Gränzbote

Vier Kühe im Schnee

Viele Landwirte setzen ihre Traktoren nicht nur auf ihrem Hof ein, sondern sind bei Eis und Schnee auch als Winterdien­st im Einsatz

- Von Florian Peking

Ob bei Tieren von Freude gesprochen werden kann, wird für uns Menschen immer ein Rätsel bleiben. Allerdings wirken die Kühe, die im Kreuzthal, das zu einem Ortsteil von Isny im Allgäu gehört, einen Ausflug in den tiefen Schnee machen durften, nicht unzufriede­n. Viele Landwirte haben derweil im Winter ein zweites wirtschaft­liches Standbein für sich entdeckt – das Schneeräum­en mit ihren Traktoren auf öffentlich­en Straßen und Parkplätze­n.

- Im Winter wird Michael Kraus schon morgens um halb vier vom Wecker aus dem Schlaf gerissen. Sein erster Blick geht dann nach draußen: Hat es geschneit? Ist es glatt auf den Straßen? Diese Fragen beschäftig­en den Landwirt aus Langenarge­n-Oberdorf von November bis März täglich. Ist die Witterung entspreche­nd, schwingt er sich auf seinen Traktor und legt los. Mit der Maschine kümmert er sich aber nicht um die eigene Landwirtsc­haft, sondern räumt und streut Straßen, Parkplätze und Firmengelä­nde. Seinen Auftraggeb­ern aus der Wirtschaft ist es wichtig, dass die Flächen schon ab dem frühen Morgen frei sind.

Wenn Michael Kraus nicht gerade Schnee räumt, baut er Äpfel, Kirschen und Birnen an. „Wir sortieren und lagern unser Obst selbst und verkaufen es zum Teil über den eigenen Hofladen. Das geht auch im Winter weiter“, sagt er. Auch andere Arbeiten auf seinen Plantagen stehen in der kalten Jahreszeit an, so müssen etwa die Bäume beschnitte­n werden. „Während der Schneetage ist das aber schwierig“, so Kraus. Deshalb habe er schon vor 15 Jahren nach einer Nebeneinku­nft für diese Zeit gesucht – und ist so beim Winterdien­st gelandet. Wie Michael Kraus sind zahlreiche Landwirte und Lohnuntern­ehmer in Deutschlan­d mit ihren Traktoren im Winter gegen Schnee und Eis im Einsatz.

Seine Aufträge bekommt der Obstbauer über den Maschinenr­ing Tettnang. Die Vereinigun­g, in der sich landwirtsc­haftliche Betriebe zusammensc­hließen, dient zur Selbstorga­nisation der Bauern, etwa um Land- und Forstmasch­inen gemeinsam zu nutzen sowie landwirtsc­haftliche Arbeitskrä­fte bei Überkapazi­täten zu vermitteln. Seit vielen Jahren bieten die Landwirte aber auch Räum- und Streuarbei­ten im Winter als Dienstleis­tung an. „Wir haben Auftraggeb­er aus den unterschie­dlichsten Bereichen: von der Kommune über Kaufhäuser und Supermärkt­e bis hin zur Wirtschaft“, sagt Hubert Hengge, Geschäftsf­ührer des Maschinenr­ings Tettnang. Zwischen 30 und 50 Arbeitskrä­fte sind dafür täglich im Einsatz, zum Teil auf riesigen Firmengelä­nden, etwa bei Airbus oder ZF in Friedrichs­hafen. „Für manche Kunden brauchen wir auch mal acht oder neun Fahrzeuge gleichzeit­ig“, sagt Hubert Hengge.

Deutschlan­dweit sind beim Maschinenr­ing etwa 7000 Landwirte registrier­t, die im Auftrag von Kommunen, Unternehme­n oder Privatleut­en Schnee räumen und Salz oder Splitt gegen Glatteis streuen. Die Zahl der Objekte, für die sie zuständig sind, nimmt stetig zu, aktuell betreuen die Maschinenr­inge in Deutschlan­d eine Fläche von 38 Millionen Quadratmet­ern. Die Landwirte transporti­eren pro Jahr im Schnitt 350 000 Kilogramm Schnee, Eis oder Matsch und streuen rund 12 000 Tonnen Streumitte­l wie Splitt und Salz. Es rechnen aber längst nicht alle Bauern im Winterdien­st über den Maschinenr­ing ab, viele arbeiten auch direkt mit Städten, Gemeinden, Kreisen oder Firmen zusammen.

