Gränzbote

Vom Marktplatz einmal quer durch die Stadt

Tuttlingen ehrt sogar den Zerstörer der Honberg mit einem Straßennam­en

- Von Dieter Kleibauer

TUTTLINGEN - Mehr als 1200 Jahre lang besteht die Stadt Tuttlingen, na ja: Damals noch nicht als Stadt, sondern als kleiner Ort. Klar, dass sich die Stadtgesch­ichte auch in den Straßennam­en niederschl­ägt. Beginnen wir unseren Rundgang auf dem Marktplatz.

Da, wo sich eine Brunnenpyr­amide erhebt, wo die Marktständ­e stehen, wo sich Menschen treffen. Wenn nicht gerade Corona ist. Der Name, so alltäglich er klingt, hat einen konkreten Bezug: Er geht auf das Marktrecht zurück, das Tuttlingen seit dem Jahr 1415 besitzt. Das Marktrecht war seinerzeit ein Privileg, Märkte, Messen oder Volksfeste abzuhalten, verliehen von den jeweiligen Herrschern. Im Fall Tuttlingen war das Kaiser Sigismund, der dem Ort an der Donau das Marktrecht per Urkunde verlieht – die leider dem Brand 1803 zum Opfer fiel; das Datum gilt aber als verbürgt.

Über ein 1415 verliehene­s Marktrecht kann man in Möhringen nur mitleidig lächeln. Der badische Ort hatte sein Stadt- und Marktrecht bereits 1308 erhalten. In Möhringen heißt ein Straßenzug noch Am Schafmarkt, der im 18. Jahrhunder­t überörtlic­he Bedeutung hatte.

An noch ältere Zeiten erinnert die Alemannens­traße. Die Alemannen oder Alamannen waren eine westgerman­ischer Ethnie, die im Bereich des heutigen Baden-Württember­gs, der Deutschsch­weiz, des Elsass‘, in Vorarlberg und BayerischS­chwaben lebten und später im fränkische­n Reich und im Herzogtum Schwaben aufgingen.

Mit der Stadtgesch­ichte verbunden ist auch die Oberamteis­traße. 1755 wurde die Stadt württember­gisches Oberamt – ein Verwaltung­sbezirk, dem heute in etwa der Landkreis entspricht. Die Nazis änderten den Namen 1934 in Kreis Tuttlingen und 1938 in Landkreis Tuttlingen, nachdem er um den aufgelöste­n Kreis Spaichinge­n vergrößert worden war. Sitz des Oberamtes war die heutige Musikschul­e.

Die Uberstraße erinnert an den großen Landesbaum­eister Carl Leonard von Uber (1768 bis 1834), der Tuttlingen nach dem Brand 1803 wieder aufgebaut und der Stadt die Quadratfor­m gegeben hat. Das erste Gebäude der von ihm entworfene­n „klassizist­ischen Planstadt“war das damalige Schulhaus, heute Sitz von Stadtbibli­othek und VHS. Die Anweisung, Tuttlingen nicht nach altem Muster wieder aufzubauen, war von Kurfürst Friedrich 1803 erlassen worden.

Ein Name, der für Tuttlingen von Bedeutung war, ist Berthold. Um 1290 geboren und 1350 gestorben, war er Notar und so genannter Registrato­r Kaisers Ludwigs des Bayern; zwischendu­rch arbeitete er auch für Bischof Rudolf von Konstanz. Er gilt als einer der Erbauer eines Kanzleiwes­ens, also letztlich ein Vorläufer des Beamtentum­s. Seine Besoldungs­gruppe ist nicht mehr bekannt.

Einen wahrlich merkwürdig­e Namensgebu­ng betrifft die Widerholts­traße. Welche Stadt schafft es schon, den Zerstörer ihres Wahrzeiche­ns zu ehren? Tuttlingen hat eine Widerholts­traße – und Konrad Widerholt (manchmal auch Wiederhold geschriebe­n, vermutlich 1598 – 1667) hat Spuren in der Stadt hinterlass­en, die heute noch sichtbar sind: Er brannte die Burg auf dem Honberg nieder. In württember­gischen Diensten verteidigt­e er im Dreißigjäh­rigen

Krieg die Festung Hohentwiel über Jahre – aber zu einem hohen Preis: Um Feinden keinen Unterschlu­pf zu bieten, zerstörte er umliegende Burgen wie eben die auf dem Honberg. Die heutigen sichtbaren Türme sind übrigens keine Originalre­ste des Bauwerks, sondern wurden im 19. Jahrhunder­t von einem Fördervere­in gebaut, allerdings nicht in der ursprüngli­chen Form.

Immerhin: Auch der Erbauer der Festung, Graf Eberhard im Bart von Württember­g, wird mit einer Straße gewürdigt. Und um die Ecke liegt die Alexanders­traße – die exakte Namensherk­unft ist hier nicht mehr nachzuvoll­ziehen. Es gab einen Herzog Karl Alexander von Württember­g um 1700; in Stuttgart ist aber auch eine Straße nach dem russischen Zar Alexander II. benannt – das wäre auch in Tuttlingen möglich gewesen. Schließlic­h hatten Russland und Württember­g vielfältig­e Beziehunge­n durch Heiraten und Verwandtsc­haften.

 ?? FOTO: KATHARINA HÖCKER ?? Der Marktplatz erinnert an das Marktrecht, das Tuttlingen 1415 verliehen bekommen hat.
FOTO: KATHARINA HÖCKER Der Marktplatz erinnert an das Marktrecht, das Tuttlingen 1415 verliehen bekommen hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany