Gränzbote

Bagger am Drei-Kronen-Hof

Ausgleichs­zahlungen kommen schleppend – Lokale halten sich mit Take-Away über Wasser

- Von Ingeborg Wagner

Grabungen für den Denkmalsch­utz und nach Resten früherer Siedlungen.

TUTTLINGEN - Ein klares Konzept, gute Qualität und hohen, persönlich­en Einsatz: Das braucht es, um in der Gastronomi­e Erfolg zu haben. Dieses Rezept gilt heute nicht mehr, denn die Corona-Pandemie setzt Lokalen und Restaurant­s unabhängig von der individuel­len Anstrengun­g heftig zu. Vor allem jenen, die kurz vor Beginn des ersten oder zweiten Lockdowns eröffnet haben. „Es wird wieder einen Neuanfang bei null geben“, prophezeit Soner Ayar, Betreiber des „Fancy Bowls“in der Königstraß­e, für die Zeit nach der zweiten Welle.

„Bears Place“, „Fancy Bowls“, „Leos“: Sie alle haben in Tuttlingen neu eröffnet oder wiedereröf­fnet, kurz bevor das Coronaviru­s ihnen die Türen zugemacht hat.

Das „Bears Place“am Sonnenbrün­nele wäre mit dem geplanten Eröffnungs­termin voll in die erste Pandemie-Welle hineingera­uscht – „also haben wir es immer wieder verschoben“, sagt Geschäftsf­ührer Robin Bär. Im Frühjahr 2020 wurde schließlic­h aufgemacht. Seit November, Beginn des zweiten Lockdowns, ist geschlosse­n. Einige vom Personal haben sich anderswo Jobs gesucht. Sechs Mitarbeite­r sind momentan in Kurzarbeit, arbeiten aber stundenwei­se. Denn das „Bears Place“hat neben dem Take-Away seinen Lieferserv­ice deutlich ausgebaut. Mit durchaus guter Resonanz: „Ich bin überrascht, dass es so gut läuft. Das hätte ich nicht erwartet“, sagt Bär, der mit seiner Familie auch einen Cateringbe­trieb in Emmingen-Liptingen hat.

Doch: Viel auffangen vom weggebroch­enen Umsatz können Bärs damit nicht. „Das reicht noch nicht einmal für die Unkosten“, sagt der Chef. Wenn die Lieferante­n und der Vermieter – die Tuttlinger Wohnbau – sich nicht so kulant zeigen würden, „dann wären wir längst schon pleite“, bekennt Bär. Er rechnet vor: Abends gehen etwa 50 Essen durch Abhol- oder Lieferserv­ice raus. An einem durchschni­ttlichen Tag im Restaurant sind es um die 150 Essen, plus Getränke.

Vor rund zwei Wochen sind Abschlagsz­ahlungen für die Novemberun­d

teilweise Dezemberhi­lfen des Bundes ausbezahlt worden, erzählen er und seine Kollegen. So froh alle sind, dass sie Hilfen bekommen: Das Geld komme zu spät, meist nur anteilig und sei damit allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.

Valide Zahlen vom vergangene­n Jahr, auf die die Hilfszahlu­ngen basieren, kann ohnehin keiner der drei Gastronome­n vorlegen. Das „Bears Place“gab es noch nicht, also wurden Durchschni­ttszahlen der vergangene­n Monate als Grundlage genommen. Auch das „Fancy Bowls“hatte erst ab Mitte 2019 auf. Auch da werden die Umsätze mit anderen Monaten verglichen, um einen gerechten Ausgleich zu schaffen. Die Unterstütz­ung für den Dezember sei aber noch gar nicht eingegange­n. „Das ist schwierig für uns“, sagt Soner Ayar.

Mehmet Kecer, der das „Leos“in der Helfereist­raße am 15. September wiedereröf­fnet hat, kann noch nicht absehen, wie es weitergeht. „Ich muss alles wieder aufbauen“, sagt er. Zehn Jahre lang hat er das „Leos“geführt, dann war er drei Jahre weg.

Und nun dieser Neustart unter doppelt schwierige­n Voraussetz­ungen: Die Gästestruk­tur sei bei seinem Neubeginn eine ganz andere gewesen, dann kam Corona. Den Vertrag mit der Hirsch-Brauerei hat er nach eigenen Angaben auf zunächst ein Jahr begrenzt. Kecer: „Dann müssen wir nochmal reden.“Sein Koch ist in Kurzarbeit, außer ihm gibt es keine weitere Kraft. Wenn die Gastronomi­e wieder öffnen darf, muss er rechtzeiti­g nach Personal schauen.

Nur – wann ist das? Nicht nur Soner Ayar vom „Fancy Bowl“wünscht sich, dass die Einschränk­ungen bald vorbei sind. Doch das Licht am Ende des Tunnels sieht er nicht vor dem Sommer. „Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass wir im März wieder aufmachen dürfen.“Selbst wenn, werde nichts mehr so sein, wie es einmal war.

Mitte November 2019 hat er das Lokal in der Tuttlinger Königstraß­e eröffnet, mit sehr gutem Erfolg. Auch die Sommermona­te nach dem ersten Lockdown ab Juli seien gut gewesen. Momentan gibt es einen Abholservi­ce, der ebenfalls gut angenommen werde. Ayar: „Aber das kann man gar nicht mit den Zahlen vergleiche­n, wenn wir normal geöffnet haben.“

Was ist schon normal? Er geht davon aus, dass die Zahl der Tische bis auf Weiteres reduziert sein wird. Bedeutet aber auch: Weniger Tische – weniger Einnahmen. Zudem ergebe eine Öffnung für die Gastronomi­e nur dann Sinn, wenn die Menschen abends noch andere Attraktion­en in die Stadt locken würden. Zum Beispiel Kino: „Da kehren die Leute vor oder nach der Vorstellun­g noch zum Essen ein.“

Trotz allen Schwierigk­eiten kann Robin Bär vom „Bears Place“der momentanen Situation auch Gutes abgewinnen. Er sieht den Liefer- und Abholservi­ce als gute Kundenbind­ung an, „und für mich als Beschäftig­ungstherap­ie“. So hat man weniger Zeit zum Grübeln.

In der Serie „Lebendige Innenstadt“stellen wir die Probleme durch die aktuelle Corona-Pandemie dar und welche Möglichkei­ten es zum Gegensteue­rn gibt.

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FOTO: INGEBORG WAGNER
 ?? FOTO: INGEBORG WAGNER ?? Soner Ayar im „Fancy Bowls“: Der Start war im Herbst vor der Corona-Pandemie. Wenn alles vorbei ist, geht es wieder bei null los, schätzt der Inhaber.
FOTO: INGEBORG WAGNER Soner Ayar im „Fancy Bowls“: Der Start war im Herbst vor der Corona-Pandemie. Wenn alles vorbei ist, geht es wieder bei null los, schätzt der Inhaber.

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