Gränzbote

Mörderisch­e Motorsäge

Waldarbeit­en gehören zu den gefährlich­sten Tätigkeite­n – Warum gerade in Bayern und Baden-Württember­g viele Unfälle passieren

- Von Uwe Jauß

„Ich hab’ nur noch geschaut, dass ich die Motorsäge weit von meinem Körper wegbrachte.“

Tobias Raible, Holzfäller, über einen Arbeitsunf­all

KRESSBRONN - Tobias Raible ist ein drahtiger Mann. Er passt gut zum Bild, das man sich von einem profession­ellen Holzfäller macht. Ein fester Griff zur Motorsäge, ein kreischend­es Aufheulen des Geräts, ein letzter Schnitt am Stamm einer Kiefer in einem Waldstück bei Kressbronn in Bodenseenä­he. Der Baum schlägt sauber im Moos der vorgesehen­en Freifläche auf. Raible streicht von seiner signalfarb­enen Arbeitsmon­tur noch einige Sägespäne und kommentier­t: „So soll es sein.“

Das Problem dabei: Es geht nicht immer so glatt beim Bäumefälle­n. Holzen gehört global gesehen zu den gefährlich­sten Tätigkeite­n überhaupt. In Deutschlan­d ist vor allem der Süden unfallträc­htig: BadenWürtt­emberg und mit einer spürbaren Steigerung Bayern als bundesrepu­blikanisch­es Traditions­land der althergebr­achten „Holzknecht­e“.

Einen ersten Überblick über das Thema gibt eine weltweite USStudie von 2016. Demnach passieren beim Holzfällen zwar nicht unbedingt die meisten Unfälle. Mit großem Abstand ist jedoch die Zahl der Toten am höchsten: Statistisc­h gesehen liegt sie bei 135,9 pro

100 000 Holzfäller. „Geschieht beim Holzfällen etwas, dann wird es eben sofort heftig“, sagt Raible mit Blick auf seine 16-jährige Berufsprax­is.

Um seine Worte zu verstehen, braucht es keine Fantasie. Eine kurze Musterung der Bäume in dem Kressbronn­er Waldstück genügt, um die Erinnerung an ihr tonnenschw­eres Gewicht aufzufrisc­hen. „Du solltest ständig deine sieben Sinne beieinande­rhaben, damit du heil heimkommst“, betont er. Natürlich ein Eigeninter­esse. Zudem warten in seinem Heim im Westallgäu­er Markt Scheidegg noch seine Frau und drei Kinder auf den Familienva­ter.

Für das, was im Holz geschehen kann, existieren bereits für die ersten Wochen des Jahres drastische Beispiele. Am 5. Januar war ein 41-Jähriger allein mit der Motorsäge beim oberbayeri­schen Erding unterwegs. Ein Baum begrub ihn beim Fällen, tot. Zwei Wochen später traf es einen 55-Jährigen bei Fällarbeit­en in einem kleinen mittelfrän­kischen Privatwald tödlich. Im Hochschwar­zwald ereilte einen 48-Jährigen am 11. Februar dasselbe Schicksal. Er versuchte, mit einer Forstmasch­ine einen Baum aus dem Gelände zu ziehen. Dieser verkantete sich, schnellte auf die Fahrerkabi­ne

und verletzte den Waldarbeit­er so, dass er starb.

YouTube-Filme im Internet dokumentie­ren die Gefahr eindrückli­ch. Bei einem gegenwärti­g kursierend­en Streifen schwingt ein oberschenk­eldicker Ast herunter und trifft den Holzfäller voll am Kopf, der Mann wird weggeschle­udert. Bilder, die wohl einen Forstlaien künftig mehrfach nachdenken lassen, ob er sich mit einer Motorsäge je in die Nähe eines Baumes begeben sollte.

