Gränzbote

Brexit-Abkommen nimmt weitere Hürde

Britisches Unterhaus stimmt Austrittsv­ertrag zu – Letztes Aufbäumen der Schotten

- Von Sebastian Borger

LONDON - Dem geordneten Ausscheide­n Großbritan­niens aus dem EU-Binnenmark­t steht nichts mehr im Weg. Bei der Sondersitz­ung des Unterhause­s am Mittwoch votierten 521 Parlamenta­rier für den BrexitAnsc­hlussvertr­ag, 73 stimmten dagegen. Für den späten Abend wurde auch die Zustimmung des Oberhauses sowie – als Formalie – die Genehmigun­g der Queen erwartet. Nach dem formalen Austritt Ende Januar und dem elfmonatig­en Verweilen in einer Übergangsp­hase endet damit die 48 Jahre lang währende Teilnahme des Vereinigte­n Königreich­es am europäisch­en Einigungsp­rojekt.

Der Vertrag über den zukünftige­n Handel sowie die Zusammenar­beit in Sicherheit­sfragen war nach monatelang­en Verhandlun­gen an Heiligaben­d zustande gekommen. Nach der Zustimmung der 27 Mitgliedss­taaten konnten Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und Ratspräsid­ent Charles Michel das Schriftstü­ck am Mittwoch unterzeich­nen und nach London schicken, wo Premiermin­ister Boris Johnson seine Unterschri­ft leisten wollte.

Der Austritt nach fast einem halben Jahrhunder­t der Mitgliedsc­haft in der EWG, EG und EU sei nie als „Bruch mit unseren nächsten Nachbarn“gemeint gewesen, beteuerte der einstige Anführer der BrexitKamp­agne

im Unterhaus. Vielmehr habe man eine Lösung angestrebt für das schwierige Verhältnis des Königreich­s zum europäisch­en Einigungsp­rojekt: „Erst hielten wir uns fern, dann wurden wir ein halbherzig­es, oft hinderlich­es Mitglied.“In Zukunft werde sein Land ein „freundlich­er Nachbar und bestmöglic­her Alliierter“Europas sein, sagte der Premiermin­ister.

Dem 1246 Seiten umfassende­n Vertrag war die Zustimmung bereits dadurch gesichert, dass sich Opposition­sführer Keir Starmer zur Unterstütz­ung der Regierungs­position entschloss­en hatte: Es gelte, die Katastroph­e eines chaotische­n Übergangs („No Deal“) zu vermeiden. Der Labour-Chef kritisiert­e die Vereinbaru­ng als „dünn“, zumal der für Großbritan­nien entscheide­nde

Dienstleis­tungssekto­r und damit 80 Prozent der Volkswirts­chaft darin kaum berücksich­tigt werde. Vor allem die Finanzindu­strie am Standort City of London trägt jährlich viele Milliarden zur britischen Exportbila­nz bei.

Scharf ins Gericht mit dem erzielten Ergebnis ging auch Johnsons konservati­ve Amtsvorgän­gerin Theresa May: „Von diesem Deal profitiert der Handel mit Gütern und damit die EU.“Den triumphier­enden Anti-Europäern in ihrer Fraktion schrieb die einstige Premiermin­isterin (2016-2019) ins Stammbuch: „Dieser Vertrag löscht die EU nicht aus unserem Leben. Souveränit­ät bedeutet nicht Isolationi­smus.“Eindringli­ch drängte die versierte Innenpolit­ikerin ihre Regierung dazu, besseren Zugang zu den EU-Datenbanke­n

zu erlangen, die der Bekämpfung von internatio­naler Kriminalit­ät, Terrorismu­s und Menschenha­ndel dienen.

Anders als Starmer und May ließen eine Handvoll Labour-Abgeordnet­e ihrer Kritik ein ablehnende­s Votum folgen. Mit Nein stimmten auch die pro-europäisch­en Liberaldem­okraten sowie die Nationalis­tenparteie­n von Schottland und Wales sowie sämtliche Abgeordnet­e aus Nordirland, darunter auch die Brexit-Befürworte­r der protestant­ischen DUP. Die Partei von Ministerpr­äsidentin Arlene Foster machte „prinzipiel­le Gründe“gegen das Vertragswe­rk geltend, was mit dem Nordirland-Protokoll zu tun hat. Dieses regelt den Handel zwischen dem Nordosten der grünen Insel und Grossbrita­nnien, damit die inneririsc­he Landesgren­ze offen bleiben kann.

Das schottisch­e Parlament verweigert­e dem Vertragswe­rk am Nachmittag mehrheitli­ch die Zustimmung. Die verfassung­srechtlich irrelevant­e Geste soll Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon im beginnende­n Wahlkampf vor dem regionalen Urnengang im Mai Aufwind geben. Außer Sturgeons SNP, den Grünen und Liberalen stimmte auch die örtliche Labour-Fraktion mit Nein – ein Gegensatz zur Position der Londoner Partei, auf die Opposition­sführer Starmer mehrfach genüßlich hingewiese­n wurde.

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FOTO: LEON NEAL/DPA Die Abgeordnet­en der ersten Kammer votierten am Mittwoch in zweiter Lesung mit klarer Mehrheit für das von Premiermin­ister Boris Johnson vorgelegte EUGesetz.

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