Eine wilde Sau ist die Heldin
Dürbheimer Vogelbörse ist heuer 125 Jahre alt – Gefeiert wird halt 2022
DÜRBHEIM - Traurig ist die Dürbheimer Zunft, respektive sind die jahrzehntelangen Versteigerer, dass ausgerechnet 2021 die Dürbheimer Vogelbörse ausfällt: Es wäre das 125. Jubiläumsjahr gewesen. Vieles hatte man sich ausgedacht, aber es hat nicht sollen sein. Also wird 2022 das Jubiläum nachgeholt.
Trotzdem lohnt sich der Blick in die Geschichte, die alljährlich die Zuschauer und Teilnehmer ob der abenteuerlichen Kombination an Waren, die versteigert werden, schwindelig macht: Bei der Gestimmtheit von Schöttle, Vopper, Zepf und Co. haben sich über die Jahre auch einige Geschichten angesammelt.
Die Kurioseste und vielleicht auch Gefährlichste ist ein wohl derber Spaß der Narrenkollegen aus Schörzingen (die Tochter des zweiten Zunftmeisters ist in Dürbheim verheiratet). Die stiftete im Jubiläumsjahr 1996 den Dürbheimern ein halbwildes Hängebauchschwein. „Wir haben uns gewundert, dass die Kiste zugenagelt war“, erzählt Vopper. Man fand schnell heraus, warum: Das Tier kam den Versteigerern wild um sich beißend entgegen. Zum Glück schafften sie es, das Tier wieder unter dem Deckel zu verschließen. Ein Dürbheimer, der in Balgheim einen Schweinestall hatte, ersteigerte es und alles schien gut. Von wegen. Die freiheitsliebende, energische Sau zerlegte diesen Stall, und als sie per Transporter zum Sinkinger Markt gebracht wurde, büxte sie dort aus und verschwand im Wald. Erst einige Monate später wurde sie von einem Jäger erschossen und hatte sich so wenigstens ein bisschen Zeit erkämpft.
Schafe, Ziegen, Lämmer, Hasen, Hähne und Hühner sowie deren in der Veranstaltung gelegten Eier – und früher auch schon mal ein Fasan, ein Rabe, Meerschweinchen – allerlei Getier wurde in den 125 Jahren versteigert. Eine Ziege, ein ganz unscheinbares Tier, entpuppte sich als „Sprungziege“und verschaffte sich regelmäßig Freigang aus ihrem Gehege. Einmal stand sie an der Bushaltestelle und schien in aller Ruhe auf den Bus zu warten.
Hammel fanden als Schlachttiere vor Jahrzehnten vermehrt Käufer in türkischen Zuwanderern. Als ein Tier dann aber in einem Haus gleich geschächtet wurde, wurde es den Versteigerern bei aller Rustikalität zu viel: Man wollte die Leute aber auch nicht beschämen und so steigerte einer des Teams einfach mit, bis er den Zuschlag bekam. Dass der Hammel dann ein zweites Mal unter den Hammer kam, hatte der vergebliche Interessent dann nicht mehr mitbekommen. „Wir waren schon Spitzbuben“, schmunzelt Vopper.
Alle Verkäufer hätten Erfahrung mit Tieren, hätten diese auch zuhause gehalten, und heutzutage seien sowieso alle Tiere registriert und würden artgerecht gehalten.
Aber wenn man genau hinschaut, dann geht es den von Jahr zu Jahr mehr werdenden Besuchern sowieso um die Gaudi. Selbstverständlich gehört nach dem Motto „Bei iis derf en Guller nö kraie“ein kräftiger Griff in die Zotenkiste dazu. Die Sprüche, die das Team von sich gibt, entstehen spontan. Man suche halt einige Witze im Vorfeld raus als Gedankenstütze und mache sich seinen Spaß schon beim Sammeln am Aschermittwoch tagsüber – aber eigentlich entsteht die Gaudi während des Abends. Die halbe Miete sind die Kombinationen: legendär Tanga mit Schwarzwurst, Eier mit Blumensamen, Nippes und Kruscht gehen da an den Meistbietenden. Wenn aber ein unvorsichtiger Gast – sie kommen aus dem ganzen Kreis und weit drüber hinaus – nur zum Spaß mitsteigert, läuft er Gefahr, den Zuschlag sofort zu bekommen. So wie einst Bürgermeister Häse, der so unverhofft zu einem Hahn kam.
Wie die urige Veranstaltung entstanden ist? Anton Schöttle, bei Ehingen geboren, kam durch Heirat nach Dürbheim. Er hatte an jenem Aschermittwoch 1896 kein Geld mehr im Beutel, aber Durst. Und so verscherbelte er in der Bierhalle alles, was er zuhause gerade so fand. In den kommenden Jahren soll der lustige Geselle Spatzen gefangen und gelb angemalt als Kanarienvögel verkauft haben. Es hätte tatsächlich funktioniert haben können. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass kleine Spatzen, wenn die Eier in ein Kanariennest gelegt werden, tatsächlich den Gesang erlernen.
Jedenfalls blieb die Sache in der Familie und wurde eine echte Originalität Dürbheims. Erst in der Bierhalle, dann im Waldeck und jetzt im Probenlokal des MV – immer brechend voll. Vom Vater ging die Gaudi an den Sohn Johann Nepomuk, dann an dessen Sohn Hans und später an die Söhne Max und Mathäus Schötttle über. Der schmiss Berthold, seinen Sohn, 1953 ins kalte Wasser und ließ ihn einen Kapaun versteigern. Sein Freund Anton Zepf half ihm – und all die folgenden Jahre. Heut ist auch schon die nächste Generation, Jochen Schöttle, wieder im Rennen.
Und die Kirche – Gaudi am Aschermittwoch? Es gab keinen Gegenwind gegen diese alte Tradition – immerhin hielt man Plätze für die Kirchgänger frei, und wenn der Gottesdienst länger ging, dann wurde mit der Börse eben gewartet.
Das Trost-Video zur ausgefallenen beziehungsweise verschobenen Jubiläums-Vogelbörse mit Impressionen aus den vergangenen Jahren finden Sie über die Homepage der Narrenzunft unter: www.wallenburger.de