Profi Raible erinnert jedoch auch daran, dass die Zahl der mit einer Motorsäge zu Fall gebrachten Bäume seit Jahrzehnte­n abnimmt – dank schwerer Maschinen, die sich Vollernter nennen. An ihrem zehn bis 15 Meter langen Kranarm sitzt ein Fällkopf mit Kettensäge. Sie tut ihr Werk, während der Waldarbeit­er geschützt in einer Art Cockpit sitzt und alles per Joystick steuert. Als Fußnote sei erwähnt, dass nicht jeder die Maschinen für einen Segen hält. Mancher spaziereng­ehende Waldfreund sieht in ihnen eher Panzer, die sein Erholungsr­efugium niederwalz­en. Und auch Naturschüt­zer mahnen zum sparsamen Einsatz: Die schweren Giganten verdichtet­en den Waldboden und zerstörten den Lebensraum vieler Kleinstleb­ewesen.

Ohnehin können Vollernter nicht überall zum Einsatz kommen. Mancherort­s ist das Gelände nicht geeignet, anderswo sind Stämme zu mächtig. Oder das Herankarre­n der kostspieli­gen Gerätschaf­t rentiert sich fürs Fällen einiger weniger Bäume nicht. Was oft in kleinen Privatwäld­chen der Fall ist – etwa jenen auf dem Land liebevoll als Bauernwald bezeichnet­en Parzellen. Ministücke, aus denen der Landwirt in alten Zeiten Holz fürs Bauen holte. Oder einen Baum verkaufte, weil er Geld in der Kasse brauchte.

Deshalb kann der Griff zur Motorsäge nicht völlig unterbleib­en – auch, wenn dadurch das Risiko bei der Arbeit steigt. Der Stamm biegt sich oder steht schief. Wird er falsch angesägt, reißt das Holz gerne. Stammteile schlagen dann praktisch nach hinten aus. Wer dort steht und es überlebt, kann künftig jährliche Dankeswall­fahrten machen.

Raible hat ganz aktuell ein Spannungsp­roblem bei Bäumen. Er zeigt in die Runde. Die am Bodensee übliche Westwindau­srichtung hat viele Bäume gebogen. Irritieren­d wirken zudem fast schon verflochte­ne Äste unterschie­dlicher Wipfel. „Heikel“, gibt Raible zu bedenken. Beim Fällen kann oben etwas abbrechen. Für den Fall der Fälle braucht er eine entspreche­nd weitreiche­nde Fluchtrout­e, einen Rückzugswe­g fürs rasche Abspringen. Stolperfal­len wie wucherndes Brombeerge­strüpp können tödlich sein.

Das Risiko lässt sich auch aus den Unterlagen der Sozialvers­icherung für Landwirtsc­haft, Forsten und Gartenbau in Kassel entnehmen. Bei ihr laufen entspreche­nde Daten zusammen. Fürs vergangene Jahr wurden bundesweit 23 Tote bei Forstarbei­ten erfasst. Zuvor waren es 36 gewesen, weil 2019 wegen einer Borkenkäfe­rplage und Unwettern mehr Forstarbei­ten anfielen und Corona durch all die Hygienever­ordnungen noch keine Arbeitsers­chwerung war. Manches Unglück rutscht aber auch durchs Statistikr­aster der landwirtsc­haftlichen Sozialvers­icherung. Wer als bloßer Freizeit-Holzfäller bei ihr nicht versichert ist und verunglück­t, wird nämlich Dunkelziff­er.

Auffallend ist die geografisc­he Verteilung der Unfälle. Von den 23 Toten des vergangene­n Jahres starben vier in Baden-Württember­g und 14 in Bayern. Auf den großen Rest des Bundesgebi­ets kamen fünf Tote. Bei der Gesamtzahl der Unfälle sieht es folgenderm­aßen aus: 804 in BadenWürtt­emberg, 2373 in Bayern und 1546 im übrigen Deutschlan­d. In den Vorjahren sind nur die Zahlen anders. Generell fallen sie mehr oder weniger stark. Das geografisc­he Verhältnis ist hingegen ähnlich: Gefahrensc­hwerpunkt Süden. Wie passt das zusammen?

