Die SPD schießt den Vogel ab
Für die Regierenden ist die Corona-Pandemie ein täglicher Spagat. Wie viel Reglementierung ist für eine wirksame Bekämpfung nötig? Wann kann, wann muss gelockert werden? Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung trägt die Maßnahmen mit, und dennoch beginnen unter dem Eindruck kommender Wahlen die Handelnden herumzuschwurbeln. Eine klare Linie sieht anders aus, wenn die Kanzlerin gemeinsam mit dem Berliner Regierungschef und dem bayerischen Ministerpräsidenten die Verschärfung des Lockdowns verkündet und sodann die Relativierungen beginnen.
Während Angela Merkel formulierte, dass in Hotspots eine Bewegungsbeschränkung im Radius von 15 Kilometern eingeführt werde, verstanden Niedersachsen, Thüringen und Baden-Württemberg die klare Ansage als erneutes Angebot für Interpretationen. Natürlich kann diese Entscheidung hinterfragt werden, vor allem wenn Großstädte mit dem ländlichen Raum verglichen werden, aber sie wurde von der Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit dem Kanzleramt kurz zuvor beschlossen. Uneinigkeit herrscht auch bei den Schulen. Bis Monatsende sollen sie geschlossen bleiben, sagte die Kanzlerin. Mecklenburg-Vorpommern und erneut Baden-Württemberg wollen aber ihren Sonderweg.
Den Vogel abgeschossen hat jedoch der kleine Großkoalitionär. Die SPD entdeckt wirkliche oder vermeintliche Fehler von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als Chance zur Profilierung. Obgleich an den Entscheidungen beteiligt, lässt sie dem Regierungspartner einen Fragenkatalog über die Schwierigkeiten beim Impfen zukommen, der einer Anklageschrift gleicht. Auch wenn Kanzlerkandidat Olaf Scholz kurz nach Eröffnung dieser Debatte zurückruderte, war das ein übles Foul.
Bayern hingegen bleibt konsequent bei seiner strikten Linie. Sogar die Faschingsferien wurden abgesagt. Ministerpräsident Markus Söder sieht sich mit seinen Zustimmungswerten bestätigt. In Bayern steht er vor keiner Wahl, hält sich aber die Möglichkeit eines Karrieresprungs nach Berlin offen.