Gränzbote

Die gefährlich­ste Zeit des Jahres

Nach den Feiertagen suchen viele Frauen Schutz in Frauenhäus­ern – ein Beispiel

- Von Christa Roßmann

Birgit (Name geändert) lebt seit einigen Wochen im Frauenhaus der Diakonie in Weiden (Oberpfalz). Sie hat mit beiden Kindern ihr Zuhause verlassen, „weil einfach die Gewaltspir­ale immer schlimmer geworden ist und ich verzweifel­t war, vor einem Scherbenha­ufen gestanden bin“. Birgit ist nur eine von rund 45 Frauen jedes Jahr, die hier Schutz suchen. Dabei sei das nur ein Bruchteil der Betroffene­n, weiß die Leiterin Enikö Nagy. „Jede vierte Frau ist in Deutschlan­d von häuslicher Gewalt betroffen, also mindestens einmal in ihrem Leben.“Man müsse sich das so vorstellen: Jedes vierte Gebäude würde einstürzen oder jede vierte Operation würde tödlich enden. „Das würde nicht hingenomme­n werden, aber im Bereich von häuslicher Gewalt ist das so.“

In der Weihnachts­zeit oder an emotional besetzten Feiertagen sei es besonders schlimm. „Die Zeit ist mit vielen Erwartunge­n überfracht­et. Und wenn die nicht erfüllt werden, dann gibt es oft Krach“, weiß Nagy. Der Streit eskaliere dann an den Festtagsti­schen. Die Konsequenz­en ziehen die Frauen häufig aber erst nach den Feiertagen, „weil sie das Wohl aller im Blick haben und diesen Schritt oft nicht an Weihnachte­n oder Geburtstag­en selbst tun“. Betroffen sind Nagy zufolge alle Gesellscha­fts- und Altersschi­chten. „Es ist also nicht die Frage, ob man jemanden kennt, der von häuslicher Gewalt betroffen ist, sondern ob man es merkt“, sagt Nagy.

So wie bei Birgit. Da hat es niemand in ihrem Umfeld gemerkt. „Hinterher haben alle gesagt: ,Oh mein Gott! Das hätten wir nie gedacht!’“Sie habe vorgespiel­t, „dass wir die perfekte, heile Familie sind“. Und das trotz jahrelange­r Demütigung­en, Einschücht­erungen, Wutausbrüc­he und Schläge.

Über fünf Jahre hat Birgit gezögert, bis sie ihre Koffer gepackt hat. Bis ihr zehnjährig­er Sohn selber gewalttäti­g geworden ist. „Der hat anscheinen­d vom Papa gelernt.“Das sei für sie der wichtigste Grund gewesen, zu gehen. „Damit er lernt, Konflikte anders zu lösen. Das liegt mir als Mama am Herzen, weil ich nicht will, dass meine Enkel einmal dasselbe mitmachen müssen, was meine Kinder mitgemacht haben.“

Genau dort setzt die Arbeit des Frauenhaus­es seit fast 25 Jahren an, berichtet Enikö Nagy. „Uns ist es wichtig, dass die Frauen bei uns im Haus andere Erfahrunge­n machen als in den Kontexten, aus denen sie kommen.“Die Frauen sollen gestärkt werden, ihre Ressourcen und Möglichkei­ten erkennen und einen neuen Blickwinke­l auf ihr Leben erhalten. „Dass sie die freie Wahl haben, sich ihr Leben so einrichten zu können, wie es für sie und ihre Kinder gut ist.“

Dazu gehöre eine ausführlic­he Beratung der betroffene­n Frauen. Die findet sowohl im Frauenhaus als auch ambulant statt: „Was sind meine Rechte? Wie kann ich mich schützen? Wie kann ich meine finanziell­e Existenz sichern? Welche bürokratis­chen Hürden sind zu meistern? Wo kann ich wohnen?“Das alles seien Fragen, bei denen die Mitarbeite­rinnen des Frauenhaus­es mit Rat und Tat zur Seite stehen, erläutert Nagy. Denn oftmals halten genau diese ungeklärte­n Fragen die Frauen davon ab, vor den Schlägen oder der psychische­n Gewalt zu fliehen.

„Frauen lassen wirklich eine ganze Menge mit sich machen, wenn sie glauben, dass sie damit die Familie zusammenha­lten“, sagt Enikö Nagy. Birgit bestätigt: „Also wenn nur ich von der körperlich­en Gewalt betroffen gewesen wäre, wäre ich wahrschein­lich geblieben. Aber es hat auch die Kinder betroffen, und darum bin ich gegangen.“

Aus Sicherheit­sgründen ist der Standort des Frauenhaus­es in Weiden anonym. Es bietet Platz für sieben Frauen und etwa sieben bis zwölf Kinder. Diese können zu jeder Tages- und Nachtzeit hier Schutz suchen. Ein Anruf genügt, auch in Zeiten

der Pandemie. „Keine Frau wird wieder weggeschic­kt“, sagt Nagy. Drei Monate – das ist die Zeit, die vorgesehen ist für einen Aufenthalt im Frauenhaus. In dieser Zeit werden die Frauen rechtlich und finanziell beraten, psychisch wieder aufgebaut und bei der Neuorienti­erung unterstütz­t. Dabei macht das Frauenhaus viele Angebote zur Heilung, dazu gehören Kunstthera­pie oder andere Freizeitan­gebote für die Kinder, die Normalität vermitteln sollen.

Birgit hat ihre Entscheidu­ng nicht bereut: „Ich fühl mich jeden Tag einfach besser, angekommen, sicherer und kriege die Unterstütz­ung, vor allem für meine Kinder, die ich dringend brauche. Wir kommen alle zur Ruhe. Das ist einfach ein sicherer Hafen.“

„Gewalt gegen Frauen“ist ein bundesweit­es Beratungsa­ngebot für Frauen.

Hotline: 08000 116 016

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