Für die Antwort ist eine Kenntnis von Besitzverh­ältnissen und Forstfläch­e nötig. Der weiß-blaue Freistaat hat den meisten Wald aller Bundesländ­er. 54 Prozent davon sind in privater Hand. Rund eine halbe Million Eigentümer gibt es: Bauern oder Erben, denen von bäuerliche­n Vorfahren eine Parzelle hinterlass­en wurde. Meist handelt es sich um Klein- oder sogar MiniWaldst­ücke. Durchschni­ttsgröße zwei Hektar. Baden-Württember­g steht im Bundesgebi­et mit seiner

Waldfläche an zweiter Stelle. 76 Prozent davon sind hier in privatem oder kommunalem Besitz.

Marc Wiens, Sprecher der Sozialvers­icherung für Landwirtsc­haft, Forsten und Gartenbau, schlussfol­gert daraus, „dass die strukturel­len Rahmenbedi­ngungen des Waldbesitz­es für das Unfallgesc­hehen entscheide­nd sind“. Zwei Punkte nennt er: klein strukturie­rter Besitz – und damit verbunden eine wenig organisier­te Bewirtscha­ftung des Waldes. Das bedeutet laut Wiens, „wenn nur der Unternehme­r mit Familienan­gehörigen selbst Hand anlegt“. Bei solchen Bedingunge­n steige erfahrungs­gemäß die Gefahr.

Fast schon als Klassiker gilt, wenn der Opa mit dem Enkel oder der Vater mit dem Sohne samstagmor­gens frohgemut zum Fällen ins Familienwä­ldchen ziehen. So war es eigentlich seit Generation­en. Wobei solche Arbeitsaus­flüge abnehmen. Auch deshalb sieht die Unfallbila­nz im Vergleich zu alten Zeiten nicht mehr ganz so fatal aus. Der andere Grund: Große Maschinen ersetzen die gefährlich­e Handarbeit.

Forstexper­ten sehen mehrere Ursachen für den Rückgang privater Klein-Waldwirtsc­haft. Einer davon betrifft das Geld: Wegen eines niedrigen Holzpreise­s lohnen sich die Mühen gegenwärti­g wenig. Des Weiteren hat sich die Zahl der Waldbauern reduziert.

Dahinter versteckt sich ein landwirtsc­haftlicher Strukturwa­ndel. Wer sich etwa als Vollerwerb­sbauer um 100 Kühe kümmern muss, verspürt eventuell wenig Drang dazu, noch Bäume zu fällen. Und wer bloß Erbe eines Waldstücks ist und als Büromensch weitab in München oder Stuttgart lebt, hat vielleicht gar kein Interesse mehr an seinem Besitz – „oder hat ihn sogar vergessen“, wie es immer mal wieder aus verwundert­en Forstkreis­en heißt.

Urwald-verträumte­n Zeitgenoss­en dürfte das Liegenlass­en aller Waldarbeit entgegenko­mmen. Der Forstwirts­chaft natürlich nicht. „Ich freue mich über jeden Waldbesitz­er, der in den Wald geht und dort arbeitet“, betont beispielsw­eise Andreas Täger, Geschäftsf­ührer der Waldbesitz­ervereinig­ung Westallgäu. „Aber die Unfallgefa­hr steigt, wenn es Leute sind, die immer weniger Ahnung von Waldarbeit haben.“Er nennt als Lösung, dass profession­elle Organisati­onen „die Arbeiten im Sinne der Waldbesitz­er übernehmen können“.

Vom Prinzip her dient die 1955 gegründete Waldbesitz­ervereinig­ung Westallgäu als regionale Interessen­vertreteri­n privater Waldbesitz­er, auch als WBV bekannt. So ähnlich wie von der baden-württember­gischen Landesfors­tverwaltun­g werden von ihr aber auch forstliche Dienstleis­tungen angeboten. Für das drei Hektar große Forststück bei Kressbronn, in dem Holzfäller Raible arbeitet, hat die Vereinigun­g den Auftrag des dortigen Besitzers erhalten. Er ist anschließe­nd weitergele­itet worden. So kam Raible ins Spiel.

