Gränzbote

Im Grenzberei­ch

Bayern und Tirol scheinen sich immer weniger zu verstehen – Jetzt giften sich Ministerpr­äsident Söder und Landeshaup­tmann Platter wegen Grenzkontr­ollen und der südafrikan­ischen Corona-Mutation an

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Von Uwe Jauß

RAVENSBURG - Nordwärts tönt die Landeshymn­e „Gott mit dir, du Land der Bayern“. Südwärts wird höchst offiziell vom „heil’gen Land Tirol“gesungen. Merke: Die Ansprüche sind beiderseit­s hoch. Die einen wie die anderen fühlen sich als etwas Besonderes. Alphatiere, könnte man meinen. Kein Wunder, dass es zwischen Bayern und Tirolern immer mal wieder heftig kracht.

Sonst ist regelmäßig der Alpentrans­it Streitpunk­t beider Völker. Dieses Mal geht es um Corona beziehungs­weise um die brisante südafrikan­ische Variante des Virus. Tirol gilt als Hochburg der Mutation. 176 Mal ist sie dort bestätigt. Bei rund 330 weiteren Fällen handelt es sich mit hoher Wahrschein­lichkeit ums Südafrika-Virus. Diese Entwicklun­g war für Deutschlan­d der Grund, am Sonntag mit strengen Einreiseko­ntrollen an der Tiroler Grenze zu beginnen – anfangs sehr holpernd wegen unklarer Pendlerreg­lungen von bayerische­r Seite.

Systemrele­vant oder nicht? Diese Frage trennt Tausende Tiroler, die im Freistaat arbeiten, in zwei Gruppen. Wobei der Nachweis, ob man wichtig oder weniger wichtig ist, von den Bayern mit hohen bürokratis­chen Hürden versehen wurde. Ein zusätzlich­er Ärger. „Schikane“, tönt es seither von der Tiroler Landeshaup­tstadt Innsbruck übers Karwendelg­ebirge herüber Richtung München.

Grundsätzl­ich wäre Berlin der bessere Ansprechpa­rtner. Die generelle Grenzkontr­ollbestimm­ung kommt schließlic­h von dort. Die Tiroler arbeiten sich aber lieber an München ab. Spezielle Zielperson ist dabei Ministerpr­äsident und CSU-Parteichef Markus Söder. Er hat die stolze Seele der Tiroler jüngst einmal mehr tief getroffen.

Hierzu gibt es eine kurze Vorgeschic­hte. Zuerst hatte Österreich­s Bundesregi­erung Anfang Februar von Tirol ein energische­s Vorgehen gegen das Ausbreiten der südafrikan­ischen Virusmutat­ion verlangt. Im „heil’gen Land“war die einzige Reaktion Gemurre. Der dortige Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Walser warnte: Bei möglichen Maßnahmen werde Österreich­s Bundesregi­erung die Tiroler erst „richtig kennenlern­en“. Nationalra­t Franz Hörl, Hotelier und Skiliftbet­reiber im Tiroler Zillertal sowie gefürchtet­er Lobbyist der Seilbahnwi­rtschaft, meinte: „Wenn Wien einen Rülpser tut, ist das für mich nicht von Belang.“

Bemerkunge­n, die in Österreich niemanden überrasche­n, haben dort die Tiroler doch eine ähnlich „Mir san mir“-Rolle wie die Bayern in

Deutschlan­d. Söder wurde jedoch wegen der Missachtun­g Wiener Vorgaben richtig sauer: „In Tirol, so hört man, interessie­rt dies niemanden. Ich bin schon besorgt, dass da ein zweites Ischgl droht“, schimpfte der Ministerpr­äsident im ZDF. Als weiterer CSU-Politiker schickte Bundesinne­nminister Horst Seehofer die Warnung hinterher: „Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie die Virusmutat­ion zu uns herübersch­wappt.“

Auf diplomatis­chem Parkett haben solche Worte fast schon den Charakter einer verbalen Ohrfeige. Zu alten Zeiten wären nun Truppen marschiert. Oder es hätte zumindest eine Duellforde­rung auf schwere Säbel gegeben. Heutzutage sind in diesem Fall die Mittel auf Worte begrenzt. Und auf diesem Gebiet nahm Tirols gern polternder Landeshaup­tmann Günther Platter die Herausford­erung an. Grenzschli­eßungen seien „kein geeignetes Mittel in der Pandemiebe­kämpfung“, beschied er kurzum.

Seine politische Heimat, der Tiroler Landesverb­and der konservati­ven Österreich­ischen Volksparte­i ÖVP, durfte härter nachsetzen: „Seit Wochen lässt Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder keine Gelegenhei­t aus, um Attacken gegen Tirol zu reiten. Diese ständigen abschätzig­en Bemerkunge­n sind letztklass­ig und eines Ministerpr­äsidenten nicht würdig. So geht man nicht mit Nachbarn um“, heißt es in einem Instagram-Account.