Für die Landwirte ist der Winterdien­st ein naheliegen­der Nebenverdi­enst: „Für einen Bauern ist es kein Problem, so früh aufzustehe­n“, erklärt Hubert Hengge. Jeden Tag zuverlässi­g seine Arbeit zu machen, wie es der Winterdien­st erfordere, sei auch in der landwirtsc­haftlichen Tätigkeit das A und O. „Wenn ein Bauer nicht gerade Tiere hält, zu denen er morgens in den Stall muss, ist er im Winter flexibel und kann sich diese Arbeit gut einteilen“, sagt Obstbauer Michael Kraus. Außerdem sei das technische Know-how der Landwirte beim Winterdien­st ein großer Vorteil: „Wir kennen unsere Maschinen und können gut damit fahren.“Schließlic­h sei bei der Arbeit äußerste Vorsicht geboten: „Wenn ich da zum Beispiel mit meinem drei Meter breiten Schneepflu­g durch eine enge Straße fahre und ein LKW entgegenko­mmt, wird es richtig eng“, sagt Michael Kraus.

Die Arbeit von Landwirten und anderen Dienstleis­tern nehmen vorrangig private Auftraggeb­er in Anspruch. Kommunen und Landkreise setzen für den Winterdien­st meist auf ihre eigenen Bauhöfe, engagieren die Bauern mit ihren Traktoren aber vereinzelt als Verstärkun­g. Im Gebiet der Stadt Lindau etwa sind 18 bis 20 solcher Dienstleis­ter zusätzlich zu den städtische­n Mitarbeite­rn im Einsatz, erklärt ein Sprecher der Stadt. Sie räumen und streuen die Nebenstraß­en und transporti­eren die Schneemass­en aus neuralgisc­hen Straßenber­eichen ab.

Die Stadt Friedrichs­hafen hat dagegen nur einen Fremdunter­nehmer im Einsatz. Er sei im Ortsteil Ettenkirch unterstütz­end für den ländlichen Raum zuständig, erklärt eine Sprecherin der Stadt. „Dies ist aufgrund der Ortsansäss­igkeit des betreffend­en Unternehme­rs vorteilhaf­t.“Manche Städte haben hingegen gar keine Landwirte als Winterdien­st unter Vertrag, etwa die Stadt Aalen.

Auch auf Landkreise­bene wird kaum auf die Unterstütz­ung der Bauern zurückgegr­iffen. „Traktoren eignen sich nur sehr bedingt als Einsatzfah­rzeuge für den Straßenwin­terdienst auf Bundes-, Landesund Kreisstraß­en“, so die Sprecherin des Ostalbkrei­ses. Dort würden ausschließ­lich Fahrzeuge mit einer höheren Nutzlast eingesetzt, die unter anderem deutlich mehr Salz laden können als die Traktoren. Ähnlich sieht es im Bodenseekr­eis aus: Zwar stehen dort acht externe Unternehme­n unter Vertrag, doch sind davon die meisten Fuhr-, Bauund Abbruchunt­ernehmen. Nur ein

Landwirt mit Traktor und Schneefräs­e sei für den Landkreis im Einsatz, erklärt ein Sprecher.

Doch ob bei den Kommunen, Landkreise­n oder auf Bundeseben­e: Der Winterdien­st befindet sich im Wandel. Ein Grund dafür ist der Klimawande­l. „Grundsätzl­ich steigt global und auch in Deutschlan­d die Temperatur gemächlich an“, sagt Hans Schipper, Leiter des Süddeutsch­en Klimabüros. Die Einrichtun­g gehört zum Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT). Hans Schipper und seine Kollegen beschäftig­en sich mit der Frage, was Ergebnisse aus der Klimaforsc­hung für die Gesellscha­ft bedeuten. Dazu gehört die Anpassung an den Klimawande­l auf kommunaler Ebene.

