Zumindest ein Zeichen der Hoffnung
In Syrien wird über eine neue Verfassung verhandelt – Währenddessen bereitet Assad neue Offensiven vor
ISTANBUL - Hundertausende Tote, Millionen auf der Flucht: bisher sind alle Bemühungen um Frieden in Syrien gescheitert. Doch nun gibt es vorsichtige Zeichen der Hoffnung.
Geir Pedersen macht sich Mut. Nach fast zehn Jahren Krieg in Syrien gebe es bei den Verhandlungen über eine neue Verfassung neue Bewegung, sagte der UN-Syrienbeauftragte kürzlich. In den Gesprächen zwischen Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft, die Pedersen seit 2019 leitet, hat der norwegische Diplomat eine neue konstruktive Atmosphäre bemerkt. Die Unterhändler hören einander zu, „und zwar aufmerksam und sogar mit Respekt“. Am Montag gehen die Verhandlungen in die fünfte Runde. Auch Experten und Teilnehmer der Verhandlungen halten Fortschritte für möglich.
Längst stehen sich in dem Land nicht mehr nur die syrische Armee und verschiedene Rebellengruppen gegenüber. Armeen aus fünf Ländern sind verwickelt: Russland und der Iran unterstützen Präsident Baschar al-Assad, die Türkei hält Gebietsstreifen im Norden Syriens besetzt, die USA kontrollieren zusammen mit kurdischen Verbündeten weite Teile Ost-Syriens, und Israel greift mit seiner Luftwaffe immer wieder iranische Stellungen in Syrien an.
In Genf kommt am Montag ein 45köpfiger Verfassungsausschuss zusammen, der ein neues Grundgesetz für das Bürgerkriegsland schreiben und freie Wahlen vorbereiten soll. Die Kriegsverbrechen der Assad-Regierung machten es schwer, den Vertretern dieses Regimes gegenüberzusitzen, sagt Dima Moussa. Die 42jährige Syrerin aus Aleppo floh nach Ausbruch des Krieges in die USA. Heute gehört die Juristin der Delegation der syrischen Opposition bei den Verfassungsgesprächen an. „Natürlich ist es nicht leicht, mit Vertretern des syrischen Regimes an einem Tisch zu sitzen, eines Regimes, das Syrien und den Syrern das angetan hat, was wir seit zehn Jahren erleben“, sagte sie unserer Zeitung in Istanbul vor den neuen Gesprächen.
Dass es bei den Verhandlungen bisher kaum Fortschritte gab, lag vor allem daran, dass die Assad-Regierung auf Zeit spielte. Der Präsident will das gesamte syrische Staatsgebiet wieder unter seine Kontrolle bekommen, bevor er den Krieg für beendet erklärt. In Genf bremste die syrische Regierung deshalb die Friedensverhandlungen aus, sagt Dima Moussa. Nun aber könnte es schneller vorangehen, meint sie. Der Regierungsseite gehen nach ihrer Einschätzung die Argumente für Verzögerungen aus. „In der Gesprächsrunde soll es nur um Grundsätze für die Verfassung gehen, deshalb wird es schwieriger, einer Diskussion darüber aus dem Weg zu gehen.“Die Opposition will einen Zeitplan durchsetzen, damit die Gespräche nicht dazu benutzt werden, „den ganzen politischen Prozess lahmzulegen“.
Druck auf Assad kommt auch von den USA. Die sogenannten CaesarSanktionen der US-Regierung – benannt nach dem Decknamen eines syrischen Militärfotografen, der im Jahr 2013 Zehntausende Fotos von Folteropfern in den Westen schmuggelte – zielen auf Assad und seinen Führungszirkel. „Das Gesetz soll den Leuten in Assads Umgebung richtig wehtun und ihnen klarmachen, dass dieser Schmerz nicht nachlassen wird, wenn sie ihre Politik nicht ändern“, sagte James Jeffrey, US-Syrienbeauftragter unter Donald Trump, vor einigen Monaten.
Auch der Nahost-Experte Thomas Pierret von der französischen Denkfabrik CNRS erwartet, dass sich das Tempo der Genfer Verhandlungen beschleunigen wird – aber nicht wegen der USA, sondern wegen Russland, dem wichtigsten Partner Assads. Der syrische Präsident will sich für weitere sieben Jahre im Amt bestätigen lassen. Eine reguläre und freie Wahl ist in Syrien zwar unmöglich, aber darum geht es Assad und Russland auch nicht.
Ein neues Mandat für Assad sei für Russland sehr wichtig, sagte Pierret unserer Zeitung. „Russland sieht eine internationale Anerkennung dieser Wahl als Chance, Assads Herrschaft und seinen Sieg über die Opposition zu legitimieren. Das bedeutet, dass Russland möglicherweise mehr Druck auf Assad ausüben wird, damit er einigen kosmetischen Reformen zustimmt.“Gleichzeitig wird Russland versuchen, Druck auf die internationalen Gesprächspartner zu machen, um Fortschritte auf diplomatischem Gebiet zu erzielen.“
Assads Verbleib an der Macht könnte damit der Preis sein, mit dem Fortschritte in Genf erkauft werden müssen. Die USA und die EU haben bereits angedeutet, dass sie nicht mehr auf einen Machtwechsel in Damaskus bestehen. Doch dieses Zugeständnis bedeutet nicht automatisch, dass Syrien auf ein Ende des Krieges zusteuert: In mehreren Gegenden des Landes bereitet Assads Armee laut Medienberichten neue Offensiven vor.