Grüne versuchen den Angriff
Baerbock kritisiert Uneinigkeit in der Bundesregierung
BERLIN - Digital statt Dialog, Berlin statt Biberach – auch die Grünen mussten vier Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf einen großen Aufschlag zum politischen Aschermittwoch verzichten. Stattdessen empfingen die beiden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck im Studiowohnzimmer ihre virtuellen Gäste – den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und die rheinland-pfälzische Familienministerin Anne Spiegel. In den vergangenen Wochen war der Partei ein „Kuschelkurs“mit der Großen Koalition in der Corona-Pandemie vorgeworfen worden. Davon versuchten sich die Parteichefs mit Angriffen auf die Bundesregierung ein Stück weit abzusetzen.
Der Zusammenhalt fehlte am stärksten dort, „wo am eindringlichsten danach gerufen wurde: in der Politik“, sagte Baerbock. „In der Bundesregierung kämpft jeder für sich allein.“Die Grünen-Chefin kritisierte die mangelnde Abstimmung zwischen dem Wirtschafts- und Finanzressort und forderte die Verantwortlichen zu mehr vorausschauendem Handeln auf, um Fehler wie im vergangenen Jahr zu vermeiden. „Handeln nach dem Motto irgendwie, irgendwo, irgendwann, ist die falsche Platte“– das müsse sie selbst als Nena-Fan einräumen. Gefragt seien „vor allen Dingen gute Ratschläge und kreative Ideen“.
Ihr Co-Vorsitzender Habeck machte sich über die Rolle der Ministerpräsidenten in der Pandemie lustig. Bei den Corona-Runden von Bund und Ländern spiele sich ein „eitles Schaulaufen zwischen München
und Düsseldorf“ab, sagte er mit Blick auf die potenziellen Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU). Wer bei den Grünen als Spitzenkandidat in die nächste Bundestagswahl im September geht – Baerbock oder Habeck – steht noch nicht fest. Die Partei will sich mit dieser Entscheidung bis spätestens Mitte Mai Zeit lassen.
Dass er die am politischen Aschermittwoch üblichen „derben Sprüche und heftigen Attacken“auf den politischen Gegner nicht wirklich vermisst, machte Kretschmann deutlich, der via Video nach Berlin zugeschaltet war. „Diese Disziplin gehörte noch nie zu meinen liebsten“, sagte er. Gerade in der Corona-Krise sei es Aufgabe der Politik, „Orientierung zu geben und Führung zu übernehmen“. Gute politische Führung im 21. Jahrhundert bedeute aber nicht, „breitbeinig aufzutreten, Machtworte zu sprechen oder durchzuregieren“, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident. „Die Zeit der Basta-Politik ist glücklicherweise vorbei.“Kretschmann tritt am 14. März erneut als Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl im Südwesten an.