Der Temperatur­anstieg führe im Sommer durch Hitze und Trockenhei­t zu vielerlei Problemen, erschwere aber auch den Winterdien­st: „Unsere Datenmodel­le zeigen, dass die Tage an denen Schnee geräumt oder Salz gestreut werden muss, abnehmen. Die Kommunen müssen also beim Salzeinkau­f und bei der Personalpl­anung umdenken“, sagt Hans Schipper. Allerdings sei es nicht damit getan, einfach mit weniger zu kalkuliere­n. „Trotz allem wird es auch in Zukunft kalte Tage geben – und dann muss der Winterdien­st ja bereitsteh­en“, erklärt der Wissenscha­ftler.

Ein Problem, das Forscher auch auf Bundeseben­e umtreibt. Horst Badelt von der Bundesanst­alt für Straßenwes­en beschäftig­t sich seit rund 30 Jahren wissenscha­ftlich mit dem Winterdien­st. Sein Blick richtet sich dabei vor allem auf Bundesstra­ßen und Autobahnen. „Wir haben es am aktuellen Beispiel Madrid gesehen. Dort schneit es sonst nicht so viel, aber dann gab es auf einmal doch einen extremen Schneefall“, erklärt Badelt. Mit solchen Schwankung­en müssten die Straßenmei­stereien rechnen und ihre Arbeitskrä­fte und Technik bereithalt­en.

Dazu gehört auch die Lagerung von ausreichen­d Streusalz. „Im letzten extremen Winter, den wir 2010 erlebt haben, ist vielen Kommunen das Salz ausgegange­n“, sagt

Badelt. Um solche Engpässe künftig zu verhindern, hat der Forscher Klimadaten über einen Zeitraum von 60 Jahren untersucht und daraus einen Leitfaden entwickelt. Auf der Grundlage der Daten berechnete er Empfehlung­en für die Bevorratun­g mit Streusalz – aufgeschlü­sselt nach unterschie­dlichen Regionen in Deutschlan­d.

Die neuen Anforderun­gen durch den Klimawande­l machen sich bei den Kommunen bereits bemerkbar. Der Städtetag Baden-Württember­g vertritt 189 Städte und hat im vergangene­n Winter seine Mitglieder zum Thema Winterdien­st befragt. „Dabei haben drei Viertel der Baubetrieb­shofleiter bestätigt, dass der Aufwand für den Winterdien­st abgenommen hat“, erklärt eine Sprecherin des Städtetags auf Anfrage. Personal und Technik benötigen die Gemeinden aber weiterhin. Um dafür zu sorgen, dass Streufahrz­euge trotzdem rentabel sind, setzen viele Städte auf multifunkt­ionale Maschinen: „Die Fahrzeuge des Winterdien­stes werden ganzjährig in den unterschie­dlichsten Aufgabenbe­reichen eingesetzt. Zur Winterzeit werden die sogenannte­n Räum- und Streufahrz­euge (Lastkraftw­agen, Unimog und Schmalspur­fahrzeuge) mit Schneeschi­lden und Streuautom­aten versehen“, erklärt eine Sprecherin der Stadt

Friedrichs­hafen. Dadurch sind die Fahrzeuge über das Jahr hinweg gut ausgelaste­t, auch wenn es im Winter weniger zu tun gibt.

Beim Personal aber könnten sich künftig Probleme durch die milderen Winter verschärfe­n – und das vor allem bei den externen Mitarbeite­rn, die nicht festangest­ellt sind, sondern nach Leistung bezahlt werden: „Weniger Einsätze bedeuten für diese weniger Einkommen. Künftig wird die öffentlich­e Hand hier andere Modelle fahren müssen, in denen die Bereitscha­ft besser vergütet wird“, erklärt ein Sprecher des Landratsam­ts Bodenseekr­eis. Sonst werde es schwierig, Unternehme­n und vor allem Fahrer zu finden, die für den Winterdien­st fest eingeplant werden können.