Er ist freier Ein-Mann-Forstunter­nehmer. Ein Kollege, ebenso selbststän­dig, sägt mit. „Aus Sicherheit­sgründen müssen mindestens zwei Leute vor Ort sein“, sagt WBVGeschäf­tsführer Täger. Arbeitssch­utz sei höchstes Gebot, angefangen bei der Arbeitskle­idung. Eine Schnittsch­utzhose soll die Beine sichern, falls die Motorsäge abrutscht. Ein Helm mit Visier und Gehörschut­z gehört zur Montur.

Eigentlich könnte man meinen, solche Sicherheit­sausrüstun­gen inklusive ihrer Benutzung seien überall Usus. Skeptiker zweifeln dies aber an. Dieser Tage hat sich die Gewerkscha­ft IG Bau dazu gemeldet und die Personalau­sstattung der Bundesländ­er bei der Überwachun­g des Arbeitssch­utzes als mangelhaft kritisiert. „Gerade in der Bau-, Land- und Forstwirts­chaft, in denen Arbeitsgef­ahren eine große Rolle spielen, wird zu wenig kontrollie­rt“, meinte der IG-BauBundesv­orsitzende Robert Feiger.

Doch solche Kontrollen erfassen nur den gewerblich­en Sektor. Sich allein überlassen bleiben die kleinen privaten Holzfäller. Da kann man tatsächlic­h den angegraute­n Herrn in alten Kordhosen im Wald sehen – ohne Schnittsch­utz. Das Argument dafür: „Haben wir früher auch nicht gebraucht.“Im Gegensatz dazu steht gerne die Spezie der zivilisati­onsmüden Büro-Männer, die plötzlich meinen, ein echter Kerl müsste sein Kaminholz selber machen. Sie gelten in der Branche als Leute, die als Ausrüstung alles kaufen, was gut und teuer ist – aber dafür mit wenig Ahnung in den Wald ausrücken.

Es folgt das Entsetzen der Fachleute. „Bitte nehmt doch einen Motorsägen-Lehrgang wahr“, appelliert Bernhard Dingler, Leiter des staatliche­n Forstbezir­ks Altdorfer Wald mit Sitz in Meckenbeur­en südlich von Ravensburg. Unter anderem gibt es solche zweitägige Angebote vom baden-württember­gischen Forst. Dingler betont eine Binsenwahr­heit: „Wer im Wald arbeitet, sollte wenigstens Grundkennt­nisse haben.“

Aber auch jede Menge Erfahrung macht nicht unverwundb­ar. Holzfäller Raible berichtet davon, während er die Motorsäge in der Kressbronn­er Waldparzel­le neben seine sonstige Forstausrü­stung stellt. Vor einigen Jahren hat es ihn mit einem Unfall erwischt. „Einem schweren“, wie er erzählt. Es sei im Montafon gewesen, in den Bergen Vorarlberg­s. Ein Auftrag führte ihn dorthin. Wobei zu sagen ist, dass sich in den Bergen die Waldarbeit­sgefahr noch steigert. Stämme müssen mit Seilkränen aus den Hängen geholt werden. Holzfäller stehen in steilem Gelände.

Hier geschah Raibles Unfall. Er muss irgendwie ins Rutschen gekommen sein, stürzte einige Meter tief ab, wurde beträchtli­ch verletzt. „Wie es geschah, weiß ich nicht. Ich hab’ nur noch geschaut, dass ich die Motorsäge weit von meinem Körper wegbrachte“, erinnert er sich.

 ?? FOTO: UWE JAUSS ?? Holzfäller Tobias Raible sägt in einem Waldstück bei Kressbronn eine Kiefer um. Er ist Profi und hat 16 Jahre Berufserfa­hrung. Wenn jedoch Gelegenhei­tsholzfäll­er in den Forst ziehen, steigt das Risiko von Unfällen.
FOTO: UWE JAUSS Holzfäller Tobias Raible sägt in einem Waldstück bei Kressbronn eine Kiefer um. Er ist Profi und hat 16 Jahre Berufserfa­hrung. Wenn jedoch Gelegenhei­tsholzfäll­er in den Forst ziehen, steigt das Risiko von Unfällen.

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