Wenn Künstler zu Straftätern werden
Münchner Sonderschau zu Veit Stoß noch zu – Reich bebildeter Katalog erzählt Spannendes
MÜNCHEN (KNA) - Dass Künstler auch nur Menschen sind, wird gern übersehen. Doch selbst unter ihnen finden sich Verbrecher, die aber oft mächtige Schutzherren hatten. Ein Beispiel ist der Mailänder Bildhauer Leone Leoni. Wegen Falschmünzerei, Gewaltdelikten und Anstiftung zum Mord hätte er gewiss seine rechte Hand eingebüßt oder gar sein Leben verloren. Kaiser Karl V. sorgte aber dafür, dass ihm nichts passierte. Krass ist der Fall des florentinischen Bildhauers und Goldschmieds Benvenuto Cellini (1500-1571). Dieser tötete seinen Konkurrenten um das Amt des päpstlichen Münzmeisters. Strafe gab’s dafür von Papst Paul III. keine, aber den angestrebten Posten.
Der berühmteste straffällig gewordene Künstler dürfte wohl Caravaggio (1571-1610) sein, der in Rom zum bevorzugten Maler der römischen Kardinäle aufgestiegen war; sechs seiner bekanntesten Gemälde befinden sich bis heute in drei Kirchen in Rom. Wegen eines Totschlags wurde er aus der Stadt verbannt, ging nach Neapel und später nach Malta, von wo er aber nach einer tätlichen Auseinandersetzung wieder fliehen musste. Vielleicht trifft besonders auf ihn das Wort des russischen Dichters Fjodor Dostojewski zu, wonach ein Künstler mit derselben Verfassung an sein Werk gehen muss, wie ein Verbrecher seine Tat anstrebt.
Die hoffentlich bald zu sehende neue Sonderausstellung „Kunst & Kapitalverbrechen“des Bayerischen Nationalmuseums in München und der dazu erschienene Katalog fügen der Reihe krimineller Künstler nun einen weiteren berühmten Namen hinzu. Veit Stoß (um 1447-1533), der vorwiegend in Nürnberg und Krakau als Bildhauer tätig war, zählt nicht nur zu den bedeutendsten Meistern der süddeutschen Spätgotik, er beging auch eine schwere Straftat.
1503 machte er sich der Urkundenfälschung schuldig, weil er einen Schuldschein gefälscht hatte. Er wollte damit wieder an sein Geld kommen, das er in einer Tuchhandelsfirma angelegt hatte, die bald darauf bankrottgegangen war. Nach anfänglichem Leugnen zeigte er sich geständig, weil die Situation aussichtslos war und die kriminelle Tat aufgedeckt wurde. Stoß wurde eingekerkert. In Nürnberg ahndete man eine solche Tat damals mit Hinrichtung oder zumindest mit Blendung. Der reichsstädtische Magistrat milderte die Strafe jedoch zur Brandmarkung ab – was bedeutete, dass der Henker ihm im Dezember jenes Jahres beide Wangen mit glühenden Eisen durchstach.
Der mit dieser Kennzeichnung verbundene Verlust der bürgerlichen Ehre auf Lebenszeit bedeutete eine weitere schwerwiegende Schädigung: Niemand bedachte einen derart Geächteten mehr mit einem Auftrag oder ging mit ihm Geschäfte ein. Deshalb und aus Furcht vor noch höherer Bestrafung floh Stoß nach Münnerstadt am Rande der Rhön, obwohl er einen Eid geschworen hatte, die Stadt nie mehr ohne Einwilligung des Rates zu verlassen. In Münnerstadt lebte seine Tochter Katharina, die mit Jörg Trummer verheiratet war, einem streitbaren Mann, der sich auf verschiedenen Ebenen sehr für seinen Schwiegervater einsetzte.
Trummer hat Stoß gewiss auch an die Stadt Münnerstadt vermittelt. Diese erteilte ihm 1504 dann den Auftrag, den von Tilman Riemenschneider 1490/92 geschaffenen HochaltarAufsatz der Stadtkirche farbig zu fassen und dessen Flügel mit Gemälden zu versehen, die Szenen aus der Vita des heiligen Kilian schildern. Im Spätmittelalter war es durchaus üblich, die Farbfassung plastischer Werke nicht immer unmittelbar nach deren Aufstellung anzubringen.
Da derzeit der Chor der Münnerstädter Pfarrkirche saniert wird, ergab sich die Chance, die bis heute dort beheimateten Bestandteile des Altarretabels mit denen aus dem Bayerischen Nationalmuseum befristet in einer Ausstellung zu vereinen. Farbenprächtig erzählen die Flügelbilder von Stoß die Legende des fränkischen Heiligen. Sie gelten als die einzigen Gemälde des Meisters. In der gleichen Zeit schuf er eine Reihe eindrucksvoller Kupferstiche. Wie die Malereien sind sie einzigartige künstlerische Zeugnisse der von der kriminellen Verfehlung überschatteten Phase seines Lebens, in dem Aufträge ausblieben.
Virtuelle Einblicke in die Münchner Ausstellung finden sich unter www.bayerisches-nationalmuseum.de. Der Katalog „Kunst und Kapitalverbrechen. Veit Stoß, Tilman Riemenschneider und der Münnerstädter Altar“, hrsg. von Frank Matthias Kammel, Hirmer Verlag, 240 Seiten, kostet im Buchhandel 39 Euro.