Das Geheimnis der Schattenwölfe
Analysen des Erbguts zeigen, dass die ausgestorbenen Riesenwölfe echte Amerikaner waren – In Fantasy-Werken wie „Game of Thrones“leben sie wieder auf
Wenn riesige Wölfe durch eine kalte Winterlandschaft aus Schnee und Eis streifen, denken Fans natürlich sofort an die US-Fernsehserie „Game of Thrones“, die sich zumindest in den ersten Staffeln an die Romanreihe „Das Lied von Eis und Feuer“von George R. R. Martin anlehnt. Nur wenige Zuschauer und Leser dieser stark an das europäische Mittelalter erinnernden Bücher und Filme aber wissen, dass es diese gigantischen Schattenwölfe nicht nur in der Fantasy-Welt auf dem Wappen und als tierische Begleiter der Adelsfamilie Stark gab, sondern auch in der Realität: Neben den auch in Mitteleuropa lebenden Wölfen Canis lupus jagte bis vor mindestens 13 000 Jahren in Amerika auch der etwas größere Canis dirus.
Nur war dieser ausgestorbene Schattenwolf trotz seines ähnlichen Aussehens kein ganz enger Verwandter der heute noch lebenden Wölfe. Vielmehr gingen beide Arten ähnlich wie Menschen und Schimpansen bereits seit 5,7 Millionen Jahren getrennte Wege. Das schließt in der Zeitschrift „Nature“aus Erbgutanalysen ein weltweit forschendes Team um Angela Perri von der Durham University in England und Laurent Frantz, der im Herbst 2020 von der Queen Mary University of London an die Münchener Julius-Maximilians-Universität wechselte.
Trotz dieser langen, getrennten Entwicklung ähneln sich beide Arten verblüffend. Nur war der ausgestorbene Schattenwolf mit einem Gewicht um die 68 Kilogramm nicht nur schwerer als die heute rund 40 Kilogramm wiegenden Wölfe, sondern hatte mit seinem größeren Kopf und den sehr kräftigen Zähnen auch einen erheblich stärkeren Biss, mit dem er wohl auch die damals am Ende der Eiszeit noch lebenden großen Pflanzenfresser gut erbeuten konnte. Allein in den Rancho La Brea Teergruben mitten in der Metropole Los Angeles fanden Forscher die Überreste von nicht einmal 40 Wölfen, aber weit mehr als 4000 Schattenwölfen.
Da Canis dirus auch an anderen Fundstellen deutlich häufiger war, gelten Schattenwölfe als eines der häufigsten und wohl auch gefährlichsten großen Raubtiere Amerikas am Ende der Eiszeit. Damit aber waren sie auch für den US-amerikanischen Fantasy-Schriftsteller George R. R. Martin eine ideale Besetzung für die Wappentiere und echten Begleiter der inmitten vieler Intrigen auffallend ehrlichen Adelsfamilie Stark, die als „Wächter des Nordens“einen Westeros genannten Kontinent vor den Schrecken des angrenzenden Gebiets des ewigen Winters schützt.
Da sich Schattenwölfe und Wölfe zwar sehr ähneln, aber auch gut voneinander unterscheiden lassen, hielten Paläontologen sie bisher für eigene Arten, die sehr eng miteinander verwandt waren. Nur hatte bisher niemand das Erbgut beider Arten untersucht und analysiert, wie nahe sie
sich tatsächlich standen. Das Team um Angela Perri und Laurent Frantz hat nun aus fünf Überresten von Schattenwölfen, die vor 12 900 bis vor mehr als 50 000 Jahren in den heutigen US-Bundesstaaten Idaho, Ohio, Tennessee und Wyoming lebten, sowohl das vollständige Erbgut der Mitochondrien in den Zellen wie auch Teile des viel größeren Erbguts in den Zellkernen analysiert und mit anderen in Amerika lebenden verwandten Arten wie Wölfen, Graufüchsen und Andenschakalen, sowie mit den in Afrika lebenden Afrikanischen und Äthiopischen Wölfen und den afrikanischen Schakalen verglichen. Die daraus abgeleiteten Beziehungen aber stellen viele bisherige Annahmen auf den Kopf.
So haben sich die Schattenwölfe anscheinend in Amerika völlig unabhängig von den anderen Hunde-Verwandten wie Wölfen, afrikanischen Schakalen und Kojoten entwickelt, die in der alten Welt heimisch waren. Seit 5,7 Millionen Jahren ging Canis
dirus getrennte Wege von den heute lebenden Wölfen, vor 5,1 Millionen Jahren hatte sich seine Entwicklung auch von der Linie abgespalten, zu der die heute in Afrika lebenden Schakale gehören. Tatsächlich sind die Wölfe in Amerika enger mit Äthiopischen Wölfen und Afrikanischen Wildhunden als mit Schattenwölfen verwandt.
Obendrein fand das Team im Erbgut der Schattenwölfe keinerlei Spuren einer Kreuzung mit Wölfen oder
Kojoten. Dabei paaren sich die Arten aus der Verwandtschaft der Hunde in der Natur eigentlich recht häufig miteinander. So ist in Nordamerika aus Kreuzungen zwischen Wölfen und Kojoten wohl sogar die HybridArt des Rotwolfes entstanden, die allerdings vom Aussterben bedroht ist.
Noch keine Antwort haben die Forscher um Angela Perri und Laurent Frantz auf die Frage gefunden, weshalb die Schattenwölfe nach dem Ende der Eiszeit aus der realen Welt verschwanden und seither nur als Fossilien und in Fantasy-Bestsellern wie „Das Lied aus Eis und Feuer“oder „Game of Thrones“wieder auftauchen.
Einige Forscher überlegen, ob dabei vielleicht Krankheiten eine Rolle
gespielt haben, die Wölfe und andere entfernte Verwandte mitbrachten, die anscheinend mehrere Male und zu verschiedenen Zeiten aus der alten Welt nach Amerika kamen. Da die Schattenwölfe sich nicht mit Wölfen und Kojoten kreuzten, konnten sie von diesen auch keine Widerstandskräfte gegen solche Infektionen übernehmen und wurden schließlich ausgerottet, so die Annahme der Forscher.
Laurent Frantz hegt einen anderen Verdacht: Offensichtlich waren Schattenwölfe besonders gut an die Jagd auf große und sehr große Säugetiere angepasst. „Wölfe sind dagegen viel flexibler und jagen noch heute Bisons, aber auch viele kleinere Arten wie Karibus und andere Hirsche“,
erklärt Laurent Frantz. Als am Ende der Eiszeit die großen Arten wie die Mammuts und Riesenfaultiere verschwanden, kamen die anpassungsfähigen Wölfe und Kojoten mit der neuen Situation ganz gut zurecht.
Die Spezialisten für Großwildjagd wie der bis zu 500 Kilogramm wiegende und 2,50 Meter lange Amerikanische Löwe, der mehr als 600 Kilogramm wiegende Kurznasenbär, der mit einer Schulterhöhe von 1,80 Metern auf vier Beinen einen Menschen überragte, und eben der mächtige Schattenwolf aber zogen den Kürzeren und starben schließlich aus. Zumindest bis sie dann in „Game of Thrones“und im „Lied aus Eis und Feuer“wiedergeboren wurden.