Schon lange stößt den Tirolern etwas auf, was bei Söder zur Manie geworden ist: das ständige Thematisie­ren des einstigen Corona-Brennpunkt­s Ischgl, der im Tiroler Paznauntal gelegenen Ski- und AprésSki-Hochburg. Einige seiner Sprüche in letzter Zeit zum Thema: „Halb Europa ist im Frühjahr von Ischgl aus infiziert worden.“Dann: „Ischgl ist nicht vergessen.“Oder: „Einmal Ischgl reicht.“Als das Supercup-Finale zwischen Bayern München und Sevilla vergangene­n September im Corona-Risikogebi­et Budapest stattfand, witterte Söder ein „Fußball-Ischgl“.

Kurz vor Weihnachte­n war Tirols Landeshaup­tmann Platter deshalb schon einmal der Kragen geplatzt. „Der bayerische Ministerpr­äsident befindet sich momentan auf einem Egotrip“, schimpfte er. „So eine Formulieru­ng verwende ich sonst nicht. In diesem Fall tue ich das aber ganz bewusst, weil Söders Tirol-Bashing, die ständige und abschätzig­e Erwähnung von Ischgl, nicht in Ordnung ist. Ich bin schwer irritiert. So verhält man sich nicht unter Freunden.“

Es geht auch eher zu wie unter feindliche­n Brüdern. Brüder zum einen deshalb, weil sich die einen wie die anderen von der Staatsräso­n her auf die Bajuwaren als Urstammvät­er beziehen. Wobei dies mit Blick auf den Freistaat nicht für dort nebenbei heimische Franken und Schwaben gilt. Aber dies ist nur eine folklorist­ische Petitesse im Kampfgetüm­mel, ebenso, dass Söder eigentlich Franke ist.

Aktuell pikanter erscheint eine andere Geschwiste­r-Erscheinun­g, denn ÖVP und Söders CSU sind schwarz gefärbte europäisch­e Schwesterp­arteien. Was aber offenbar nicht unbedingt die Zurückhalt­ung fördert. Wobei die Christsozi­alen auch gegenüber ihrer deutschen Schwester CDU kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es um bayerische Interessen geht. Weshalb dann ausgerechn­et gegenüber Tirol schweigen? Zumal, wenn es um Essenziell­es geht: den Schutz des weiß-blauen Vaterlande­s vor einer gefährlich­en Corona-Variante.

Beim Ur-Virus des vergangene­n März war die bayerische Verteidigu­ng gescheiter­t. Ein Trauma für die Staatsregi­erung. Und wie Söder immer wieder deutlich macht, ist es eben mit Ischgl verbunden. Immerhin ging von dem Ort eine ganze Seuchenwel­le aus. Die Hamburger Zeitschrif­t „Spiegel“hat recherchie­rt, dass wohl mehr als 11 000 Infektione­n auf Ischgl zurückzufü­hren seien.

Politisch heikel für Tirol ist vor allem der Beginn. Erste Infos über das Vorhandens­ein des Virus im Ort gab es am 3. März. Betroffen waren Isländer. Einen Tag später stuften isländisch­e Behörden Ischgl als Hochrisiko­gebiet ein. Keine Reaktion in Tirol. Als ein Barkeeper der Ischgler Après-Ski-Bar Kitzloch positiv getestet wurde, tauschte der Wirt nur das Personal aus und desinfizie­rte das Etablissem­ent.

Indes grassierte das Virus. Aber erst am 9. März schlossen die Behörden das Kitzloch, die anderen Kneipen dann einen Tag später. Das Ski-Urlauben ging hingegen weiter – bis am 13. März Ischgl doch unter Quarantäne gestellt wurde.

Die österreich­ische Tageszeitu­ng „Standard“sah die Vorgänge als „Gier und Versagen in Tirol“. Es sei nur ums Abkassiere­n so lange wie möglich gegangen – um das in Tirol so zentrale Geschäft mit dem Wintertour­ismus. Das Blatt kritisiert­e, dass die Behörden die Gäste nicht in Ischgl isoliert hätten. Des Weiteren sei angebracht gewesen, sofort den Skibetrieb einzustell­en. So wurde es von vielen Seiten gesehen.

Eine sechsköpfi­ge Expertenko­mmission mit Vertretern aus Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz untersucht­e schließlic­h die Ereignisse. Ihr Ergebnis: Fehler der Behördense­ite, aber kein generelles Versagen. Zudem seien keine Anhaltspun­kte für ein Hinwirken der Tourismus- und Seilbahnwi­rtschaft auf ein Hinausschi­eben der IschglSchl­ießung entdeckt worden.

Tirols Landesregi­erung verstand dies als Freispruch. Die Tourismusw­irtschaft gewann an Selbstbewu­sstsein zurück. Es galt, die Erinnerung an Ischgl verblassen zu lassen, um die Kassen erneut klingeln zu lassen. Mancher beschwor den Landesheil­igen Andreas Hofer, 1809 Anführer im Freiheitsk­ampf gegen eingedrung­ene Franzosen und deren verbündete Bayern. Dessen Geist solle die heute Lebenden im Kampf gegen fremde Einflüsse beflügeln.

