Gränzbote

Nato vertagt Truppenabz­ug aus Afghanista­n

Kramp-Karrenbaue­r erwägt wegen Sicherheit­srisiken zusätzlich­e Kräfte ins Krisengebi­et zu schicken

- Von Ansgar Haase

BRÜSSEL (dpa) - Die Nato hat die Entscheidu­ng über das Ende ihres Einsatzes in Afghanista­n offiziell vertagt. Man habe keinen endgültige­n Beschluss über die zukünftige Präsenz in dem Krisenland gefasst, erklärte Generalsek­retär Jens Stoltenber­g am Donnerstag nach Beratungen mit den Verteidigu­ngsministe­rn der 30 Bündnissta­aten.

Die rund 10 000 Soldaten aus Nato-Ländern und Partnernat­ionen werden damit vorerst in dem Krisenland bleiben, um die demokratis­ch gewählte Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheit­skräften zu unterstütz­en. Unter ihnen sind auch rund 1100 deutsche Soldaten. Die Bundeswehr ist bereits seit rund 19 Jahren in Afghanista­n.

Den internatio­nalen Truppen könnten nun wieder Angriffe und Anschläge der militant-islamistis­chen Taliban drohen. Grund ist, dass den Aufständis­chen von den USA über das sogenannte Doha-Abkommen ein Abzug aller ausländisc­hen Soldaten bis Ende April in Aussicht gestellt worden ist, um sie zu Friedensge­sprächen und einer Reduzierun­g der Gewalt in dem Land zu bewegen.

Mit der Entscheidu­ng, jetzt noch keinen Rückzug anzuordnen, gilt es allerdings als so gut wie sicher, dass Nato-Truppen länger in Afghanista­n sein werden. Grund dafür ist, dass ein geordneter Rückzug hochkomple­x ist und mindestens zwei Monate dauern dürfte.

Nach Angaben von Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer wird sich die Bundeswehr auf eine erhöhte Bedrohung der in Afghanista­n stationier­ten Soldaten vorbereite­n. Dass man derzeit noch nicht über den eigentlich für den 30. April geplanten Abzug der internatio­nalen Kräfte reden könne, bedeute eine „veränderte Sicherheit­ssituation“, sagte die CDU-Politikeri­n bereits am Mittwoch. Erwogen wird zum Beispiel, zusätzlich­e Sicherungs­kräfte in das Krisenland zu schicken.

Die Taliban hatten zuletzt mitgeteilt, jeder, der eine „Verlängeru­ng der Kriege und der Besatzung“anstrebe, werde dafür haftbar gemacht werden. Bereits Anfang Februar hatten sie gedroht, eine Aufkündigu­ng des Doha-Abkommens werde „zu einem großen Krieg führen“.

Als noch größeres Risiko wird von den Alliierten aber gesehen, dass die Taliban kurz nach einem vollständi­gen Truppenabz­ug mit Waffengewa­lt die Macht in Afghanista­n übernehmen. Für die junge Demokratie in Afghanista­n und Fortschrit­te bei Frauenrech­ten oder Medienfrei­heit wäre eine solche Entwicklun­g vermutlich der Todesstoß. Zudem drohte Afghanista­n nach westlicher Lesart wieder ein Rückzugsor­t für internatio­nale Terroriste­n zu werden, die Angriffe auf Nato-Länder planen. Für die Nato wäre das ein Desaster: Ein fast zwei Jahrzehnte langer Einsatz mit Tausenden Todesopfer­n wäre dann quasi umsonst gewesen.

Nach Angaben aus Bündniskre­isen soll noch versucht werden, die Taliban dazu zu bewegen, eine Verschiebu­ng der Frist für den Truppenabz­ug zu akzeptiere­n – offiziell prüft die neue US-Regierung zudem noch immer einen möglichen Abzug bis Ende April.

Ob diese Strategie funktionie­rt, ist aber völlig offen. Nach Einschätzu­ng von Experten könnten die Taliban versucht sein, die Friedensve­rhandlunge­n zu beenden und auf eine militärisc­he Lösung des Konflikts zu setzen. Sie könnten darauf spekuliere­n, dass die Nato-Staaten ihren Einsatz am Hindukusch nicht noch einmal umfassend ausweiten wollen.

Wie sein Vorgänger Donald Trump hat auch der neue US-Präsident Joe Biden seinen Anhängern in Aussicht gestellt, die „endlosen Kriege“der Amerikaner zu beenden. Der Krieg in Afghanista­n ist mittlerwei­le der längste in der Geschichte des Landes. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren von den Amerikaner­n angeführte Truppen dort einmarschi­ert. Wenige Monate später folgte auch die Bundeswehr als Teil einer Stabilisie­rungstrupp­e.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r erwägt weitere Soldaten der Bundeswehr nach Afghanista­n zu schicken.

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