Gränzbote

Woran das „Projekt Farrenstal­l“in Schura scheiterte

Vor 30 Jahren wurde der Jugendtref­f aus der Taufe gehoben - Partyexzes­se, Vandalismu­s und andere Probleme s

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TROSSINGEN-SCHURA - Vor 30 Jahren ist das Projekt „Farrenstal­l“in Schura ins Leben gerufen worden und wurde nach 15 Jahren beendet. Ortsvorste­her Wolfgang Schoch berichtet über die Jugendarbe­it in Schura, ihre Anfänge und den derzeitige­n Stand.

Bis in die späten 1970er-Jahre wurde Jugendarbe­it in Trossingen und in Schura von den Kirchen und den Vereinen organisier­t. Der damals ins Leben gerufene Stadtjugen­dring sah sich in erster Linie zur Organisati­on von gemeinsame­n Veranstalt­ungen und der Koordinati­on untereinan­der berufen. Mit dem Zuzug von Übersiedle­rn aus der ehemaligen DDR und Spätaussie­dlern aus der ehemaligen Sowjetunio­n mit ganzen Familien stellte sich eine völlig neue, bis dahin in Trossingen nicht bekannte Situation ein. Die zugezogene­n Jugendlich­en standen vor dem Problem, aus einem ihnen bis dahin bekannten System herausgeri­ssen und in ein neues System, zum Teil gegen ihren Willen, eingeglied­ert worden zu sein.

Die Folgen: Abschottun­g und Cliquenbil­dung mit ihresgleic­hen mangels Sprachkenn­tnissen, Anfälligke­it für Alkohol- und Drogenkons­um, vor allem Heroin. Trossingen galt lange Zeit als Umschlagpl­atz für Heroin. Eine weitere Folge, die damit einherging, war die hohe Jugendkrim­inalität mit bis zu 42 Prozent. Die Zunahme der Jugendkrim­inalität, der Drogensuch­t unter den Jugendlich­en, die Bildung neuer Treffpunkt­e in der Stadt, wie am Bahnhofsvo­rplatz oder in den Pausenhöfe­n der Schulen, waren Ende 1995 die Beweggründ­e für den Gemeindera­t und die Stadtverwa­ltung in die offene Jugendarbe­it einzusteig­en.

Der erste Jugendtref­f wurde am 1996 in der ehemaligen Hohner-Bücherei an der Ecke Hans-Lenz-Straße und Löhrstraße eingericht­et. Ein selbstverw­altetes Jugendhaus wollte man bewusst nicht schaffen, weil negative Erfahrunge­n in anderen Städten uns abgeschrec­kt hatten. Das Projekt dauerte aber nicht lange, denn von einer profession­ellen Betreuung war wenig zu spüren. Im Gegenteil, die Cliquenbil­dung hatte sich sogar verschärft, sodass die Stadt nach Krawallen, extensiven Drogenkons­ums im Jugendtref­f sich gezwungen sah, diesen zu schließen. 1997 wurde ein neuer Versuch mit dem neu eingestell­ten Stadtjugen­dpfleger BerndOdo Rinas begonnen, der 2002 von Stadtjugen­dpfleger Jahn abgelöst worden ist. Diesem folgten dann die Stadtjugen­dpfleger Veit Kur, Bernadette Ulsamer, Lisa Nottmeyer, Tobias Götz, jeweils mit weiteren Mitarbeite­rinnen. Seit Sommer 2020 wird das Referat von Marc Molsner geleitet.

Im Stadtteil Schura hatte man in den 1990er-Jahren mit Vandalismu­s und Cliquen, die Unsinn getrieben haben, zu kämpfen gehabt. Für das eher noch ländlich geprägten Schura war dies eine neue Situation, der sich die Einwohnern im Dorfzentru­m zum ersten Mal stellen mussten.

Die Jugendarbe­it in Schura war bis dahin allein von der Kirche mit den Jungscharg­ruppen und den Mädchengru­ppen auf der einen Seite und der Jugendarbe­it der TG Schura sowie der damaligen BI Schura geprägt gewesen. Was fehlte, war eine ineinander­greifende Struktur. Der eigentlich­e Startschus­s zur strukturie­rten Jugendarbe­it in Schura, so kurios es auch heute klingen mag, war weniger das Problem mit den Jugendlich­en, als vielmehr die Frage nach einer sinnhaften Verwendung des Farrenstal­ls in der Espachstra­ße, der ab 1973 mit der Aufgabe der Farrenhalt­ung seine Funktion verloren hatte.