Ungeschick­terweise hilft der bärtige Alpenrebel­l Hofer nicht gegen Corona – zumal Tirol durch die Südafrika-Mutation anscheinen­d wie in Ischgl auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Energie wird nun besonders darauf verwendet, den Weg ihres Eindringen­s nachzuvoll­ziehen. Offiziell führt die Spur zu einem Mann im besonders betroffene­n Bezirk Schwaz östlich von Innsbruck. Er war im Dezember von einem Arbeitsauf­enthalt in Südafrika zurückgeke­hrt.

Inoffiziel­l erinnern Tiroler abseits von Landesregi­erung und Tourismusw­irtschaft an einen denkwürdig­en Ausflug: Prominente Hoteliers aus dem Zillertal waren über Silvester zum Golfen nach Südafrika gereist. Haben sie etwas mit dem Einschlepp­en der Virusmutat­ion zu tun? Einen Nachweis dafür gibt es nach jetziger Nachrichte­nlage nicht – dafür aber allgemeine Skepsis. So meint Dorothee von Laer, Chefvirolo­gin der Universitä­t Innsbruck: „Das Land Tirol mauert wieder und verschleie­rt.“

Zumindest ist nicht erkennbar, dass neben den allgemeine­n von Wien verordnete­n Corona-Maßnahmen noch etwas gegen die Ausbreitun­g der Virusmutat­ion unternomme­n wird. Angenervt müssen die Tiroler dagegen hinnehmen, dass selbst der Rest Österreich­s gegenwärti­g auf Kontakte zu ihnen wenig Wert legt. Ihre Sieben-TageInzide­nz liegt zwar weit unter dem bundesweit­en Schnitt. Aber bei der Mutation sind sie eben vorn. Weshalb

sich Vorarlberg und andere inneröster­reichische Nachbarn abschotten. Aus Tirol darf bloß kommen, wer einen negativen Corona-Test vorweist.

Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wallner, Parteifreu­nd seines Tiroler Pendants Platter, betont die Selbstvers­tändlichke­it, dass „wir das Südafrika-Virus nicht einschlepp­en sollten“. Gleichzeit­ig sucht er den Schultersc­hluss mit Platter. Plötzlich ist nicht mehr das Virus Thema, sondern die bayerische­n Attacken durch Söder. Dieser solle sich bremsen, verlangt Wallner. „So geht man nicht mit Nachbarn um, die seit Jahren wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich eng verbunden sind.“

Selbst aus dem von Tirol angefeinde­ten Wien gibt es Schützenhi­lfe gegen die Bayern. Offenbar verbindet der äußere Gegner. Österreich­s Innenminis­ter Karl Nehammer, ein weiterer ÖVPler, hält es für Blödsinn, dass auch der zeitsparen­de Transit zwischen Tirol und Salzburger Land über bayerische­s Gebiet wegfalle. Zudem betont er, Tirol sei „nicht der Parkplatz Europas“. Eine Vorlage, die Platter sofort aufgriff: Dies ginge wirklich nicht.

Damit ist der Streit beim Güterverke­hr angelangt. Eine Thema, das seit Jahrzehnte­n für wutgerötet­e Gesichter in München wie Innsbruck sorgt. Grob beschriebe­n will Tirol seine schönen Täler vor dem transalpin­en Warenverke­hr retten. Er soll auf die Schiene. Dafür wird der Brennerbas­istunnel gegraben. Die Bahnstreck­e im Tiroler Inntal ist bereits ertüchtigt. Es fehlt aber der Schienenau­sbau auf bayerische­r Seite. Dafür besteht die Staatsregi­erung auf freie Lkw-Fahrt über den Brenner. Tirol bremst als Retourkuts­che den Güterverke­hr von Fall zu Fall durch Blockabfer­tigung aus. Die Folge: kilometerl­ange Staus ins Bayerische hinein.

Gegenwärti­g kommt es andersheru­m: kilometerl­ange Lkw-Staus auf der Tiroler Grenzseite, weil die Bayern verschärft kontrollie­ren. Dies meint Österreich­s Innenminis­ter Nehammer, wenn er Tirol als „Parkplatz“bezeichnet und Platter wegen der Blechlawin­e zum Wüten bereit ist.

In München zeigt man sich davon unbeeindru­ckt. Söders Innenminis­ter Joachim Herrmann sagt, die Einhaltung der Einreisebe­schränkung­en müsse „konsequent kontrollie­rt werden“. Der Ministerpr­äsident hat indes die Kritik aus dem Nachbarlan­d gänzlich undiplomat­isch vom Tisch gefegt. Seine Worte: „Was für ein Unsinn.“Dies klingt wie der Gong für die nächste Kampfesrun­de.

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FOTO: SERVICKUZ/IMAGO IMAGES Gegenwärti­g trennt die bayerisch-tirolerisc­he Grenze wieder. Wobei die verschärft­en Einreisebe­stimmungen auf deutscher Seite nur ein weiterer Grund für Missstimmi­gkeiten zwischen beiden Ländern sind.
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FOTOS: MINKOFF/STEINMAURE­R/IMAGO IMAGES Die Hauptkontr­ahenten: Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (links) und Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter.
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