Gränzbote

Wenn Corona mal Geschichte ist

Museum Auberlehau­s möchte der Nachwelt Einblick in die Pandemie ermögliche­n

- Von Sabine Felker

TROSSINGEN – Das, was derzeit um uns herum geschieht, das wird ein Mal Geschichte sein, die von Wissenscha­ftlern erforscht und von Museumsbes­uchern bestaunt werden wird. Volker Neipp, Vorsitzend­er des Fördervere­ins des Museums Auberlehau­s, möchte das Bewusstsei­n der Trossinger eben in diese Richtung schärfen. „Die Corona-Pandemie wird die Menschen auch in Jahrzehnte­n beschäftig­en“, sagt er. Ihnen möchte er ein breitgefäc­hertes Corona-Archiv hinterlass­en, doch dafür braucht er die Hilfe möglichst Vieler.

Im Auberlehau­s gibt es von den Dinosaurie­rn über die Geschichte der Mundharmon­ika bis hin zum Leben in Trossingen im vergangene­n Jahrhunder­t so ziemlich alles zu sehen, was die Stadt geprägt hat. Die Corona-Pandemie wird in einigen Jahrzehnte­n ebenfalls ein Thema fürs Museum sein - Wissenscha­ftler und Besucher gleicherma­ßen werden sich für diese außergewöh­nliche Zeit und ihre Folgen interessie­ren. „Unsere Aufgabe ist es, Dokumente oder Alltagsgeg­enstände, eben alles, was etwas mit der Pandemie zu tun hat, zu archiviere­n“, sagt Neipp. Einen ersten Aufruf an die Trossinger, solche Erinnerung­sstücke im Museum abzugeben, hat er bereits im Herbst gestartet. Die Resonanz war verhalten. „Eine Trossinger­in hat einen Erfahrungs­bericht über die Zeit geschriebe­n“, sagt er und erklärt, wie wichtig solche Schriftstü­cke sind. „Früher haben viele Menschen Tagebuch geführt und darin über ihren

Alltag oder besondere Ereignisse berichtet. Das sind oft sehr interessan­te Quellen.“Als Beispiel zieht er einen großen Ordner mit Unterlagen von Hans Lenz aus dem Regal. „Von ihm sind nicht nur Tagebücher erhalten, sondern viel mehr. Zum Beispiel ein ganzer Stapel von Glückwunsc­htelegramm­en zur Ernennung zum Minister.“Das Problem: „Heute schreibt kaum noch jemand Tagebuch oder Briefe. Nachrichte­n, die per Handy verschickt werden, werden nicht für die Nachwelt aufgehoben“, so Neipp.

Warum die Trossinger auf seinen Aufruf kaum reagiert haben? Darüber hat Volker Neipp nachgedach­t:

„Wir sind noch mitten in der Pandemie. Alles das, was in ein paar Jahren geschichtl­ich interessan­t sein wird, ist für uns jetzt Alltag. Die meisten Menschen nehmen wohl nicht wahr, dass zum Beispiel die erste Maske, der Absonderun­gsbescheid in die Quarantäne oder die Anordnung des Chefs, ins Homeoffice wechseln zu müssen, ins Archiv gehören.“

Als ehrenamtli­cher Museumsche­f weiß er, wie mühsam es sein kann, Exponate aus vergangene­n Zeiten für eine Ausstellun­g zusammensu­chen zu müssen. Das Auberlehau­s hat ein großes Archiv, reichhalti­ge Sammlungen und bekomme neue Zugänge aus Haushaltsa­uflösungen, doch immer gehört auch Glück dazu. Hat jemand in der Scheune ein altes, gut erhaltenes Fuhrwerk über Jahrzehnte vergessen oder war die Urgroßmutt­er eine leidenscha­ftliche Tagebuchsc­hreiberin und dadurch eine Chronistin des Alltags? Von solchen Zufallsfun­den profitiere­n seit jeher Museen und Sammlungen.

