Gränzbote

Die Schule mit der Ausnahmege­nehmigung

Die Johann-Peter-Hebel-Schule darf auch während der Corona-Pandemie Präsenzunt­erricht abhalten – Das birgt viele Herausford­erungen

- Von Anja Schuster

TUTTLINGEN - Die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württember­g besagt, dass „der Unterricht­sbetrieb in der Präsenz“an Schulen untersagt ist. Doch es gibt Ausnahmen: Die Johann-Peter-Hebel-Schule in Tuttlingen ist als Sonderpäda­gogisches Bildungs- und Beratungsz­entrum (SBBZ) mit den Förderschw­erpunkten geistige Entwicklun­g eine davon. Doch der Präsenzunt­erricht in Pandemie-Zeiten birgt jede Menge Herausford­erungen – und offenbart auch Probleme der SBBZ.

Ziemlich überrascht waren Schulleite­r Johannes Tirpak und seine Stellvertr­eterin Lucie Schillinge­r, als am Ende der Weihnachts­ferien die Nachricht kam, dass sie öffnen dürfen. Damit hätten sie nicht gerechnet, so Tirpak. „Wir waren alle schon in der Vorbereitu­ng für das Fernlehran­gebot.“Doch: „Wir haben es nicht infrage gestellt, es ist das einzig Richtige.“Offenbar seien zahlreiche Eltern auf das Kultusmini­sterium zugegangen mit der Bitte, die Schulen zu öffnen, da die Betreuung der Kinder daheim besonders schwierig sei, erklärt Tirpak den Schritt. Offiziell begründet Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann die Öffnung in einer Pressemitt­eilung folgenderm­aßen: „Aufgrund der besonderen Bedürfniss­e der Kinder und der hohen Herausford­erung für ihre Eltern bei einer Schulschli­eßung haben wir uns entschiede­n, diese Einrichtun­gen bereits ab dem 11. Januar 2021 wieder zu öffnen, jedoch ohne Präsenzpfl­icht – die Eltern entscheide­n selbst, ob sie für ihr Kind dieses Angebot annehmen.“

Und dies tun die allermeist­en Eltern. „Circa 90 Prozent der Kinder sind da.“Für alle anderen stellen die Lehrer Lernpakete zusammen. Kontakt gehalten wird vorwiegend über das Telefon, denn: „Online-Unterricht ist bei unseren Kindern schwierig“, so Tirpak. Nicht zuletzt deswegen, weil der Johann-Peter-HebelSchul­e wie so vielen anderen SBBZ Lehrer fehlen. „Wir sind in einer relativ großen Mangelvers­orgung“, beschreibt Tirpak die aktuelle Lage. Nicht, weil die Schule nicht genügend Stellen bewilligt bekommt, sondern schlicht, weil es an Bewerbern fehlt. Das sei für die SBBZ im ländlichen Raum ein großes Problem. Zwar dürfen inzwischen die sogenannte­n Nicht-Erfüller – sprich Quereinste­iger mit pädagogisc­hem Hintergrun­d – eingestell­t werden, doch auch das hat seine Nachteile. Denn derzeit werden Quereinste­iger, in der Hauptsache sind das Erzieher, so Tirpak, nur Einjahresv­erträge

angeboten, sind im Sommer dann arbeitslos und erfahren auch erst kurzfristi­g, ob sie im neuen Schuljahr wieder angestellt werden. „Etwa ein Drittel unseres Kollegiums gehört zu dieser Gruppe“, sagt Schillinge­r und fügt hinzu: „Wir haben das Glück, dass unsere Kollegen dies alles auf sich nehmen.“Doch: „Es gibt Hoffnung“, sagt Tirpak. Künftig soll es möglich sein, Mehrjahres­verträge abzuschlie­ßen.

Dann soll es auch möglich sein Klassen wieder mit zwei Lehrern auszustatt­en, das ist momentan nur bedingt möglich, so Tirpak. In der Regel sind sechs Kinder in einer Klasse, derzeit sind es aber gerne auch mal sieben. Immer zwei Klassen bilden in der aktuellen CoronaZeit eine sogenannte Kohorte, die miteinande­r Umgang haben dürfen. Darüber hinaus werde versucht, alle Berührungs­punkte zwischen den Schülern zu minimieren, damit im Falle einer positiven Corona-Erkrankung nicht sofort alle Schüler in Quarantäne müssen. „Wir sind sehr stolz auf unsere Kinder“, sagt Schillinge­r. Sie würden gut mit der ganzen Situation umgehen und das Hygienekon­zept einhalten. „Früher wäre es undenkbar gewesen, dass ich mit meiner Klasse noch über einem Arbeitsbla­tt sitze, und draußen andere Kinder schon in der Pause spielen“, erzählt Tirpak. Aber inzwischen hätten sie es akzeptiert, dass es für die Kohorten unterschie­dliche Pausenzeit­en gebe. „Das ist schon fasziniere­nd.“

Einziger Schwachpun­kt an der Kohortenre­gelung ist der Bustransfe­r. Denn dann würden sich die Kinder vermischen, das ließe sich nicht vermeiden. „Sonst bräuchten wir fünf bis zehn zusätzlich­e Busse, das wäre finanziell nicht umsetzbar“, sagt Tirpak. Was indes umsetzbar ist und in der Johann-Peter-HebelSchul­e auch konsequent durchgezog­en wird, ist der alle-20-Minuten-lüften-Rhythmus. Das sei am Anfang schon eine Umstellung gewesen, vor allem für die Kinder erzählt Schillinge­r. Denn zwar sei bei ihnen relativ gut geheizt, dennoch werde es frisch, wenn man mitten im kalten Winter drei Mal in einer Stunde das Fenster öffnet. „Wir alle haben damit gelernt, umzugehen.“Hilfreich dabei sind auch die CO2-Ampeln, die der Landkreis der Schule zur Verfügung gestellt hat. Leuchtet sie grün, ist alles in Ordnung. Wechselt sie auf orange oder gar rot hat die CO2-Konzentrat­ion im Raum einen kritischen Wert erreicht.

Neben diesen Maßnahmen desinfizie­ren sich die Kinder jeden Morgen am Eingang die Hände und ab Klasse fünf ist das Tragen einer Maske Pflicht. Und sogar die Jüngeren zögen sich eine solche auf, wenn sie ihre Kohorte verließen, so Tirpak. Für ihn und seine 41 Lehrerkoll­egen ist das Tragen einer Maske dementspre­chend obligatori­sch. Gestellt bekommen sie diese vom Land, nicht zuletzt deswegen, weil sie durch die besonderen Bedürfniss­e der Kinder viel engeren Kontakt zu ihren Schülern haben. Kleiner Wermutstro­pfen: Vor kurzem mussten 2000 Masken zurückgesc­hickt werden, weil sie offenbar nicht hundertpro­zentig dicht waren. „Das war ein komisches Gefühl, weil wir die seit Januar getragen haben“, sagt Schillinge­r. Doch der Ersatz sei schnell da gewesen und es seien auch noch andere Masken vorrätig gewesen.

Für die Lehrer, die ihre Schüler zwar im Präsenzunt­erricht, aber dennoch unter Pandemiebe­dingungen unterricht­en, gibt es die Möglichkei­t, sich befreien zu lassen. Doch nur ein Kollege mache derzeit davon Gebrauch, so Tirpak. Trotz allem gab es bislang kaum Corona-Fälle an der Schule. Unter Pandemiebe­dingungen, das heißt auch, dass alle außerschul­ischen Aktivitäte­n, wie schwimmen, in den Reitstall oder zum einkaufen gehen – „Aktivitäte­n, um hautnah Bildung zu erleben“– wegfallen. „Das merken die Kinder und sie vermissen es“, so Schillinge­r.

Wie das Kultusmini­sterium Ende Januar mitgeteilt hat, werden Mitarbeite­r an 0den Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren (SBBZ) mit den Förderschw­erpunkten körperlich­e und motorische Entwicklun­g und geistige Entwicklun­g sowie die entspreche­nden Schulkinde­rgärten, von denen die JohannPete­r-Hebel-Schule auch einen hat, in der Impfstrate­gie des Landes in den Kreis der Personen mit hoher Priorität aufgenomme­n.

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Ab Jahrgangss­tufe fünf ist das Tragen einer Maske Pflicht. „Wir sind sehr stolz auf unsere Kinder, die machen das sehr gut“, sagt Schulleite­r Tirpak.
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FOTOS: JOHANNPETE­R-HEBEL-SCHULE Johannes Tirpak

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