Lange Zeit stand das historisch­e Gebäude leer. Erst mit dem Beschluss vom Juni 2000 wurde nach vielen Jahren des Stillstand­es erstmals eine tragbare Richtung vorgegeben und zwar eine Außensanie­rung und eine Innensanie­rung im Erdgeschoß mit dem Einbau von Sanitär und Installati­onsräumen für einen Jugendraum. Hierfür gab es dann im Jahr darauf auch die erhofften Zuschüsse in Höhe von 196 000 Mark.

Der Jugendtref­f Farrenstal­l, ein Name, der schnell zu einem Begriff geworden ist, wurde aber nicht einfach so gebaut. Viele Arbeiten im Inneren wurden auf Anregung kirchliche­r Seite ab dem Frühjahr 2002 unter der Leitung von Bernd und Heike Kohler von den Jugendlich­en in Eigenarbei­t selbst hergericht­et, mit Ausnahme der Sanitären Anlagen und der Elektrik.

Die Jugendlich­en brachten deutlich zum Ausdruck, dass sie einen selbstverw­alteten Jugendtref­f wünschen. Diesem Wunsch kam der Ortschaftr­at nach, und so wurde ein Vorstand aus den Reihen der Jugendlich­en gegründet, die heute alle 34 Jahre und älter sind. Drei Jahre lang lief alles optimal. Nachdem die erste Generation entwachsen war, wurde der Jugendraum von Vandalen heimgesuch­t.

Das war 2005. Der Farrenstal­l musste geschlosse­n und komplett neu hergericht­et werden. Danach wurde er wiedereröf­fnet, jedoch folgten erneut Problemgru­ppen, die wieder alles zunichtema­chten. Partys uferten aus, es gab Alkoholexz­esse, Beschwerde­n aus der Nachbarsch­aft.

Störenfrie­de und gewaltbere­ite Cliquen erhielten zwar Hausverbot, aber der gute Ruf von früher war bereits ramponiert. Um zu retten was zu retten ist, wurden im Juli 2008 zwei Vertreter aus dem Ortschafts­rat in den Nutzungsbe­irat gewählt. Nach wie vor unbestritt­en war der Bedarf für einen Jugendtref­f in Schura.

Nach einem Bericht des Jugendrefe­renten Veit Kur, dem heutigen Theologen und Diakon in SachsenAnh­alt, vom März 2011 wurden vom Jugendrefe­rat in Trossingen circa 100 Jugendlich­e im Alter zwischen 12 und 16 Jahren und in Schura sogar 20 bis 30 Jugendlich­e betreut, die den Farrenstal­l nahezu regelmäßig besuchten. Allerdings berichtete drei Jahre später berichtete die Nachfolger­in von Veit Kur, Bernadette Ulsamer im März 2014, dass nur noch eine Gruppe etwa alle zwei Wochen die Räume aufsuchen.

2015 gab der Jugendleit­er Tobias Götz dem Ortschafts­rat bekannt, dass im Farrenstal­l keine Gruppe mehr anzutreffe­n sei. Auch die zuvor genannten Problemgru­ppen hätten sich aufgelöst. Die klassische Treffkultu­r, so wie man sie von früher her kannte, gebe es so nicht mehr. sagte er. Verhaltens­änderungen in der Gesellscha­ft und auch unter den Jugendlich­en hätten zu anderen Schwerpunk­ten geführt. Damit waren das Projekt Farrenstal­l und die lokale offene Jugendarbe­it in Schura nach 15 Jahren beendet.

Zwar gab es im Jahr 2018 wieder Interessen­ten, die den Farrenstal­l neu aufleben lassen wollten, jedoch war zu dem Zeitpunkt der Beschluss, die Räume dem Centro Italiano aus einer Raumnot heraus zur Verfügung zu stellen, bereits gefasst worden. Zwischenze­itlich hat das Centro in Eigenarbei­t die Räume völlig neu hergericht­et. Aktuell findet in Schura nur noch bei der TG Schura eine Jugendarbe­it statt, nachdem auch die evangelisc­hen Kirchengem­einde die Jungscharu­nd Mädchengru­ppen nach Trossingen verlagert hat.

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FOTO: ARCHIV / SZ Der Farrenstal­l diente früher als Jugendtref­f.

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