„Wie ein grobes Sieb“
SPD-Gesundheitsexpertin Hilde Mattheis fordert Schnelltests für zu Hause
BERLIN - Hilde Mattheis, Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Ulm, kritisiert veraltete Arbeitsweisen im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Viele Gesundheitsämter arbeiteten noch mit dem Faxgerät, sagte die SPD-Politikerin im Interview mit Claudia Kling. Zudem sprach sie sich für Schnelltests für zu Hause aus.
Sie fordern, im öffentlichen Gesundheitsdienst, zu dem auch die Gesundheitsämter gehören, neue Wege zu gehen, um die CoronaPandemie besser in den Griff zu bekommen. Sind Sie mit der jetzigen Corona-Politik so unzufrieden?
Ich glaube, dass man viele Dinge noch ergänzen und manches auch besser machen kann. Das eine betrifft den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). In den Gesundheitsämtern beispielsweise werden nicht alle Möglichkeiten der Kontaktnachverfolgung effektiv genutzt. Das in Deutschland entwickelte Programm Sormas beispielsweise, mit dem die Kontaktnachverfolgung verbessert werden kann, wird in Länder wie Frankreich und der Schweiz eingesetzt, aber nicht flächendeckend bei uns. Bis heute tauschen nur 132 von rund 380 Gesundheitsämtern ihre Daten effizient aus, viele andere arbeiten noch mit dem Faxgerät. Ich will auf keinen
Fall sagen, dass die Beschäftigten der Gesundheitsämter versagen. Die engagieren sich über die Maßen hinaus. Aber es fehlt der Wille, den Öffentlichen Gesundheitsdienst effizienter zu gestalten und so die Beschäftigten zu unterstützen.
Derzeit ist Nachverfolgung der Infektionsquellen kaum mehr möglich, weil sich viel zu viele Menschen anstecken. Hat es nicht Priorität, erst einmal dieses Problem in den Griff zu bekommen?
Auf jeden Fall. Dabei unterstützt eben dieses Programm zur Kontaktnachverfolgung, Sormas. Wir brauchen aber auch Strategien über die aktuelle Krisensituation hinaus. Dazu gehört für mich ergänzend ein Public Health Ansatz, zum Beispiel durch flächendeckenden Einsatz von Schnelltests und Heimtests, die jeder bei sich zu Hause anwenden kann. Nur so wird es möglich sein, neue Infektionsketten in Zukunft zu kappen. In Baden-Württemberg wird jetzt in Alten- und Pflegenheimen sehr viel getestet, weil dort die Inzidenzen und Todesfallzahlen drastisch erhöht sind. Das ist richtig. Aber wir müssen die gesamte Bevölkerung stärker in den Blick nehmen, die sich danach sehnt, soziale Kontakte und eine Art von normalem Leben zu haben. Deshalb muss dringend ein Antigenschnelltest für zu Hause zugelassen werden.
Schnelltests gelten nicht als wirklich verlässlich. Wieviel Vertrauen
hätten Sie zu einem Test, der zu Hause von einem Laien ausgeführt wird?
Dass die Schnelltests keine 100-prozentige Sicherheit bieten, ist hinlänglich bekannt. Die PCR-Tests sind wesentlich sicherer. Aber: Die neuen Schnelltests für zu Hause würden funktionieren wie ein grobes Sieb. Wenn sie zu 60 Prozent Leute herausfiltern, die Corona-positiv sind, wäre schon viel gewonnen. Denn diejenigen würden dann nicht mehr auf der Straße unterwegs sein oder im Lebensmittelladen. Damit unterbrechen wir Infektionsketten. Das Gute für den Anwender wäre, dass er nicht mit dem Wattestäbchen tief in den Rachen oder die Nase hineinfahren muss, sondern zwei Zentimeter genügen. Klar ist natürlich auch, dass dieser Test keinen PCR-Test ersetzt. Nur der bringt eindeutige Gewissheit, ob eine Corona-Infektion vorliegt.
Ihre Vorhaben könnten nur erfolgreich sein, wenn die Bevölkerung mitzieht. Ist davon auszugehen?
Wenn wir die Menschen nicht mit Kommentaren zur Corona-Politik zuschütten, sondern stattdessen sachlich informieren würden, wäre viel gewonnen. Wieso nicht abends vor der Tagesschau kurz die neuesten Informationen zu Corona zusammenfassen? Wenn sich beispielsweise eine Frau Eisenmann hinstellen und erklären würde, wie es passieren konnte, dass für Schulen nicht-zertifizierte FFP2-Masken gekauft wurden, dann würde das letztlich Vertrauen schaffen. Wir brauchen keinen Wahlkampf, sondern Informationen in der Corona-Krise.
Sie haben sich für eine Grundgesetzänderung ausgesprochen, damit, die Gesundheitsämter „direkt und sofort“vom Bund unterstützt werden können. Wieso muss dafür die Verfassung geändert werden?
Die Kompetenz für den Öffentlichen Gesundheitsdienst liegt in unserem föderalen System seit Jahren ausschließlich bei den Ländern. Deshalb hat der Bund das Problem, dass er die Gesundheitsämter nicht direkt finanziell unterstützen kann, weil er dafür nicht zuständig ist. Im Ergebnis haben wir einen Flickenteppich der Zuständigkeiten in den einzelnen Ländern. Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist in jedem Bundesland anders organisiert und hat zum Teil andere Aufgaben. Wenn es eine Grundgesetzänderung gäbe, könnte der Bund die Vernetzung wesentlich besser steuern und auch die entsprechenden Mittel beisteuern.
Als SPD-Politikerin sind Sie Teil der Regierungskoalition. Interessiert Ihr Acht-Punkte-Programm zu Corona den CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn?
Meine Vorschläge werden durchaus gehört und sind in der SPD-Fraktion zum Teil bereits beschlossen. Aber wenn es um die weitere Umsetzung geht, das gilt auch für die Einführung der Heimtests, bedarf es noch der Überzeugungsarbeit.