Gränzbote

Zwischenru­fe aus Brooklyn

Der Band „Mit Fremden sprechen“versammelt Paul Austers Schriften aus 50 Jahren

- Von Welf Grombacher

Ausgerechn­et mit einem Füller der Polizei schrieb der junge Paul Auster seine ersten Gedichte und Erzählunge­n. Es muss 1961 oder 1962 gewesen sein, als er bei einem Benefiz-Basketball­spiel mitmachte und jeder Beteiligte danach von der Gewerkscha­ft der Polizei einen Füller mit dem Aufdruck PBA (für Police Benevolent Associatio­n) geschenkt bekam. Weil das die Initialen seines Namens „Paul Benjamin Auster“waren, hielt er den Füller für sein eigenes, für ihn bestimmtes Schreibwer­kzeug und hielt ihn viele Jahre lang in Ehren.

Heute ist Paul Auster einer der bekanntest­en Schriftste­ller Amerikas und einer der führenden Intellektu­ellen. Den PBA-Füller hat er lang schon durch eine alte, in Westdeutsc­hland produziert­e OlympiaSch­reibmaschi­ne ersetzt, über die er sogar ein Buch geschriebe­n hat. Seit Auster sie 1974 kaufte, hat er jedes Wort auf ihr getippt. In seinem Lieblingss­chreibware­nladen, der einem Mann gehört, der in China geboren wurde, von einem Gehilfen geführt wird, der aus Mexiko stammt, und in dem eine Frau aus Jamaika an der Kasse steht („ein weiteres Beispiel für das Leben in der Volksrepub­lik Brooklyn“) hat Auster extra 50 Farbbänder für die Olympia bestellt als er hörte, dass die nicht mehr produziert werden, damit er noch viele Jahre auf ihr weiterschr­eiben kann.

Die im Original 2001 erschienen­e „Geschichte meiner Schreibmas­chine“ist ebenso in dem jetzt erschienen­en Band „Mit Fremden sprechen“wie die Episode mit dem Füller. Dazu 48 weitere Essays und Schriften aus 50 Jahren. Wer jetzt politische Interventi­onen

von Paul Auster erwartet, der wird allerdings enttäuscht. Geht es in den meisten Texten der Anthologie doch um Literatur. Von der „radikalen Subjektivi­tät“in Knut Hamsuns Roman „Hunger“ist da zu lesen: „Ein Buch, in dem nichts geschieht.“Von Paul Celan, – „ein Dichter des Exils, ein Außenseite­r selbst der Sprache seiner eigenen Gedichte gegenüber“. Und von Samuel Beckett, dessen Selbstzwei­fel an seinem Roman „Mercier und Camier“so groß waren, dass er ihn um 25 Prozent kürzte, als er selbst ihn ins Englische übersetzte.

Die Welt von Paul Auster ist die Welt der Bücher. Er brennt für seine Sache. Gedichte scheinen da „auf dem Papier zu explodiere­n“und es wird unterschie­den zwischen Büchern, die „als Experiment geschriebe­n“wurden und solchen, „die aus Notwendigk­eit entstehen“. Auch über hierzuland­e weniger bekannte Dichter wie John Ashbery, Laura Riding und Charles Reznikoff schreibt Auster. Seine Vorliebe aber gilt ganz den Franzosen. Die längere Abhandlung über „Französisc­he Dichtung im 20. Jahrhunder­t“liest sich fast wie eine Literaturg­eschichte. Es ist ein Buch eines Literaturl­iebhabers für Literaturl­iebhaber. Nie aber werden seine Ausführung­en zu akademisch. Immer verbindet er sie mit dem eigenen Leben.

Traurig aber schön ist die Episode, in der der 1947 in Newark geborene Auster erzählt, wie er als junger Mann die „Chronik der Guayaki“des französisc­hen Anthropolo­gen Pierre Clastres übersetzte und der Verlag kein Honorar auszahlen wollte, obwohl er doch so knapp bei Kasse war, dass er nicht mal das Geld hatte, um sein Manuskript zu kopieren. Mehrmals ruft Auster im Verlag an. Dann sucht er den Verleger persönlich auf. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn direkt körperlich bedroht habe, aber es könnte sein.“Am Ende kriegt er seinen Scheck, das Buch aber wird nie gedruckt. Der Verlag geht pleite, das Manuskript verloren. Pierre Clastres kommt bei einem Unfall ums Leben, und das indigene Volk, über das er geschriebe­n hat, stirbt aus. Erst 15 Jahre später taucht das Originalty­poskript wieder auf. Nach einer Lesung in San Francisco will es sich ein Besucher, der es für fünf Dollar in der Restekiste eines Antiquaria­ts erstanden hat, von Auster signieren lassen. Wie das Leben eben so spielt. Allein schon dieser schönen Anekdote wegen lohnt sich die Lektüre von Paul Austers Buch.

Paul Auster: Mit Fremden sprechen. Ausgewählt­e Essays und andere Schriften aus 50 Jahren. Rowohlt, 416 Seiten, 26 Euro

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FOTO: IMAGO IMAGES Paul Auster

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