zu und durch! Und einfach Vollgas geben!“

Nicht die schlechtes­te Idee offenbar. 61 Jahre nach Max Bolkart.

 ??  ??
 ?? FOTO: OLIVER LERCH/IMAGO MAGES ?? Springer kommt: Karl Geiger, Sieger des Tourneeauf­takts in Oberstdorf.
FOTO: OLIVER LERCH/IMAGO MAGES Springer kommt: Karl Geiger, Sieger des Tourneeauf­takts in Oberstdorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany