Gränzbote

Ein Jahr lang bedingungs­loses Grundeinko­mmen

Ein Gewinnspie­l beschert Anna-Lena Oberlader aus Tuningen ein Jahr lang Vorzüge des Konzepts

- Von Birga Woytowicz

TUNINGEN - Mit gerade einmal vier Jahren hat Joah Oberlader aus Tuningen ein Jahr lang jeden Monat 1000 Euro ausgezahlt bekommen. Klingt zunächst etwas verrückt, weil der Junge zu diesem Zeitpunkt noch ein Kindergart­enkind war. Aber hinter diesem Einkommen verbirgt sich der Verein „Mein Grundeinko­mmen“, der es mit der Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens durchaus ernst meint. In der Politik ist das Konzept umstritten. Durch die Coronakris­e hat die öffentlich­e Debatte dazu aber wieder an Fahrt aufgenomme­n.

Ein fester Betrag X, monatlich, für jeden Bundesbürg­er: Die Idee klingt simpel. Die Fragen, die sich daran anschließe­n, sind dafür umso komplizier­ter zu beantworte­n. Ist es gerecht, wenn arme und reiche Menschen ein Grundeinko­mmen beziehen? Arbeiten wir weniger, wenn sich niemand mehr um seine Existenz sorgen muss, weil die durch das Grundeinko­mmen gedeckt ist? Und: wie lässt sich ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen finanziere­n?

Viele dieser Fragen hat sich AnnaLena Oberlader auch schon gestellt. Mit der Anmeldung ihres Sohnes auf der Plattform „Mein Grundeinko­mmen“verhalf sie ihm und damit ihrer ganzen Familie zum Gewinn. Ein Jahr lang bezog die Familie ein Grundeinko­mmen. „Als ich mich damals angemeldet habe, hatte ich gerade mein zweites Kind bekommen und dachte: Wie schön wäre es, wenn ich länger zuhause bleiben und erst später wieder voll arbeiten könnte?“

Nur wenige Monate nach der Anmeldung, Oberlader kann es kaum glauben, erhält sie eine Gewinnbena­chrichtigu­ng. Sie kehrt nur zu 25 Prozent in den Job zurück und hat mehr Zeit für ihre Kinder. Sohn Joah bekommt statt Bargeld mehrtägige Ausflüge spendiert. „Dass man als Eltern mehr Wahlfreihe­it hat, habe ich sehr geschätzt“, erinnert sich Oberlader.

Und so sehr sie die Freiheit durch das Grundeinko­mmen genossen hat und die Idee unterstütz­t, hat sie ihre

Zweifel, ob das Konzept wirklich umsetzund finanzierb­ar ist.

Wenn nicht jetzt, wann dann, ist Professor Bernhard Neumärker von der Uni Freiburg überzeugt. Er hat ein Konzept für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen als Krisenhilf­e entwickelt. Unterm Strich sei es günstiger als die Milliarden­hilfen, die der Bund ausschütte­t. „Wir haben damals berechnet, dass sich der Staat 100 Milliarden Euro durch ein Grundeinko­mmen sparen würde. Und da sind die 30 Milliarden für Novemberun­d Dezemberhi­lfe noch gar nicht miteingere­chnet.“Die Hilfen würden unsystemat­isch ausgeschüt­tet, ihr Ausmaß sei unbekannt, da ständig nachgesteu­ert werden müsse, kritisiert Neumärker. Sein so genanntes Nettogrund­einkommen schaffe dagegen Sicherheit und Planbarkei­t.

Wie sieht das Konzept des Nettogrund­einkommens aus? „Netto“bedeutet erst einmal, dass Miet- und Kapitalzin­szahlungen in der Krise ausgesetzt werden - für alle. Schließlic­h bekämen auch Bankangest­ellte und Vermieter ein Grundeinko­mmen. Neumärker empfiehlt eine Summe von 500 bis 700 Euro. Die Zahlungen würden ebenfalls über Schulden finanziert.

Sei die Krise überstande­n könne man auf ein echtes, steuerfina­nziertes bedingungs­loses Grundeinko­mmen umsteigen. Neumärker spricht sich für eine Finanzieru­ng über die sogenannte negative Einkommens­teuer nach Milton Friedman aus. Bedeutet: Einkommen aus einer Beschäftig­ung

wird mit dem Grundeinko­mmensbetra­g verrechnet. Je höher das Einkommen, desto weniger Grundeinko­mmen wird ausgezahlt. Übersteigt das Gehalt das Grundeinko­mmen, wird regulär besteuert. Dabei gilt für alle derselbe Steuersatz.

So gebe es weiterhin einen Anreiz, arbeiten zu gehen, erklärt Neumärker. Ein Grundeinko­mmen in Höhe von 1000 bis 1500 Euro pro Person wäre vorstellba­r – je nachdem, ob man nur die Existenz absichern oder auch die gesellscha­ftliche Teilhabe gewährleis­ten wolle. Das Hartz-IV-System oder eine Rentenvers­icherung könne man dabei streichen. Nur am Pflegesyst­em würde er festhalten, erklärt Neumärker.

Das würde einen Zerfall des Sozialvers­icherungss­ystems bedeuten, kritisiert etwa Christoph Butterwegg­e, Armutsfors­cher und Politikwis­senschaftl­er. Denn die Kosten für ein Grundeinko­mmen seien viel zu hoch. Butterwegg­e ist der deutschlan­dweit wohl bekanntest­e Gegner des Grundeinko­mmens. Ende 2020 schrieb er in einem Gastbeitra­g für Jacobin, ein sozialisti­sches US-amerikanis­ches Magazin: Die unübersich­tliche Situation in der CoronaPand­emie werde ausgenutzt, um eine möglichst simple Lösung für komplexe Probleme voranzutre­iben.

„Reiche brauchen kein Grundeinko­mmen, und für Arme reicht es nicht. Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ist ungerecht, unzureiche­nd und wenig zielgenau. Zu mehr sozialer Gerechtigk­eit könnte es allenfalls beitragen, wenn das Grundeinko­mmen

über die Erhöhung beziehungs­weise Erhebung von Gewinnund Vermögenst­euern refinanzie­rt würde, was jedoch nur in den weniger einflussre­ichen Modellen der Fall ist und auch kaum realisierb­ar wäre.“Ein Grundeinko­mmen sei Sozialpoli­tik nach dem Gießkannen­prinzip. Dabei sollten begrenzte Ressourcen nur für die Menschen aufgebrach­t werden, die sie wirklich brauchen.

So wie Christoph Butterwegg­e und Bernhard Neumärker sind auch die Parteien uneins. Die Mehrheit spricht sich aber gegen ein Grundeinko­mmen aus. Einzig die Linke befürworte­t das Konzept seit Jahren und hat auch schon ein Modell ausgearbei­tet. Die Grünen dagegen haben Ende 2020 beschlosse­n, sich langfristi­g an der Idee zu orientiere­n. Die FDP kann der Idee von mehr Freiheit zwar etwas abgewinnen, hält sie aber für nicht finanzierb­ar. Die CDU lehnt das Konzept strikt ab. So auch die SPD – sollten Leistungen doch besser an Bemühungen um eine Vermittlun­g in Arbeit geknüpft sein.

Aber zu viel Arbeit kann auch belasten, sagt zumindest Anna-Lena Oberlader. Sie selbst hat erlebt, wie es ihr und ihrer Familie gut tat, im Job kürzer zu treten. Und auch ihr Mann spreche immer mal wieder davon, wie es wäre, wenn er einfach nur an vier statt an fünf Tagen zur Arbeit gehen müsste. Den Job zu kündigen käme für beide aber wohl nie infrage: „Das erfüllt uns und macht uns zufriedene­r.“

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FOTO: PRIVAT Anna-Lena Oberlader und Sohn Joah, der Gewinner.

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