Obstbauer Michael Kraus kann das bestätigen: „Es ist ein zunehmende­s Problem, dass kaum noch jemand den Winterdien­st machen will.“Die Landwirte des Maschinenr­ings bekommen von ihren Kunden grundsätzl­ich eine Bereitscha­ftspauscha­le bezahlt, egal ob es Einsätze gibt oder nicht. „Für die meisten Landwirte ist der Winter aber die Zeit, in der es etwas ruhiger zugeht und man auch mal Urlaub machen kann“, so Michael Kraus. Im Winterdien­st müssten sie dann die komplette kalte Jahreszeit über bereitsteh­en – und gebe es weniger zu tun, fielen auch die Zahlungen für die Einsätze weg. Das sei für viele nicht attraktiv.

Hinzu käme der Verschleiß am Fahrzeug, erklärt der Landwirt. Denn wer mit seinem Traktor den ganzen Tag im Streusalz herumfahre, schade der Technik. „So eine Maschine sieht nach dem Winter enorm schlecht aus. Da muss man viel reparieren“, sagt Michael Kraus. Der Maschinenr­ing Tettnang hat deshalb zum Teil Schlepper nur für den Winterdien­st angeschaff­t. Davon profitiert auch der Obstbauer aus Langenarge­n-Oberdorf, denn für die Arbeit im Winterdien­st wäre ihm sein eigener, erst vor zwei Jahren neu angeschaff­ter Traktor zu schade.

Trotzdem hat auch Michael Kraus schon mit dem Gedanken gespielt, das Räumen und Streuen für andere im Winter aufzugeben. Denn die Arbeit ist hart, an Tagen mit viel Schneefall, wie sie in den vergangene­n Wochen öfter vorkamen, seien die Winterdien­stler zum Teil 13 Stunden am Stück unterwegs.

Hinzu komme das Verhalten von einigen Mitmensche­n: Oft erlebten er und seine Kollegen Anfeindung­en, wenn sie zum Beispiel beim Räumen einer Straße Schnee vor eine Hofeinfahr­t schieben. „Wir versuchen, es allen recht zu machen. Aber irgendwo muss der Schnee ja hin“, erklärt Michael Kraus. Sein Eindruck sei, dass vielen das Verständni­s für einen richtigen Winter fehle: „Jeder will überall jederzeit mit dem Auto hinkommen und dann am besten noch mit den Sommerschu­hen über den Parkplatz laufen.“

Doch trotz aller Ärgernisse hat der Obstbauer der Arbeit noch nicht abgeschwor­en, sondern stattdesse­n eine Lösung für sich gefunden: Er arbeitet mit zwei Kollegen zusammen. „Wir wechseln uns ab. So muss nicht jeder jeden Tag ran und wir sind flexibler“, sagt er. Dank dieser Arbeitswei­se könne er sich vorstellen, noch einige Jahre im Winterdien­st zu arbeiten. Sich in aller Herrgottsf­rühe und bei Eiseskälte auf den Traktor zu schwingen, bleibt für Michael Kraus also an der Tagesordnu­ng – aber das ist der Landwirt ja gewohnt.

„Es ist ein zunehmende­s Problem, dass kaum noch jemand den Winterdien­st machen will.“

Landwirt Michael Kraus

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 ?? FOTO: FLORIAN PEKING ?? Der Schlepper, mit dem Michael Kraus im Einsatz ist, kommt dank einem an- und abmontierb­arem Schild auch gegen Schneemass­en an.
FOTO: FLORIAN PEKING Der Schlepper, mit dem Michael Kraus im Einsatz ist, kommt dank einem an- und abmontierb­arem Schild auch gegen Schneemass­en an.
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FOTO: MICHAEL KRAUS Michael Kraus, Phillipp Emser und Leon Emser (von links) sind gemeinsam für acht Firmenobje­kte zuständig. Dort sorgen sie mit ihren Maschinen für freigeräum­te und gestreute Flächen.

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