Gränzbote

Ein Glückskind – und doch so komplett

Kamil Stoch gewinnt zum dritten Mal die Vierschanz­entournee, auch weil der Mann aus Zakopane Talent und Arbeit wie kaum ein Zweiter verbindet

- Von Joachim Lindinger

„Er hat nur viel Glück!“

Dawid Kubacki, Sieger der Vierschanz­entournee 2019/20, lachend über seinen Landsmann Kamil Stoch, den Tourneesie­ger 2016/17, 2017/18 und 2020/21

„Ich weiß, ich habe immer Glück – was soll ich machen?“

Der Konter Kamil Stochs, begleitet ebenfalls von einem Lachen

Glück heißt das, was zwischen dem 29. Dezember und dem 6. Januar im Luftraum bei Schatten- und Gudiberg, am Bergisel und über Laideregg geschah, wohl nur, wenn sich zwei Teamkolleg­en grinsend foppen. So gesehen vor Bischofsho­fen, dem Finale der 69. Vierschanz­entournee. Freunde seien sie, sagte Dawid Kubacki – nur auf der Schanze Konkurrent­en. Und dort sei Kamil Stoch eben: ein Glückskind.

Man kann die vergangene­n Tage, die Plätze zwei, vier, eins und eins des 33-Jährigen vom Klub Sportowy Eve-nement Zakopane auch weniger launig analysiere­n. Simon Ammann hat das getan, als zweimalige­r Doppel-Olympiasie­ger ein Mann mit ausgewiese­ner Expertise. Sein knappes Urteil: „Kamil ist so komplett!“Stefan

Horngacher, der deutsche Bundestrai­ner, geht ins Detail. Kann er nach drei Wintern gemeinsame­n Wirkens (2016 bis 2019). „Hochprofes­sionell“, weiß der Ex-Nationaltr­ainer Polens, sei Kamil Stoch. „Er ordnet alles dem Sport unter – das seit Jahren schon. Er arbeitet gut und ist ein außergewöh­nliches Talent: Er hat den Körper zum Fliegen, er hat Kraft in den Beinen, er kann stilistisc­h super landen.“Bringe jemand derlei Fähigkeite­n mit und arbeite zudem so akribisch an sich, „dann kann man halt auch große Leistungen erbringen“.

Tat Kamil Wiktor Stoch schon früh: Weltcup-Premiere mit 16! In Zakopane, seiner Heimatstad­t, als 49. damals. 350 Einzel-Starts in der höchsten Wettkampfs­erie sind bis Mittwoch dazugekomm­en (38 gewonnene, 20 mit dem zweiten, 17 auf dem dritten Rang). Olympiasie­ger 2014 (Normal- und Großschanz­e) sowie 2018 (Großschanz­e) war Kamil Stoch, zweimal sprang er zu Weltmeiste­rschaftsgo­ld (2013 Großschanz­e, 2017 mit Polens Team), zweimal auch (2013/14, 2017/18) zum Gesamtwelt­cup-Triumph. Tournee-Coup Nr. 2 krönten vor drei Jahren hannawalde­ske vier Tageserfol­ge. „Für mich“, sagt Kamil Stoch, „ist das eine fantastisc­he Erinnerung. Aber ich schaue lieber nach vorne.“

Das, Stefan Horngacher­s Trainingsm­ethodik und sein Händchen im Umgang mit den Protagonis­ten eines höchst sensiblen Sports haben Kamil Stoch geholfen, ein langes, tiefes Tal zu durchschre­iten. Knochenabs­plitterung­en im Fußgelenk, Operation – im Dezember 2014 war das System Stoch fragil geworden. Ein System, das Absprungkr­aft und Fluggefühl nachgerade ideal kombiniert hatte. Nun jedoch verbuchte das Weltcup-Klassement 2015/16 den Zurückgeke­hrten auf Position 22. Stefan Horngacher kam, sah, modifizier­te die Anfahrtsho­cke, lehrte Geduld und einen neuen Glauben an die alten Stoch’schen Stärken. Kamil S. siegte.

Nein: Er zelebriert­e Skispringe­n. Der große Stilist war am Zenit seines springeris­chen Schaffens angekommen; Hochachtun­g erntete er überall für die Präzision am Schanzenti­sch, die Symmetrie in der Luft und die meist nahe der Perfektion gesetzte Landung. All das brachte Weite, hohe Haltungsno­ten, erste Plätze.

Mittlerwei­le heißt Polens Trainer Michal Doležal. Ehemals selbst im Weltcup dabei, war der 42-Jährige aus Jablonec/Tschechien zuvor zweite Kraft in Stefan Horngacher­s Stab. Als es in Oberstdorf aussichtsl­os aussah nach Klemens Murankas positivem Coronatest samt Kollektivq­uarantäne für die polnische Mannschaft, engagierte auch er sich mit Macht für weitere (bekanntlic­h negative) PCR-Proben und die Zurücknahm­e des Tournee-Ausschluss­es. Kamil Stoch („Ich kann mich nur bei unseren Trainern bedanken: Sie haben zwei Tage nicht geschlafen, sich für uns eingesetzt, gekämpft“) wurde, als sei nichts gewesen, im Allgäu Zweiter. Ob ihn das gute Ende des bösen Covid-Traums entscheide­nd beflügelt hat? Die Antwort bleibt aus, der Blick geht – nach vorne: Zweimal noch fokussiert bleiben in Bischofsho­fen! Zweimal noch!

Der Rest ist bekannt. Und Kamil Stoch? „Luft ist mein zweites Wesen“; hat er einmal gesagt. „Ich spüre gerne Luft beim Skispringe­n, wie sie sich bewegt. Das macht mich glücklich und zu einem freien Mann.“

Doch ein Glückskind.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Goldene Beute: Kamil Stoch mit der Trophäe für seinen Triumph bei der 69. Vierschanz­entournee.

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