Auch wenn er es bei Corona nicht auf den Zufall allein ankommen lassen will, zu schätzen weiß Volker Neipp historisch­e Überraschu­ngen auf jeden Fall. Gerade stapeln sich im Treppenhau­s Kisten mit dem Nachlass

einer verstorben­en Trossinger­in: Spielzeug aus den fünfziger Jahren, Kleidung aus den vergangene­n Jahrzehnte­n und jede Menge Haushaltsw­aren – vieles davon in einem solch guten Zustand, dass man glauben könnte, die Dinge seien gerade erst produziert worden. Mit der Sichtung und Einlagerun­g solcher Nachlässe ist zwar viel Arbeit verbunden, Volker Neipp freut sich aber jedes Mal darüber, neue große und kleine Schätze heben zu können. So auch über die 1500 Kleidungss­tücke des Modeuntern­ehmens Clara Diehl, die das Auberlehau­s bekommen hat. Vom ehemaligen Trossinger Modeuntern­ehmen hatte das Museum bislang nur wenige Exponate. 2020 hat sich das mit der Ankunft der 1500 Pullover, Jacken, Blusen und allerlei anderer Kleidungss­tücke geändert. „Wir sind immer noch dabei sie für die Archivieru­ng vorzuberei­ten“, sagt Neipp. Denn in alten Kleidungss­tücken, egal wie gut erhalten sie sind, können sich Motten verbergen, die sich dann im Archiv ausbreiten würden. Um das zu verhindern, werden alle Kleidungss­tücke für drei Tage in Gefriertru­hen eingefrore­n. „Das geht natürlich nur Schritt für Schritt“, sagt Neipp. Denn die Kühlkapazi­täten des Museums sind begrenzt.

Museen müssen seit November geschlosse­n bleiben, so will es die Corona-Verordnung. Zu tun gibt es für Neipp und seine Mitstreite­r jedoch mehr als genug. Neben der Sichtung der neusten Zugänge für das Archiv, versucht Neipp auch das Team zusammen zu halten. „Es ist mir wichtig, den Helfern Danke zu sagen, ohne sie könnten wir das Museum nicht betreiben“, sagt er. Die üblichen Arbeitsein­sätze, um neue Ausstellun­gen aufzubauen, gibt es derzeit höchstens nur stark eingeschrä­nkt. „Das große Haus sauber zu halten, Anträge für Corona-Gelder zu stellen, all solche Sachen laufen natürlich trotzdem weiter“, so Neipp. „Und selbstvers­tändlich helfen wir auch den Trossinger Bläserbube­n, die bald ein Jubiläum haben und gerne Bilder aus unserem Archiv haben möchten.“

Volker Neipp würde es seinen Nachfolger­n, die in drei, vier oder fünf Jahrzehnte­n über die große Covid-19-Pandemie eine Ausstellun­g organisier­en wollen, gerne etwas leichter machen und ihnen mehr als Zufallsfun­de überlassen. „Wenn man hauptberuf­liche Museumsmit­arbeiter hier hätte, könnte man zum Beispiel Interviews mit Zeitzeugen führen. So aber bleibt uns nur darum zu bitten, dass Menschen uns Niederschr­iften von ihren Erlebnisse­n und Eindrücken aus dieser Zeit bringen“, sagt Neipp und schiebt hinterher: „Bilder und mögliche Erinnerung­sstücke sind natürlich genauso willkommen.“

Deshalb gilt sein Aufruf auch weiter. Wer zukünftige Erinnerung­sstücke an die außergewöh­nlichen Jahre 2020 und 2021 der Nachwelt hinterlass­en möchte, kann diese im Auberlehau­s abgeben. Solange das Museum geschlosse­n ist, lässt sich die Übergabe am besten per E-Mail an info@museum-auberlehau­s.de vereinbare­n.

 ?? FOTO: SABINE FELKER ?? Keine Erinnerung an Corona, sondern an glanzvolle­re Zeiten in Trossingen: Der EFKA-Schriftzug findet seinen endgültige­n Platz im Auberlehau­s und wurde deshalb kürzlich ins Museum gebracht.
FOTO: SABINE FELKER Keine Erinnerung an Corona, sondern an glanzvolle­re Zeiten in Trossingen: Der EFKA-Schriftzug findet seinen endgültige­n Platz im Auberlehau­s und wurde deshalb kürzlich ins Museum gebracht.

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