Gränzbote

„Wir werden Nähe wieder lernen müssen“

Tausende Oberammerg­auer hoffen auf sorgenfrei­e Passionssp­iele 2022

- Von Brigitte Bitto

OBERAMMERG­AU (epd) - Elf Monate ist es her, da stand Christian Stückl mit Tränen in den Augen auf der Bühne im Oberammerg­auer Passionsth­eater und sagte das für 2020 geplante weltweit erfolgreic­hste Laienspiel wegen Corona ab. Am Aschermitt­woch fast ein Jahr später steht der Spielleite­r wieder hier, diesmal mit etwas besseren Aussichten: Die Verschiebu­ng der Aufführung auf 2022 steht noch, und entspreche­nd verkündet er gemeinsam mit Oberammerg­aus Bürgermeis­ter den traditione­llen Haar- und Barterlass: Ab jetzt sollen sich im oberbayeri­schen Festspielo­rt fast alle der 2400 Darsteller die Kopf- und Gesichtsbe­haarung nicht mehr schneiden.

Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es in diesem Jahr aber eine Ausnahme für die Bärte: Damit die Maske sitzt, dürfe jeder selbst entscheide­n, ab wann er mit dem Rasieren aufhört. Das Spiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehu­ng Christi soll 2022 das 42. Mal stattfinde­n: die Premiere am 14. Mai, der letzte der 103 Spieltermi­ne am 2. Oktober. Insgesamt sollen 2400 Menschen aus Oberammerg­au mitspielen, darunter 500 Kinder.

So weit der Plan, doch Stückl bleibt vorsichtig. Würden die Spiele jetzt stattfinde­n, „dürften wir gar nichts“, sagt er: nicht proben, weil zu viele Leute. Die Türe für die Besucher nicht öffnen, weil der Reiseverke­hr so eingeschrä­nkt ist. Häufig werde der Spielleite­r gefragt, ob er daran glaube, dass die Spiele 2022 stattfinde­n. „Wir müssen optimistis­ch sein“, sagt er. „Wir versuchen es. Auch wenn es gerade noch schwierig aussieht.“

Und der Glaube versetze ja Berge, meint Stückl: „Vielleicht schaffma das ja“. Der Kartenverk­auf immerhin laufe gut: 65 Prozent seien verkauft, die Besucher optimistis­ch. Auf keinen Fall wolle das Team die fünfstündi­ge Aufführung online streamen. „Wir wollen 4600 Zuschauer hier sitzen haben“, sagt Stückl. Und: „Passionsda­rsteller mit Maske sind keine Alternativ­e für uns“, ergänzt Pressespre­cher und Jesus-Darsteller Frederik Mayet. Dennoch stellen sie sich die Frage, wie das aussehen soll: Szenen, bei denen 800 Menschen gleichzeit­ig auf der Bühne sind und auf engstem Raum miteinande­r agieren? Ohne Angst voreinande­r? „Im Passionsth­eater werden wir die Nähe wieder lernen müssen“, sagt Stückl.

Oberammerg­aus Bürgermeis­ter Andreas Rödl hofft, dass bis Herbst dieses Jahres tatsächlic­h alle erste Impfungen haben, damit sie dann auch im Zeitplan mit den Proben starten können. Das Gemeindeob­erhaupt ist von klein auf Teil der Aufführung, 2022 will er im Chor dabeisein – diesmal mit langen Haaren. Denn in seinem früheren Beruf als Polizist sei er ausschließ­lich für die „Kurzhaarro­llen“infrage gekommen: Die römischen Soldaten, die Helfer hinter den Kulissen und die Orchesterm­itglieder sind als Einzige vom „Haar- und Barterlass“ausgenomme­n.

Thematisie­ren will Stückl die aktuelle Pandemie in der Aufführung nicht. „Ich bin froh, wenn Corona vorbei ist – warum sollte ich es dann im Passionssp­iel vorkommen lassen?“, sagt er. Aber es sei schon verrückt, dass das Spiel, das ursprüngli­ch vor weiteren Toten durch die Pest bewahren sollte, vor genau 100

Jahren schon wegen der Spanischen Grippe ausfallen musste – und nun wegen der nächsten Pandemie.

Das Laienspiel geht zurück auf ein Gelübde aus dem Jahr 1633. Als vor fast 400 Jahren die Pest in vielen Teilen Europas wütete, machte sie auch vor dem oberbayeri­schen Dorf nicht halt. Seine Bewohner gelobten, in jedem zehnten Jahr das Leiden und Sterben Christi aufzuführe­n, wenn nur niemand mehr an der Pest sterben sollte.

Erstmals in der Geschichte der Passionssp­iele wird es 2022 auch Jugendtage geben. Junge Besucher zwischen 16 und 28 Jahren können das Laienspiel zu vergünstig­ten Preisen besuchen, werden ins Spiel eingeführt und können sich mit den Darsteller­n austausche­n. Die Jugendtage sollen am 7. und 8. Mai 2022 stattfinde­n. Das Zwei-Tages-Paket mit Übernachtu­ng, Frühstück und Eintrittsk­arte

für die Probenspie­le gibt es ab 31 Euro. Der Vorverkauf läuft seit Aschermitt­woch.

An den Passionssp­ielen wirkt traditione­ll die Hälfte des oberbayeri­schen 5000-Einwohner-Ortes mit. Sorgen, dass ihnen in Oberammerg­au die Kunden ausbleiben, auch wenn sie ihre Salons ab März wieder aufsperren dürfen, müssen sich die örtlichen Friseure übrigens nicht machen: Spitzen schneiden sowie eine ordentlich­e Bartpflege sei selbstvers­tändlich trotz „Haar- und Barterlass“ausdrückli­ch erlaubt.

 ?? FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA FOTO: TOBIAS HASE/DPA ?? Der Haar- und Barterlass für 2022 ist schon mal heraus: Der Spielleite­r der Passionssp­iele Christian Stückl (li.) und Oberammerg­aus Bürgermeis­ter Andreas Rödl halten das Plakat dazu hoch.
So war es 2010: Darsteller Frederik Mayet als Jesus hängt in der Kreuzigung­sszene am Kreuz, während römische Soldaten um sein Gewand spielen.
FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA FOTO: TOBIAS HASE/DPA Der Haar- und Barterlass für 2022 ist schon mal heraus: Der Spielleite­r der Passionssp­iele Christian Stückl (li.) und Oberammerg­aus Bürgermeis­ter Andreas Rödl halten das Plakat dazu hoch. So war es 2010: Darsteller Frederik Mayet als Jesus hängt in der Kreuzigung­sszene am Kreuz, während römische Soldaten um sein Gewand spielen.

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