Nawalny sofort festgenommen
Kreml-Kritiker nach der Landung in Moskau in Haft
MOSKAU (dpa) - Fünf Monate nach seiner Vergiftung in Sibirien ist der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in seine Heimat zurückgekehrt – und nach seiner Landung in Moskau sofort festgenommen worden. Der 44-Jährige sei zur Fahndung ausgeschrieben gewesen, teilte der Strafvollzug am Sonntag mit. Bis zur Entscheidung des Gerichts bleibe er in Untersuchungshaft. Der Kremlkritiker soll während seines Aufenthalts in Deutschland, wo er sich von dem in Russland verübten Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte, gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben.
Der Strafvollzug will deshalb die Bewährungs- in eine echte Haftstrafe umwandeln lassen. Nawalnys Team spricht von einer politischen Inszenierung, um den Gegner von Präsident Wladimir Putin mundtot zu machen. Der Gerichtsprozess ist am 29. Januar geplant.
MOSKAU - Auch Nawalnys Anhänger warteten mit gemischten Gefühlen. „Vor dem Flughafen sind starke Sicherheitskräfte zusammengezogen worden“, sagte der Sibirier Nikita Iljin der „Schwäbischen Zeitung“. „Es ist sehr gut möglich, dass sie Alexej sofort festnehmen werden. Russlands Staatsmacht ist unberechenbar.“Diese Worte bestätigten sich wenige Stunden später.
Die Passagiermaschine der Fluglinie Pobeda, in der Nawalny nach fast fünf Monaten Behandlungs- und Erholungsaufenthalt in Deutschland nach Russland zurückkehrte, landete nicht wie angekündigt auf dem Flughafen Wnukowo westlich von Moskau, sondern in Scheremetjewo im Norden der Hauptstadt. Dort stieg der Oppositionelle, der trotz 18 Grad Minus nur eine leichte Jacke trug, mit anderen Passagieren in den Bus zum Flughafengebäude.
An der Passkontrolle erwarteten ihn Beamte in schwarzen Uniformen, die ihn aufforderten, ihm zu folgen. Nawalny verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Wange von seiner Frau Julia, dann verschwand er mit den Ordnungshütern. Der 44-Jährige sei zur Fahndung ausgeschrieben gewesen, teilte der Strafvollzug am Sonntag mit. Die russische Strafvollzugsbehörde wirft Nawalny vor, wiederholt gegen die Auflagen einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verstoßen zu haben. Der Regierungsgegner soll demnach bis zu einer Entscheidung durch ein Gericht in Haft bleiben.
„Mich verhaften? Das ist unmöglich“, hatte Nawalny den vielen Journalisten unter den Passagiere vor dem Abflug zugerufen. „Alles wird wunderbar sein.“Danach nahm er neben seiner Frau Julia in der Reihe 13 Platz. Es war zunächst unklar, ob die Festnahme nur vorläufig ist. Sein Vertrauter Leonid Wolkow sagte TV Doschd, er hoffe, dass Nawalny nicht länger als 48 Stunden festgehalten wird.
In Wnukowo hatten sich Hunderte Anhänger, Gegner, Polizisten und Journalisten versammelt. Gegen Abend befanden sich etwa 300 Menschen im Wartesaal des Internationalen Terminals, ungefähr tausend harrten trotz der Kälte auf der Straße und in den Eingängen zur S-BahnStation des Flughafens aus. Das Terminal sperrten schwer bewaffnete Sonderpolizisten ab, immer wieder wurden Nawalny-Anhänger von Polizisten abgeführt oder gewaltsam weggeschleppt.
In Moskaus Oppositionskreisen war in den Tagen vor der Rückkehr des im August vergifteten Oppositionellen die Aufregung groß. „Zu uns fliegt der Präsident“, bloggte der liberale Politiker Leonid Gosman. „Die ganze Welt hat ihn schon als einzige Alternative zu Putin anerkannt, so wie einst Mandela die Alternative zu De Clerk und der Apartheid wurde.“Die liberale Hauptstadtpresse diskutierte seit Tagen die möglichen Szenarien: Nawalny wird schon auf dem Rollfeld oder bei der Passkontrolle im Flughafengebäude festgenommen oder beim Verlassen des Flughafens. Oder die Staatsmacht gewährt ihm freies Geleit, obwohl ein neues Strafverfahren wegen mutmaßlicher Veruntreuung auf ihn wartet. An die Variante, dass Nawalnys Flieger in Scheremetjewo statt Wnukowo landen könnte, hatten nur wenige gedacht.
Nawalny hatte sich in Deutschland von einem Anschlag mit dem als Chemiewaffe verbotenen Nervengift Nowitschok erholt. Das Attentat war am 20. August in der sibirischen Stadt Tomsk verübt worden. Nawalny macht Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB für den Mordanschlag verantwortlich. Putin weist das zurück. Ungeachtet der Gefahr für sein Leben erklärte Nawalny mehrfach, dass sein Platz in Russland sei und er dort seinen Kampf gegen das „System Putin“fortsetzen wolle. Unter den Festgenommenen auf dem Flughafen Wnukowo war auch Nawalnys engste Mitarbeiterin, die Juristin Ljubow Sobol.
Die Staatsmedien dagegen ignorierten Nawalny, der Nachrichtenkanal Rossija 24 widmete sich tagsüber dem extremen Frost, russischen Siegen bei der Rallye Dakar sowie dem für heute angekündigten Start der landesweiten Massenimpfung gegen Covid-19.